China und USA im Systemstreit Mao, das Flugzeug und der Ballon
08.02.2023, 18:59 Uhr
Der Abschuss
(Foto: AP)
Die Kommunikation von China und den USA war schon vor dem Abschuss des Spionageballons frostig. Auch ist Spionage nicht neu oder ungewöhnlich - nur, dass sie mit dem bloßen Auge zu sehen ist. Im Wettbewerb der Systeme haben die beiden Länder ein schwieriges Verhältnis.
Ein Spionageballon aus Peking überfliegt die Vereinigten Staaten eine Woche lang in aller Seelenruhe. Er schwebt mit kleinen Propellern und Überwachungstechnik vom Bundesstaat Alaska über das Nachbarland Kanada und wieder zurück in den Luftraum über dem Bundesstaat Idaho; nach Montana, wo sich einer von drei Stützpunkten der US-Interkontinentalraketen befindet; an Kansas City vorbei und weiter nach Westen, wo ihn ein F-22 Kampfflugzeug schließlich an der Atlantikküste von South Carolina mit einer Rakete abschießt. Es ist Samstag, 4. Februar.
US-Präsident Joe Biden, das Militär, und irgendwann auch die Öffentlichkeit waren alle informiert. Bestimmte Aktivitäten wurden eingestellt, Geheiminformationen absichtlich nicht gesendet. Die Chinesen sollten möglichst wenig erfahren. Biden warnte China in seiner Rede zur Lage der Nation am Dienstag: "Wenn China unsere Gebietshoheit bedroht, werden wir handeln, um unser Land zu beschützen."
Schon während des Fluges stellen sich Fragen, an dessen Antworten sich nun die US-Behörden mithilfe der geborgenen Überreste versuchen. Dazu gehört, was der Ballon genau tat und warum China diese Technik verwendete. Irgendwann wird klar sein, wie und wo dieser Zwischenfall in der Geschichte der Beziehungen zwischen USA und China einzuordnen ist. Es ist nicht der erste. Außenminister Antony Blinken sagte seine Reise nach China kurzerhand ab. Dabei sind die Beziehungen der Länder nicht erst seit gestern frostig.
Die Vereinigten Staaten haben ohnehin ein höchst ambivalentes Verhältnis zum Konkurrenten. Auf der einen Seite gehört China für Biden zum autokratischen Teil der Welt, gegen die der demokratische Teil unter Führung der USA bestehen muss. Auch Chinas Präsident Xi Jinping und die Kommunistische Partei (KP) äußern sich so: Man müsse außenpolitisch mit dem Konkurrenten des Westens um den eigenen Aufstieg ringen, hieß es beim Arbeitsbericht an den alle fünf Jahre stattfindenden Nationalkongress der KP im Oktober. Zugleich sind die beiden Länder eng wirtschaftlich verbandelt.
Armdrücken unterm Ballon
Beim Spionageballon war die Lage eindeutig. Ein nicht angemeldetes Flugobjekt mit Überwachungstechnik, das sich tagelang im Luftraum der USA befindet, von Fußgängern mit dem bloßen Auge erkennbar? Das macht diesen latenten Konflikt der beiden größten Volkswirtschaften der Welt für Hunderte Millionen US-Amerikaner plötzlich anders greifbar. Es hat auch ein innenpolitisches Armdrücken ausgelöst, wer gegenüber Peking wie Stärke zeigt.
Republikaner forderten, der Ballon hätte früher abgeschossen werden müssen. "Das ist, als würde man den Quarterback angreifen, nachdem die Partie gelaufen ist", sagte der Abgeordnete Michael R. Turner aus Ohio: Der Ballon "hatte seine Mission erfüllt. Er hätte niemals in die Vereinigten Staaten gelangen dürfen, und er hätte niemals seinen Auftrag erfüllen dürfen." Dabei ist nicht klar, was der Auftrag überhaupt war. Während Satelliten vor allem Bildmaterial sammeln, können Ballons manövriert werden und Kommunikation abfangen.
Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass die beiden Länder sich gegenseitig ausspionieren, es bleibt nur meist verborgen. Es geht um Waffen, Chipproduktion, Künstliche Intelligenz, 5G-Netze und Quantencomputer. Ein Blick zurück zeigt, dass es schon solche Vorfälle gab, bevor China und USA auf Augenhöhe konkurrierten.
Krise vor mehr als zwei Jahrzehnten

Vor 22 Jahren stießen ein US-Spionageflugzeug und ein chinesisches Kampfflugzeug in der Luft zusammen und lösten eine diplomatische Krise aus.
Es ist das Jahr 2001. Am frühen Morgen des 1. April rollt ein US-Spionageflugzeug über die Startbahn der Kadena Air Base am südlichen Zipfel Japans und hebt ab. Die Propellermaschine vom Typ EP-3E fliegt stundenlang in Richtung des südchinesischen Meeres, an Taiwan vorbei, und bekommt irgendwann Gesellschaft von zwei chinesischen Kampfflugzeugen. Etwa 110 Kilometer südlich der chinesischen Insel Hainan kollidiert einer der Jets in 6700 Meter Höhe mit dem Spionageflugzeug. Es wird stark beschädigt, sackt tausende Meter ab und landet in größter Not und trotz 15-fachen Notrufs ohne Antwort auf der Lingshui Militärbasis der beiden Kampfflugzeuge auf Hainan.
Die US-Amerikaner versuchen, in den 26 Minuten des restlichen Fluges und weiteren 15 Minuten am Boden, jegliches Geheimmaterial an Bord zu zerstören. Sie kippen Kaffee in Festplatten, schlagen mit der Notaxt Geräte kaputt und versuchen, Dokumente loszuwerden. Nicht alles gelingt, irgendwann müssen die 24 Personen Besatzung aussteigen. Sie werden von den Chinesen zehn Tage lang festgehalten und währenddessen verhört. Ein bedauernder offizieller Brief der US-Regierung führt zur Freilassung ihrer Soldaten. Beide Seiten wahren ihr Gesicht.
Die Besatzung war mit ihrer Zerstörungsaktion nicht komplett erfolgreich. Aus dem verbliebenen Material des US-Flugzeugs erfahren die Chinesen, dass die US-Geheimdienste die Kommunikation zwischen kommunistischen Ländern abhören und U-Boote orten können; sie bergen Verschlüsselungsmethoden, Spionageanleitungen und Namen von Geheimdienstmitarbeitern. Die Kollision in der Luft hatte noch weitere Folgen. Er veränderte die Kommunikation der Länder.
Viel verändert, aber ähnlich
Damals hatten es tagelang weder der damalige Präsident George W. Bush noch Außenminister Colin Powell geschafft, mit der chinesischen Regierung zu telefonieren. Danach installierten die beiden Länder rote Telefone. Doch von guter Kommunikation kann derzeit nicht die Rede sein. Sie ist sogar frostig. Nach dem Ballon-Vorfall wollte Bidens Regierung mit der chinesischen sprechen, doch die hatte kein Interesse. Bereits seit vergangenem August sind bestimmte Kommunikationskanäle stumm, etwa über den Klimawandel, nachdem Nancy Pelosi, damalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, nach Taiwan gereist war.
Washington und Peking liegen weiterhin im geopolitischen Clinch. Im südchinesischen Meer baut China Sandbänke zu Militärstützpunkten aus. China beansprucht die Kontrolle über das Meer, die USA bewertet es als internationales Gebiet. Das zweite Konfliktthema ist der de facto Inselstaat Taiwan, den Peking für eine abtrünnige Provinz hält, mit der es die Wiedervereinigung anstrebt. Washington kooperiert jedoch mit Taipeh militärisch und spricht immer wieder Sicherheitsgarantien aus, um China abzuschrecken.
Die beiden stärksten Volkswirtschaften der Welt sind zwar politisch und gesellschaftlich höchst unterschiedlich, aber von wirtschaftlicher Blockbildung wie zu Zeiten des Kalten Krieges weit entfernt. Es bestehen große Abhängigkeiten auf dem Finanzmarkt. Die US-Wirtschaft unterhält zugleich gigantische Geschäftsbeziehungen mit China, es ist der wichtigste Handelspartner. Die beiden Länder kamen im vergangenen Jahr auf ein Rekordvolumen beim bilateralen Handel von fast 700 Milliarden Dollar. Trotz der unter Trump eingeführten Zölle, die Biden größtenteils unangetastet gelassen hat.
Die USA importieren wesentlich mehr aus China als sie dorthin exportierten, so flossen 382,9 Milliarden Dollar im Jahr 2022 ab. Bidens Vorgänger, Ex-Präsident Donald Trump, hatte sich mit dem Geschäftspartner auch wegen dieses Handelsbilanzdefizits angelegt. Er wollte es verkleinern und China unter Druck setzen. Während Trumps Präsidentschaft flogen mehrere chinesische Spionageballons über die Vereinigten Staaten, aber nie so lange und nie so tief. Manche wurden zunächst als UFOs deklariert.
Bessere Karten für die USA?
Es sei gut möglich, dass Peking im Wettbewerb mit den USA um das beste Regierungsmodell auf eine Strategie von Mao aus den 1950er Jahren zurückgreife, schreibt die US-Denkfabrik Brookings Institution in ihrem Ausblick für 2023: "Kämpfen, kämpfen, reden, reden". So würde man Zeit schinden, den Gegner studieren und Kraft sammeln. Um dann wieder gegen ihn in den Ring zu steigen.
Der Ballon wäre in dieser Strategie zum besseren Studium des Gegners nützlich. Aber wer sagt, dass Ringen und Reden nicht gleichzeitig stattfinden kann? China könnte mit seinem geheimdienstlichen Fehltritt den USA einen Vorteil geschenkt haben, sagen frühere hochrangige Diplomaten: Nun hätten die USA eine bessere Position, um China Zugeständnisse in internationalen Angelegenheiten abzutrotzen, schreibt "Politico". "Der Vorfall stärkt die USA", wird eine frühere Geheimdienstberaterin des Weißen Hauses zitiert. "Immer, wenn Spionage enttarnt wird, hat das Zielland einen Vorteil."
Nach Bidens langem Gespräch mit Pekings Staatschef Xi im vergangenen November wollte Blinken erreichen, dass Peking sich deutlicher gegen Russlands Angriffskrieg in der Ukraine positioniert, Zusagen zur Einhaltung von Menschenrechten macht und die Drohkulisse gegen Taiwan entschärft. Der Außenminister sagte die Reise nun ab, weil der Ballon diese Themen möglicherweise komplett überlagert hätte. Doch im Endeffekt könnte ihm dies bei einem Ersatztermin bessere Karten in die Hand geben.
Quelle: ntv.de