Politik

Syrien spielt offenbar mit Wie Russland das ukrainische Getreide stiehlt

Russischer Soldat an einem Getreidefeld nahe Melitopol. Die Russen stehlen nicht nur die Ernte aus den besetzten Gebieten, sie verhindern auch die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über den Hafen Odessa.

Russischer Soldat an einem Getreidefeld nahe Melitopol. Die Russen stehlen nicht nur die Ernte aus den besetzten Gebieten, sie verhindern auch die Ausfuhr von ukrainischem Getreide über den Hafen Odessa.

(Foto: IMAGO/SNA)

Aus den besetzten ukrainischen Bezirken Cherson wird massenhaft Getreide auf die von Russland annektierte Krim ausgeführt. Offenbar haben die Russen Angst vor Anschlägen, denn die Transporter werden von russischem Militär begleitet.

Zehn Prozent des weltweiten Getreides kommt laut UN aus der Ukraine. Eine nicht unwesentliche Rolle spielen dabei die südukrainischen Bezirke Cherson und Saporischschja, die mittlerweile größtenteils von der russischen Armee besetzt sind. Schon seit einiger Zeit sprechen ukrainische Regierungsvertreter davon, dass Getreide von dort über die 2014 von Russland annektierte Halbinsel Krim ausgeführt wird. Dem ukrainischen Vize-Agrarminister Taras Wysozkyj zufolge wurden bis Anfang Mai 400.000 Tonnen Getreide aus den besetzten Gebieten ausgeführt.

Die russischen Besatzungsverwaltungen der Bezirke Cherson und Saporischschja machen gar kein Geheimnis aus diesem Diebstahl. Anfang Juni etwa gab der Chef der sogenannten militär-zivilen Verwaltung von Saporischschja offen zu, dass Wagen mit Getreide aus der besetzten Stadt Melitopol auf die Krim fuhren. Der stellvertretende Chef einer solchen Verwaltung in Cherson meinte Mitte Juni, dass die Warteschlangen an der "Grenze" zwischen Cherson und der Krim ein gutes Zeichen seien, weil so viel Getreide aus der Region Cherson auf die Halbinsel gebracht werde. Die prorussischen Kanäle auf Telegram gehen mit solchen Fällen noch offener um.

Ein Panzerwagen vorne, einer hinten

Nun fand das russischsprachige Programm der BBC heraus, wie genau das ukrainische Getreide von den Russen transportiert wird. Getreide aus den Bezirken Cherson und Saporischschja wird demnach grundsätzlich auf zwei Wegen ausgeführt, beide führen über die Krim. Zum einen wird das per Eisenbahn gemacht, in anderen Fällen werden spezielle Lastwagen benutzt. Die Besatzungsbehörden wollen zusätzlich noch den Hafen Berdjansk im Bezirk Saporischschja am Asowschen Meer dafür nutzen. Bislang ist der Hafen jedoch noch nicht frei von Minen.

Laut den BBC-Journalisten Andrej Sacharow und Marija Korenjuk ist ein Teil der Getreide-Lastwagen in der Ukraine registriert. Offenbar verfügen die Russen nicht über genug passende LKWs, denn seit Juni tauchen in den entsprechenden Telegram-Chats verstärkt Anzeigen auf, mit denen nach Transportern gesucht wird. Den Speditionen wird eine militärische Begleitung auf ukrainischem Territorium versprochen. Die Journalisten meldeten sich auf solche Annoncen: Angeboten wird konkret eine militärische Begleitung mit je einem Panzerwagen am Anfang und am Ende der Kolonne. In beiden Wagen sitzt ein Militär - und das Getreide wird nach Dschankoj im Norden der Krim gebracht.

Ukrainische Bauern wurden entführt

Während es aktuell unmöglich ist, Getreide auf das von Kiew kontrollierte Gebiet auszuführen, ist unklar, ob die Besatzer auch Getreide transportieren, das dem ukrainischen Staat direkt gehört - also etwa Getreide von staatlichen Firmen oder strategische Vorräte. Dazu gibt es widersprüchliche Angaben. Klar ist, dass es Bauern gibt, die das eigene Getreide mehr oder weniger freiwillig zu einem Preis abgeben, der zweieinhalb bis drei Mal unter dem Marktpreis liegt, damit es nicht ganz verloren geht.

Der Unternehmer Mychajlo Kumok, der mehr als einen Monat unter der Besatzung in Melitopol lebte, danach jedoch geflohen ist und viele Bauern kennt, sagt, dass diese - gerade solche, die eine proukrainische Position vertreten - entführt und in einen Keller gesperrt worden seien. Es scheint, als hätten die Russen anfangs vor allem auf Druck gesetzt, mit der Zeit aber verstanden, dass sie leichter an das Getreide kommen, wenn sie zumindest ein bisschen was dafür bezahlen.

Kumok hat im okkupierten Gebiet Getreidelastwagen und Speicher hinterlassen, in denen andere Bauern ihre Ernte abstellen konnten. Durch Überwachungskameras konnte er eine Weile beobachten, was dort passiert. So kamen fünf Personen dorthin, offenbar zwei Zivilisten und drei Soldaten, die alles untersuchten. Später schauten sich weitere Militärs in dem betreffenden Speicher um - und in der Nacht kamen schließlich Menschen in ziviler Kleidung, die seine Kameras zertrümmerten und mindestens 600 Tonnen Sonnenblumenkerne wegbrachten.

Das Getreide wird nach Syrien gebracht

Auf der Krim bleibt das gestohlene Erntegut nicht, denn nach Angaben des russischen Ministerpräsidenten der besetzten Halbinsel, Sergej Aksjonow, versorgt sich die Krim selbst. Die Ernte aus den südukrainischen Nachbarbezirken würde demnach nach Sewastopol gebracht, mittlerweile ein eigenständiger föderaler Bezirk im russischen Staatssystem, um von dort aus verkauft zu werden. Im Mai berichteten die ukrainischen Behörden, dass ein russischer Massengutfrachter vom Hafen in Sewastopol mit Getreide Richtung Ägypten fuhr. Doch dort wurde die Annahme der Ladung offenbar verweigert. Stattdessen fuhr der Frachter nach Syrien und kehrte dann ins Schwarze Meer zurück.

So wird das russische Getreide wohl entweder nach Russland oder nach Syrien gebracht, wo es vermutlich nicht notwendig ist, die Herkunft der Ware zu dokumentieren. Die Quellen der BBC bestätigen, dass es umso schwieriger ist, Getreide zu "legalisieren", je größer die Menge ist. Allerdings hat Russland bereits Erfahrung mit der Ausfuhr des Getreides aus den sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Auch dort wandte Moskau eine Reihe von Tricks an, um es als russisch verkaufen zu können - auch wenn es damals nur um sehr kleine Mengen ging und die Vertuschung viel einfacher war.

(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 28. Juni 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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