Politik

Der Kongo erpresst die Welt Mit Panzerfäusten für den Artenschutz

Ein Wildhüter im Nationalpark Virunga nahe der Stadt Goma im Osten des Kongo.

Ein Wildhüter im Nationalpark Virunga nahe der Stadt Goma im Osten des Kongo.

(Foto: REUTERS)

Das Kongobecken in Afrika ist die zweitwichtigste grüne Lunge der Welt, der Kongo will sich ihren Erhalt möglichst teuer bezahlen lassen. Mittlerweile sind Nationalparks zu Festungen ausgebaut, Wildhüter terrorisieren die Einheimischen. Für den Westen ist die Rettung des Planeten ein Dilemma.

Dreißig mal dreißig, so lautet also die Formel, mit der die Welt gerettet werden soll. Das zum Abschluss des internationalen Artenschutzgipfels COP15 in Montreal vereinbarte Rahmenabkommen sieht vor, 30 Prozent der Land- und Meeresfläche des Planeten bis zum Jahr 2030 unter Schutz zu stellen. Das klingt eigentlich nach einem guten Plan.

Doch was dies in der Praxis konkret bedeutet, darüber ist bislang nur wenig bekannt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen in den nächsten Jahren bestehende Naturschutzgebiete zügig ausgebaut und neue gegründet werden. Betroffen sind davon nicht in erster Linie die Nationalparks im Schwarzwald oder der Sächsischen Schweiz, sondern die in den tropischen Regenwäldern, wo es die meiste Artenvielfalt gibt: im Amazonasgebiet in Südamerika, im afrikanischen Kongobecken, in den Wäldern Indonesiens. Im Globalen Süden also.

Dort soll nun das gerettet werden, was der Norden durch seinen Überkonsum zerstört hat. Bezahlen sollen das die westlichen Industriestaaten. Während der zweiwöchigen Verhandlungen in Kanada einigten sich die teilnehmenden Staaten auf eine Mobilisierung von insgesamt 200 Milliarden Dollar für Artenschutzvorhaben jährlich. Darunter fallen neben Transferzahlungen der reicheren Staaten an die Länder des globalen Südens private Investitionen sowie Gelder, die auf den Kapitalmärkten als Rendite großer Fonds eingespielt werden. Die entwickelten Länder des Nordens müssen von 2025 an jährlich 20 Milliarden Dollar an die Länder des globalen Südens überweisen, von 2030 an mindestens 30 Milliarden Dollar jährlich.

Fonds sollen laufende Kosten decken

Das geht den Regenwald-Ländern, allen voran dem Kongo, nicht weit genug. Kongos für den Naturschutz zuständige Vize-Premierministerin Eve Bazaiba hatte schon im Vorfeld des Gipfels mindestens 100 Milliarden Dollar jährlich von den Industriestaaten aus einem eigens dafür aufgesetzten, neuen Biodiversitätsfonds gefordert. Doch dieser kam nicht zustande. Das Geld soll nun über bereits existierende Fonds ausgezahlt werden, vor allem über den Fonds für die Globale Umweltfazilität (Global Environment Facility, GEF), der bereits 1991 gegründet wurde und in welchen die reichen Geberländer regelmäßig einzahlen.

Diese gewaltigen Fonds sind die neuesten Konzepte, wie eine mögliche Lösung des Problems langfristiger und nachhaltiger Finanzierung im Naturschutzsektor aussehen könnte: Statt permanent einzelnen Projekten alle paar Jahre eine kleine Förderungssumme zu überweisen, stellen bei diesen Fonds die Geberländer zu Beginn einmal Basiskapital in größeren Summen zur Verfügung, das dann an den großen Kapitalmärkten der Welt angelegt wird. Die Fondsmanager investieren das einbezahlte Kapital an den Börsen in London oder Frankfurt in Hedgefonds, Dividenden sowie verschiedene Anleihen. Aus den daraus erwirtschafteten Renditen sollen die Nationalparks weltweit ihre laufenden Kosten bewältigen, zum Beispiel die Gehälter der Wildhüter zahlen. Über diese Ansätze werden nicht mehr nur rein politische Lösungen angestrebt, sondern der globale Finanzmarkt soll in Zukunft zum Erhalt des Planeten beitragen, so die Idee.

Die Bundesregierung ist einer der größten Geber des GEF. Nutznießer sind bislang vor allem China, Brasilien, Indonesien, Indien und Mexiko. Der Kongo bekommt nur einen kleinen Teil davon.

Kongos Regierung erpresst die Weltgemeinschaft

Auch wenn Eve Bazaiba sich mit ihrer Forderung nach einem neuen Biodiversitätsfonds nicht durchsetzen konnte: Der Kongo, das große Land im Herzen Afrikas, ist ein Schwergewicht in den Verhandlungen zum Schutz der Artenvielfalt. Das Kongobecken ist das zweitgrößte, zusammenhängende Regenwaldgebiet des Planeten nach dem Amazonas und die wichtigste Lunge der Erde, da es mehr CO2 aufnimmt als es abgibt. Von den rund 180 Millionen Hektar Regenwald liegen zwei Drittel auf dem Gebiet der Demokratischen Republik Kongo, ein Land so groß wie Westeuropa.

Das setzte Kongos Regierung bei den Verhandlungen gezielt ein. Im Gegenzug hat Kongos Naturschutzbehörde ICCN, die neun Nationalparks und 80 Naturschutzreservate verwaltet, zugesagt, die unter Schutz stehende Landmasse zu erweitern: von derzeit 8 Prozent auf 15 Prozent des Landes. Das Territorium, das dann im Kongo unter Schutz stünde, entspräche der Fläche Deutschlands. Dieses Vorhaben ist entscheidend, um das 30x30-Ziel auf dem Planeten zu erreichen.

Bei den Verhandlungen kommt also um den Kongo niemand herum. Kongos Vize-Premierministerin Bazaiba hat den in Montreal ausgehandelten 30x30-Deal jedoch lautstark abgelehnt. Damit drohte das historische Rahmenabkommen, das eigentlich einstimmig beschlossen werden sollte, fast zu scheitern - oder zumindest seine Glaubwürdigkeit zu verlieren. In ihrer Rede drohte sie damit, sich bei den Vereinten Nationen zu beschweren. "Wir haben den Vertrag nicht unterschrieben", erklärte sie. Eine Umsetzung sei so nicht möglich. Der Grund: "Wir können diese Anstrengungen nicht ohne mehr Finanzmittel akzeptieren." Rückenwind bekam sie dafür von den Nachbarländern Kamerun und Uganda.

Flachland-Gorillas und Berggorillas als Geiseln

Kongos Regierung verlangt doppelt so viel Geld. Denn das ressourcenreiche Land hat enorme Finanzprobleme. Im Osten des Kongos herrscht derzeit wieder Krieg, die Regierung hat große Summen für den Kauf neuen Kriegsgeräts ausgegeben. Im nächsten Jahr stehen Wahlen an, und dafür müssen ebenso gigantische Summen ausgegeben werden, weil es kaum Finanzhilfe aus dem Ausland gibt. Sprich: Für Artenschutz hat die Regierung in Kongos Hauptstadt Kinshasa kaum einen Dollar übrig.

Kongos Naturschutzsektor wird schon von jeher fast vollständig aus dem Ausland bezuschusst. Hauptgeldgeber war bislang Deutschland. Seit über 30 Jahren finanziert die Bundesrepublik mit Geldern aus der wirtschaftlichen Zusammenarbeit Kongos Naturschutzbehörde ICCN sowie zahlreiche Nationalparks, darunter den Kahuzi-Biéga-Park im Osten des Landes mit seinen vom Aussterben bedrohten Flachland-Gorillas. Sie zahlt den dort angestellten Parkwächtern monatlich eine Prämie auf ihr mickriges Staatsgehalt, um sie zur Arbeit zu ermutigen. Dasselbe tut die EU im Nationalpark Virunga, wo die Berggorillas ihr letztes Refugium haben.

Die deutsche Förderbank KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) mit Sitz in Frankfurt hat schon 2013 einen großen Naturschutzfonds für den Kongo aufgesetzt, den sogenannten Okapi-Fonds, aus dessen Rendite sich die laufenden Kosten für die Nationalparks und die Gehälter der Wildhüter begleichen lassen sollen. 2018 wurde in Kinshasa ein Konto eröffnet, auf das die Zinsen aus dem aus steuerrechtlichen Gründen in London registrierten und ansässigen Fonds an ICCN ausbezahlt werden können. Die erste Kapitalspritze setzte die Weltbank 2019 mit 7,5 Millionen Euro, die KfW überwies 15 Millionen Euro. Ausbezahlt wurde aus diesem Fonds bislang jedoch noch kein einziger Cent. Der Grund: Kongolesische Wildhüter begehen in den Nationalparks immer wieder Übergriffe gegen die lokale und indigene Bevölkerung. Die Bundesregierung hat aus diesem Grund 2019 alle Gelder eingefroren und Bedingungen gesetzt, die ICCN bislang nicht vollständig erfüllt. Die Übergriffe gehen bis heute weiter.

ANZEIGE
Der grüne Krieg: Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat
20,00 €
Zum Angebot bei amazon.de

Und so braucht Kongos Regierung dringend Geld aus anderen Fördertöpfen. Dafür setzt sie nun alle möglichen Mittel ein: Erst vor wenigen Tagen hat sie einen alarmierenden Bericht herausgegeben, in welchem sie den Zustand der vom Aussterben bedrohten Berggorillas im berühmten Virunga-Nationalpark als extrem gefährdet bezeichnete. Rebellen haben den Nationalpark im Juni erobert. Es kommt immer wieder zu Gefechten im Lebensraum der seltenen Tiere. Kampfhubschrauber haben Bomben über dem Dschungel abgeworfen.

Um den Druck zu erhöhen, hat Kongos Regierung im Vorfeld des Montreal-Gipfels einen strategischen Schachzug unternommen: Sie hat im Juli weltweit Öl- und Gasfirmen zu einer Auktion eingeladen, sich Förderlizenzen für noch unerschlossene Vorkommen anzueignen. Darin enthalten waren auch zwei Ölfelder im Osten des Landes, die in den Virunga-Park hineinreichen, in welchem die Berggorillas leben. Der Virunga wird seit 2015 von der Europäischen Union mitfinanziert, sie hat seitdem über 100 Millionen Euro in den Park investiert und erst in diesem Jahr weitere Gelder zugesagt.

Bereits 2013 hatte es um diese Ölvorkommen im ältesten Naturschutzgebiet Afrikas einen internationalen Rechtsstreit gegeben. Damals verklagte die Naturschutzorganisation WWF Kongos Regierung, als die britische Ölfirma SOCO mit korrupten Methoden das Öl unter dem Virunga anzapfen wollte. Kongos Regierung hat das Verfahren verloren und musste Zugeständnisse machen: darunter die Zusage, nie wieder Förderlizenzen für Rohstoffe innerhalb der Naturschutzgebiete auszuweisen. Dass dies nun dennoch passiert ist, werten Experten als strategischen Schachzug, die Welt im Vorfeld des COP15-Gipfels erpressen zu wollen.

Mit Panzerfäusten durch den Dschungel

Auch aus anderen Gründen ist es gar nicht so einfach, die Nationalparks im Kongo zu erweitern und neue zu gründen. Denn die Bevölkerung rund um die Parks wächst rasant. Die von Jahrzehnten des Krieges gebeutelten Kongolesen haben immer weniger Ackerland für immer mehr hungrige Mägen zur Verfügung. Dadurch gelten die Menschen im Umfeld der Parks in den Augen westlicher Naturschutzorganisationen als Bedrohung, denn es gibt Probleme mit Wilderei. Tierschützer hatten vor zehn Jahren schon Alarm geschlagen, dass bald kein Elefant mehr auf dem Kontinent übrig sei, wenn nicht eine radikale Trendwende passiere.

Noch dazu ist der Osten des Landes, wo die vom Aussterben bedrohten Gorillas leben, seit über 25 Jahren Kriegsgebiet mit einem schwachen Staat, der kaum in der Lage ist, Natur- und Artenschutz angemessen zu betreiben. In den Nationalparks des Ostens hausen hunderte Milizen, die sowohl die Natur als auch die Tiere und die Menschen gefährden. Sie nutzen die Wildnis des Dschungels gezielt als Rückzugsgebiete.

Die logische Konsequenz der vergangenen Jahre war, die Nationalparks hochzurüsten. Kongo ging da mit bestem Beispiel voran: Die Wildhüter wurden von westlichen und israelischen Militärs im Kampf gegen Terroristen und Wilderer fit gemacht und mit Hochtechnologie wie Drohnen ausgestattet. Im Juli hat Kongos Tourismusminister angekündigt, die Parks unter die Hoheit des für Kriegsverbrechen berüchtigten Verteidigungsministeriums zu stellen, um die Gorillas zu verteidigen. Landesweit wurden Parkwächter rekrutiert und trainiert. Sie ziehen mittlerweile mit Panzerfäusten und Nachtsichtgeräten durch den Dschungel.

Gleichzeitig werden meterhohe, überwachte Zaunanlagen am Rande des Regenwalds über die Äcker der örtlichen Bauern errichtet, um die Tiere drinnen und die Menschen draußen zu halten. Der Virunga-Nationalpark im Ostkongo wurde mit europäischen Entwicklungsgeldern regelrecht zur Festung ausgebaut. Geholfen hat dies nichts: Als Rebellen den Park in diesem Jahr überrannten, mussten Parkverwaltung und Wildhüter fliehen.

Leidtragende sind die Indigenen wie die Batwa, auch Pygmäen genannt, deren ursprünglicher Lebensraum und Kultstätten nun abgeriegelt und mit Waffengewalt verteidigt werden. Rund um den von Deutschland finanzierten Nationalpark Kahuzi-Biéga im Ostkongo brannten Wildhüter in den vergangenen Jahren zahlreiche Batwa-Dörfer nieder, Kinder starben in den Flammen, Frauen wurden vergewaltigt - von genau den Wildhütern, deren mickrige Staatsgehälter mit deutschen Steuergeldern aufgestockt werden sollten, um sie zur Arbeit zu ermutigen. Die Bundesregierung musste jüngst nach Bekanntwerden der Vorfälle die Finanzierung für Kongos Nationalparks wieder einfrieren, weil Menschenrechtsstandards nicht eingehalten wurden. Kongos Regierung hat in Montreal auch deshalb noch mehr Geld verlangt, weil die Gelder aus Berlin und Frankfurt derzeit nicht fließen. Das passiert, wenn man die Umsetzung der Artenschutzvorhaben Staaten wie dem Kongo überlässt.

Im April erscheint Simone Schlindweins Buch "Der grüne Krieg: Wie in Afrika die Natur auf Kosten der Menschen geschützt wird - und was der Westen damit zu tun hat".

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen