Kanzlerin mitnichten entmachtet Merkels Macht kommt erst noch
08.05.2020, 15:36 Uhr
Die Ministerpräsidenten preschten vor, Merkel hielt sie nicht mehr auf - doch letztlich sitzt sie am längeren Hebel.
(Foto: REUTERS)
Lange bemüht sich Kanzlerin Merkel in der Corona-Krise um einheitliche Maßnahmen in Deutschland. Mittlerweile haben die Länder die Sache in die eigenen Hände genommen. Wer nun glaubt, Merkel sei damit am Ende, der irrt.
So schnell soll es also gehen können? CDU/CSU stehen bei fast 40 Prozent in den Umfragen, aber die Kanzlerin ist schon wieder auf dem absteigenden Ast, von den Ministerpräsidenten in der Corona-Krise geradezu "entmachtet", wie es hieß.
Wirklich? Natürlich nicht.
Wahr ist: Angela Merkel hat nicht bemerkt - oder nicht bemerken wollen -, wie schnell die Stimmung im Land gerade dreht. In der ersten Phase der Corona-Krise löste jeder Lockerungsversuch Ängste aus und war öffentlich begründungspflichtig. Jetzt ist es andersherum, jeder weitere Tag der Einschränkungen muss öffentlich gerechtfertigt werden. Die Kanzlerin verpasst nicht zum ersten Mal einen solchen Kipppunkt im gesellschaftlichen Gefühlsklima; in der Flüchtlingspolitik 2015/16 war es genauso. Rätselhaft.
Eine ganze Reihe von Ministerpräsidenten, nicht nur ehrgeizige Nachfolge-Kandidaten, haben die wie verstockt wirkende Kanzlerin deswegen zum Jagen getragen, sie haben mehr Lockerungen durchgesetzt, als Merkel wollte. Die Länderchefs hatten das bessere Gespür für die Stimmung im Land, und die ist objektiv entscheidend für den Erfolg: Je mehr strenge lockdown-Regeln jetzt aufgehoben werden, umso mehr ist die Politik darauf angewiesen, dass die Bürger den Rest, der noch gilt, bereitwillig befolgen. Das hätte auch die Kanzlerin erkennen können, sie ist lange genug im Geschäft.
Allein: Wer daraus schließt, Angela Merkel sei nun abgemeldet, der irrt. Sie hat für die jetzt begonnene Phase der Corona-Politik größere Teile der Kontrolle abgeben müssen, aber das Eigentliche kommt ja noch. Demnächst geht es vor allem um die schier unendlich teuren Aufräumarbeiten, die Deutschland und Europa vermutlich sehr viel länger in Atem halten werden als die Pandemie selbst. Es werden beispiellose Konjunkturprogramme folgen, und wer dafür das Geld hat, der hat die Macht.
Die Bundesländer sind es nicht, das reiche Bayern nicht und das notorisch klamme Nordrhein-Westfalen schon gar nicht. Es ist der Bund, also die Große Koalition mit ihrer Mehrheit im Parlament. Es ist, in Deutschland und in Europa, die Bundesregierung und an ihrer Spitze die Kanzlerin. Markus Söder wie Armin Laschet sind hingegen bis auf weiteres Nachfolge-Kandidaten und Bittsteller zugleich. Besonders komfortabel ist das nicht - für die beiden.
Nikolaus Blome ist politischer Journalist in Berlin.
Quelle: ntv.de