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Ukrainer trotzen Kreml-Truppen Militärexperte: Nicht Artilleriemunition ist das größte Problem

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Ukrainische Soldaten an der Front. Noch sträubt sich Kiew gegen eine groß angelegte Mobilmachung.

Ukrainische Soldaten an der Front. Noch sträubt sich Kiew gegen eine groß angelegte Mobilmachung.

(Foto: picture alliance / Anadolu)

Die ukrainischen Truppen halten der russischen Invasion nach wie vor stand. Nach einem Besuch an der Front warnt ein Militärexperte jedoch vor Personalmangel. Das Problem sei sogar noch größer als der Mangel an Artilleriemunition. Auch von fehlenden Verteidigungsanlagen wird berichtet.

Der Militäranalyst Franz-Stefan Gady hält nicht den Mangel an Artilleriemunition für die größte Herausforderung der ukrainischen Truppen im aktuellen Kampfgeschehen. In einem Interview mit tagesschau.de sagte der Analyst vom Institute for International Strategic Studies in London: "Das haben wir bei unserem letzten Besuch an der Front nicht als das Hauptproblem empfunden." Dies sei vielmehr der Personalmangel bei Kiews Truppen.

Gady sagte, er habe mit seinem Kollegen Mike Kofman errechnet, "dass die ukrainische Armee ungefähr 2.000 bis 3.000 Schuss pro Tag verschießen muss, um eine defensive Strategie aufrechtzuerhalten. Dafür hat die Ukraine derzeit noch genügend Artilleriemunition, obwohl die Feuerrate stetig abzunehmen scheint". Sollte das milliardenschwere Hilfspaket aus den USA im Repräsentantenhaus noch gebilligt werden, "kann es sich nur um Tage oder Wochen handeln, bis diese zusätzliche Munition ankommt", so Gady.

Militärexperte Oberst Reisner vom österreichischen Heer gab die Zahl der von den Ukrainern verschossenen täglichen Granaten im Gespräch mit ntv.de im Februar mit 2000 an - bei im Schnitt 10.000 russischen Geschossen. "Für die ukrainischen Truppen wird der Munitionshunger mehr und mehr zum größten Problem", sagte Reisner.

Ukrainische Soldaten an der Front klagten gegenüber ntv-Reportern mehrfach über fehlende Artilleriemunition. Das Institut für Kriegsstudien (ISW) warnte zudem kürzlich: manche Frontabschnitte seien besonders schlecht ausgestattet, weil das knappe Material an die am stärksten umkämpften Sektoren geleitet werde.

Gady: Kiew hätte auf Personalnot früher reagieren können

Militäranalyst Franz-Stefan Gady sagte tagesschau.de über die seiner Ansicht nach zentrale Herausforderung von Kiews Truppen, den Personalmangel: "Es ist das schwierigste Problem und kann nicht unmittelbar gelöst werden. Es dauert Monate, bis neue Truppen an die Front geschickt werden können und wird vermutlich nicht vor dem Ende des Sommers so weit sein. Sie müssen adäquat ausgebildet werden, denn der Einsatz schlecht ausgebildeter Soldaten erhöht die Gefahr hoher Verluste und verringert Motivation und Kampfkraft."

Das Personalproblem habe sich spätestens im vergangenen Herbst abgezeichnet und die Ukraine hätte früher reagieren können, so Gady. Die Kampfmoral soll dennoch "nach wie vor sehr hoch" sein. Auch wenn die Truppen sich fragen würden, was der nächste Schritt sei. "Im Vergleich zu meinem Besuch vor Beginn der Offensive vor einem Jahr ist eine gewisse fehlende Zielsetzung bemerkbar."

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Hintergrund ist, dass die Aussicht auf eine größere Offensive zur Befreiung von Gebieten - wie im letzten Sommer - derzeit nicht gegeben ist. Um zu überleben und den russischen Invasoren standzuhalten, werden von den Ukrainern stattdessen Verteidigungsanlagen ausgebaut. Doch das passiere zu spät, heißt es oft.

"Das ist das dritte und unmittelbare Problem, das wir erkennen konnten - fehlende Verteidigungsanlagen, die nicht systematisch ausgebildet worden sind", sagte Gady. Auch ntv-Reporterin Kavita Sharma traf kürzlich Soldaten, die Ähnliches berichteten. "Je tiefer man gräbt, umso besser wird es einem ergehen, umso eher bleibt man am Leben", erzählte ein Kämpfer. Doch der Ausbau der Anlagen sei von der Armeeführung versäumt worden.

Quelle: ntv.de, rog

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