Politik

Ein Parteichef on fire Merz balanciert zwischen Demut und Keilerei

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Will verhindern, dass sich der Parteitag über die Frauenquote zerstreitet: CDU-Chef Friedrich Merz.

(Foto: picture alliance/dpa)

Vor 1001 Delegierten beim Parteitag brilliert CDU-Chef Merz mit harscher Ampelkritik, fiesem Witz und - Selbstkritik. Ob das reicht, um drohende Konflikte vom Parteitag abzuhalten und ein Signal der Einigkeit zu senden?

Wie schwierig der Spagat an diesem Wochenende wird, das ist auf dem CDU-Parteitag in Hannover beinahe ständig präsent: Ein Jahr nach ihrer historischen Wahlschlappe wollen sich die Christdemokraten auf ihrem Parteitag in Hannover ihrer gemeinsamen Grundsätze versichern und Klarheit, Einigkeit und Modernität demonstrieren. Es ist dringend. Denn die Unzufriedenheit mit der Regierungspartei SPD zahlt in den Umfragen kaum auf das Konto der Union ein.

Aber gleichzeitig drängen die Probleme, die das Land verunsichern, so massiv in die Messehalle, dass jede Minute zu viel der Nabelschau sofort als ignorante Selbstverliebtheit empfunden werden könnte. In Europa tobt der Angriffskrieg auf einen souveränen Staat, Deutschland fürchtet eine Energiekrise im Winter, der Klimawandel tritt immer klarer auch hier zutage - und die CDU diskutiert ein Wochenende lang darüber, ob sie eine Frauenquote einführen will?

Friedrich Merz weiß, dass der Grat, auf dem die Partei an diesen beiden Tagen wandelt, schmal ist, und dass er derjenige sein muss, der mit seiner Rede zu Beginn des Parteitags die Richtung und auch den Schritt vorgibt. Er hat mit solchen Momenten, in denen die Worte sitzen müssen und die Funken überspringen, Erfahrungen - wenn auch keine guten. Zweimal in den vergangenen Jahren, als es für Merz um den Parteivorsitz ging, blieb er bei der entscheidenden Rede überraschend blass.

Doch diese Erfahrung lässt Friedrich Merz im September 2022 eindeutig hinter sich. Es gelingt ihm tatsächlich, eine Balance zu finden zwischen den unterschiedlichen Themen, die diesen Parteitag bestimmen müssen. Er bestätigt der Union die Einigkeit, die ihr zuletzt so dramatisch gefehlt hatte: Die Fraktion sei geschlossen wie selten zuvor, mit Markus Söder habe er sich "fest in die Hand versprochen", 2021 werde sich nicht wiederholen.

Merz feiert den Erfolg von Daniel Günther und Hendrik Wüst und bescheinigt den Sozialdemokraten in NRW, dem Bundesland, das sie doch selbst immer ihre "Herzkammer" genannt hätten, nicht weniger als einen Infarkt. 2022 könnte das erfolgreichste in der Geschichte der Partei werden, frohlockt der Parteichef, aber dann kommt die Bedingung: Das alles klappt laut Merz nämlich nur, wenn die Partei in den nächsten Wochen alles richtig macht. Richtig machen heißt, so führt er aus, "dass wir auf diesem Parteitag kluge Entscheidungen treffen". Man müsse sich mit der Partei, aber noch viel mehr mit den Problemen in Deutschland beschäftigen.

Denn, daran lässt Merz keinen Zweifel, der CDU darf es in diesen Zeiten keineswegs nur darum gehen, aus der Opposition wieder herauszufinden. Opposition sei eben nicht Mist, wie es SPD-Urgestein Franz Müntefering einst feststellte, sondern "Opposition kann etwas bewirken". Merz erzählt die Geschichte seines eigenen Parteieintritts, 1972, als die CDU ebenfalls in der Opposition war. Der Kanzler hieß Willy Brandt und machte sich gerade daran, per Vertrag mit der DDR die innerdeutschen Grenzen anzuerkennen und "gutnachbarliche Beziehungen" zu beginnen. Die Christdemokraten seien die einzigen gewesen, die ohne Wenn und Aber auf die Wiedervereinigung gesetzt hätten. Darum sei er damals eingetreten.

In einem Mix aus persönlicher Erzählung und zuweilen harscher Kritik an den Entscheidungen der Ampelkoalition gelingt es Merz, die CDU mit ihrer derzeitigen Rolle zu versöhnen und sie gleichzeitig bereits auf harten Kampf um die Macht einzuschwören. Er zitiert Richard von Weizsäcker, der als Bundespräsident in einer Rede im Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkriegs schon in den 1980ern gesagt hatte, die Jungen seien nicht verantwortlich für das, was geschah. Sie seien jedoch "dafür verantwortlich, was in der Geschichte daraus wird", so das Zitat. "Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass es einen deutschen Bundeskanzler nach diesem Satz noch einmal geben würde, der im Bundeskanzleramt schweigend hinnimmt", dass dort blanker Antisemitismus zum Ausdruck gebracht werde.

Der Anspielung auf den Besuch von Palästinenserpräsident Mahmut Abbas im August, dem es gelang, den Holocaust zu relativieren, ohne dass Olaf Scholz neben ihm widersprach, stellt Merz geschickt eine unionsgeführte Standhaftigkeit gegenüber. Da muss man gar nicht behaupten, Scholz sei kein überzeugter Vertreter der deutschen Staatsräson gegenüber Israel. Der Vergleich mit Weizsäcker reicht völlig aus.

Doch als säße sein Punkt noch nicht gut genug, als könnte der Zwischenapplaus noch lauter branden, setzt Merz noch eine Schippe drauf: "Olaf Scholz wird sich möglicherweise an diese Begegnung heute schon nicht mehr erinnern." Der beißende Humor lässt keinen Zweifel mehr aufkommen: Friedrich Merz ist in seinem Element und nutzt die Gelegenheit, um die schon erwähnte Verantwortung für das Lernen aus der deutschen Geschichte als Begründung dafür heranzuziehen, dass es eine Zusammenarbeit mit der AfD niemals geben werde. "Niemals".

Als Nächstes wendet sich Merz dem Ukrainekrieg zu, der nicht nur eine Zeitenwende, sondern ein "Epochenbruch" darstellen würde. Die CDU habe das große Paket über 100 Milliarden Euro für die eigene Verteidigung mitgeschnürt, "weil auch wir Verantwortung tragen dafür, dass die Bundeswehr nicht in dem Zustand ist, in dem sie sein sollte". Es wird nicht der einzige Punkt bleiben, an dem Merz Selbstkritik formuliert, aber zunächst einmal kann er elegant dazu übergehen, in die Kritik am Zaudern der Ampel einzustimmen: "Mit FDP und Grünen hätte ich eine Exportgenehmigung für 100 Marder-Panzer erteilt", sagt der CDU-Chef. Damit klar werde, "dass wir alles tun, um diesem Land zu helfen".

Auch beim Thema Versorgungssicherheit wird Merz der CDU eine Mitschuld am Energie-Debakel zuweisen. Deutschland habe sich zu abhängig von russischem Gas gemacht. "Das war ein Fehler", sagt Merz. "Eine große politische Dummheit. Das müssen wir korrigieren, daran waren wir auch beteiligt." Allerdings habe es bei der CDU nie eine solche politische Korruption gegeben wie bei der SPD, poltert Merz gleich darauf. Das Netzwerk sitze dabei nicht in Berlin, sondern "hier in Hannover".

Friedrich Merz versteht es, nach 16 Jahren in der Regierung, die klare Mitschuld der CDU an gravierenden Missständen einzugestehen, den Bogen dann jedoch weiter zu spannen hin zu lauter Kritik an der amtierenden Regierung. Das sorgt für Stimmung und die griffigen Schlagzeilen, die die CDU braucht, um zu zeigen: Wir sind nicht nur mit uns und unserer Vergangenheit beschäftigt, wir positionieren uns zu den Problemen der Gegenwart.

Schon im Zieleinlauf keilt Merz dann noch gegen die Öffentlich-Rechtlichen Sender und die Benutzung von Gendersprache in Universitäten. Zu dem umstrittenen Antrag auf die Frauenquote für CDU-Führungsposten, der noch am selben Abend verabschiedet werden soll und den Merz unterstützt: kein Wort.

Die Botschaft dieser Gewichtung ist unüberhörbar: Für den Parteichef ist die Quote alles andere als eine Herzensangelegenheit, sondern zähneknirschender, aber notwendiger Kompromiss, da der Frauenmangel in der Partei unübersehbar ist. Ein Ausweis von fehlender Modernität, den man sich heute nicht mehr leisten kann.

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Merz hofft darauf, dass sich der Parteitag, allen voran die Junge Union, die sich in großen Teilen gegen die Quote ausgesprochen hat, den vorgeführten Pragmatismus zu eigen macht und den Beschluss durchwinkt. Ob das wirkt, muss der spätere Abend noch zeigen. Seinen Antrag, das neue Amt einer stellvertretenden Generalsekretärin einzuführen und es mit der unbekannten Baden-Württembergerin Christina Stumpp zu besetzen, bringt Merz schon mal problemlos durch.

Da lässt er die Quotendebatte lieber außen vor und beschwört den Parteitag stattdessen nochmals, den Selbstfindungsprozess nicht zu groß werden zu lassen. Es "schauen sehr viele Wählerinnen und Wähler, nicht nur Mitglieder, auf uns", sie fragten sich, wie die CDU mit den Herausforderungen der Zeit umgehe. "Bitte ordnen sie es auch richtig ein", sagt er zum Schluss kommend, die "Beschäftigung mit uns selbst" sei notwendig, aber die Beschäftigung mit der Lage der Menschen sei notwendiger. Ob die CDU es schafft, dieses Signal von Hannover aus zu senden, wird man morgen wissen. Friedrich Merz zumindest hat mit seiner Rede die besten Voraussetzungen dafür geschaffen.

Quelle: ntv.de

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