Applaus für den Brexit-Kurs Merkel lobt "Gemeinsamkeit" der EU
29.04.2017, 20:30 Uhr
Kanzlerin Merkel trifft auf dem EU-Gipfel in Brüssel ein.
(Foto: dpa)
Bei einem Sondergipfel in Brüssel beschließen die verbleibenden 27 EU-Staaten ihre Verhandlungslinie bei den Brexit-Gesprächen. Kanzlerin Merkel und andere Politiker legen zudem bereits die wichtigsten Themen fest.
Die EU-Staats- und Regierungschefs haben bei ihrem Brexit-Sondergipfel ohne Großbritannien ungewöhnliche Geschlossenheit demonstriert: Nach nur vier Minuten und ohne Änderungen beschlossen sie in Brüssel einstimmig Leitlinien für die anstehenden Austrittsverhandlungen. Gespräche über die künftigen Beziehungen mit London will die EU demnach nur führen, wenn wichtige Austrittsfragen wie die milliardenschweren Finanzforderungen an die Briten und das Schicksal der EU-Bürger im Vereinigten Königreich weitgehend geklärt sind.
EU-Ratspräsident Donald Tusk zeigte sich erfreut über die "außergewöhnliche Einigkeit" der 27 Mitgliedstaaten. Es sei "das erste Mal in unserer Geschichte", dass die chronisch gespaltene EU so schnell Entscheidungen getroffen habe. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel lobte ein "erfreuliches Maß an Gemeinsamkeit". Ihr zufolge wurden die Leitlinien "durch Applaus" von den Staats- und Regierungschefs angenommen.
Großbritannien will Ende März 2019 aus der EU austreten. Bis dahin muss ein Austrittsvertrag mit der EU vereinbart sein. London will dabei möglichst bald auch über die künftigen Beziehungen und insbesondere ein Handelsabkommen mit der EU sprechen.
"Solides und faires politisches Mandat"
Mit den Leitlinien sei nun "ein solides und faires politisches Mandat" für die Gespräche vorbereitet, sagte Tusk. Sie sehen ein zweistufiges Vorgehen vor: Erst wenn zu wichtigen Austrittsfragen "ausreichende Fortschritte" erzielt sind, soll es auch um Fragen der künftigen Zusammenarbeit gehen. Merkel zufolge strebt der Verhandlungsführer der EU-Kommission, Michel Barnier, den Übergang in diese zweite Phase "im Herbst" an. Die EU werde dann einen "bewussten politischen Beschluss" fassen, um in Phase zwei überzugehen, so die Kanzlerin.
Dies hängt aber aus Sicht der EU im Wesentlichen von Großbritannien ab. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker forderte die britische Regierung auf, die Gespräche ernsthaft anzugehen. "Ich habe manchmal den Eindruck, dass unsere britischen Freunde - nicht alle - die technischen Schwierigkeiten, vor denen wir stehen, unterschätzen."
Auch Merkel warnte erneut vor "Illusionen" auf britischer Seite. Sie wies Kritik der britischen Premierministerin Theresa May zurück, die anderen 27 EU-Staaten seien dabei, sich "gegen uns zu vereinigen". Merkel sagte, es sei "das Natürlichste von der Welt", dass die anderen 27 EU Staaten eine gemeinsame Position zum Brexit einnähmen.
EU-Bürger haben Priorität
Nach den Leitlinien strebt die EU einen "geordneten Austritt" Großbritanniens an, bereitet sich aber auch auf ein mögliches Scheitern der Verhandlungen vor. London wird ausdrücklich vor "Rosinenpicken" gewarnt. Mit am schwierigsten gelten die finanziellen Forderungen an London, die in der ersten Phase verhandelt werden sollen. Diese werden in Brüssel auf bis zu 60 Milliarden Euro geschätzt. Merkel sagte, es sei noch nicht über konkrete Beträge gesprochen worden. Frankreichs Präsident François Hollande sagte, der Brexit werde für das Vereinigte Königreich "natürlich einen Preis und Kosten" haben. Ziel sei aber nicht eine Bestrafung Londons.
Neben den finanziellen Verpflichtungen nannte Merkel den Umgang mit EU-Bürgern in Großbritannien nach dem Brexit als wichtiges Verhandlungsthema für die erste Phase der Gespräche. Tusk bezeichnete dies als "Priorität Nummer eins". Er verlangte von London eine "ernsthafte Antwort" zu den künftigen Rechten der Betroffenen. Erst dann könne es "substanzielle Fortschritte" geben. Die Frage der etwa 3,2 Millionen EU-Bürger in Großbritannien soll bis möglichst Ende 2017 geklärt werden.
Auf Druck Polens und Ungarn wurde in die Leitlinien die Forderung aufgenommen, dass EU-Bürger, die bereits fünf Jahre im Vereinigten Königreich leben, dauerhaft bleiben können. In der Frage werden laut Text "gegenseitige Garantien" angestrebt, die dann auch für 1,2 Millionen Briten auf dem Kontinent gelten sollen.
Quelle: ntv.de, mli/AFP