Politik

"Das wird interessant" Mit den Referenden will Russland dem Westen Angst machen

Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hinterlässt Tod und Zerstörung.

Russlands Vernichtungskrieg gegen die Ukraine hinterlässt Tod und Zerstörung.

(Foto: picture alliance/dpa/AP)

Die Ergebnisse der Abstimmungen in den russisch kontrollierten Gebieten über einen Beitritt zu Russland stehen natürlich schon fest. Ziel der Übung ist es, Kiew und vor allem den Westen unter Druck zu setzen. Friedensverhandlungen werden so allerdings unwahrscheinlicher.

Ursprünglich wollte der Kreml die Referenden zum Beitritt der russisch kontrollierten "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk zu Russland erst nach der vollständigen Eroberung der beiden Bezirke inszenieren. Als mögliches Datum galt zuletzt der 4. November - der "Tag der Einheit des Volkes", Nationalfeiertag in Russland. Doch die russische Armee ist weit von der Einnahme der gesamten Oblast Donezk entfernt. Und nicht nur das: Nach der erfolgreichen Gegenoffensive im Bezirk Charkiw haben die Ukrainer sogar erste kleinere Erfolge in beiden Regionen.

Doch nun steht es fest: Zwischen dem 23. und dem 27. September werden nicht nur in den beiden Pseudo-Republiken, sondern auch in den großteils besetzten ukrainischen Bezirken Cherson und Saporischschja Scheinabstimmungen über den Beitritt zu Russland stattfinden. Weil die Kämpfe in all diesen Gebieten andauern, war bereits spekuliert worden, dass die Referenden nur online stattfinden könnten. Denis Puschilin, Chef der "Volksrepublik Donezk", sagte jedoch, für die Vorbereitung einer Abstimmung im Internet fehle die Zeit.

Die Ergebnisse der Abstimmungen stehen natürlich längst fest, und ebenso ist davon auszugehen, dass Russland die besetzten Gebiete nach den Annexionsreferenden schnell völkerrechtswidrig zu eigenem Territorium erklären wird. Angesichts der Gegenoffensive der ukrainischen Streitkräfte ist das wohl vor allem ein Erpressungsversuch gegenüber Kiew, aber auch gegen den Westen: Den Einsatz von Atomwaffen sieht die russische Militärdoktrin nur zur Verteidigung des eigenen Landes vor.

"Der Feind hat Angst und manipuliert auf primitivem Niveau"

Das russische Kalkül könnte lauten: Nach einer Annexion ukrainischer Landesteile, ob völkerrechtswidrig oder nicht, müssten die Ukraine und der Westen den Einsatz taktischer Nuklearwaffen auf dem Gebiet der Ukraine fürchten. Auch eine Erklärung des Kriegsrechts mit einer größeren Mobilmachung wäre leichter, wenn Moskau behaupten kann, die Ukraine wollte "russisches Territorium" erobern. Allerdings blieben auch die bisherigen vermeintlich ukrainischen Angriffe auf die Militärbasen auf der russisch besetzten Halbinsel Krim sowie in russischen Grenzregionen ohne größere Antwort.

In der Ukraine ist man etwas überrascht, dass Moskau es sich zutraut, Referenden zu inszenieren, ohne das Mindestziel der "Spezialoperation" - die Besetzung des gesamten Donbass - erreicht zu haben. Die Entscheidung sei Ausdruck der Angst Russlands vor einer krachenden Niederlage, sagte Andrij Jermak, der einflussreiche Chef des Büros des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. "Der Feind hat Angst und manipuliert auf primitivem Niveau", erklärte er. "Es ist naive Erpressung durch Drohungen mit 'Referenden' und 'Mobilmachungen' von Leute, die nur gegen Kinder und die Zivilbevölkerung Krieg führen können."

"Weder Fake-'Referenden' noch hybride 'Mobilmachungen' werden an der Sache etwas ändern", betonte auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba auf Twitter. "Die Ukraine hat das volle Recht, das eigene Territorium zu befreien, und wird das auch weiterhin tun, egal was Russland dazu sagt." Ähnlich kommentiert Präsidentenberater Mychajlo Podoljak: "Die Russen haben sich für eine asymmetrische Antwort auf unsere Gegenoffensive entschieden. Glaubt ihr, dass das illegale Referendum die HIMARS-Mehrfachraketenwerfer und die ukrainischen Streitkräfte auf dem Weg der Vernichtung der Besatzer auf unserem Land aufhalten wird? Seid ihr sicher, dass ihr die Zeit, die ihr für die Organisierung einer Flucht braucht, für eine neue Show aufwenden möchtet? Versucht es, das wird interessant."

Der Westen soll Druck auf Kiew ausüben

Der Kiewer Politikwissenschaftler Wolodymyr Fessenko nennt die Verkündung der Scheinreferenden eine "Manifestation der Hysterie und Panik aufgrund der Niederlagen der russischen Truppen in der Ukraine". Im Kreml gebe es Angst vor einer weiteren Demoralisierung und vor einer Flucht der eigenen Soldaten. "Diese Referenden beginnen bereits in drei Tagen. Das wird schlicht Betrug sein. Sie werden nicht nur politisch und rechtlich keine Bedeutung haben, auch für die Streitkräfte der Ukraine werden sie kein Hindernis darstellen", schreibt Fessenko auf seiner Facebook-Seite.

Die Aussagen des russischen Ex-Präsidenten Dmitri Medwedew, wonach Russland "alle Methoden der Selbstverteidigung" anwenden dürfe, hält der Politologe für reine Angstmache - nicht gegenüber der Ukraine, sondern gegenüber dem Westen. "Es ist ein Versuch, die Europäer mit der Androhung einer weiteren Eskalation einzuschüchtern. Dem Kreml zufolge sollte der Westen nun einen erhöhten Druck auf die ukrainische Führung ausüben, damit man Verhandlungen mit Moskau aufnimmt. Am Ende verschreckt Russland eher seine eigenen Bürger, die bei aller Putin-Loyalität nicht selber in der Ukraine kämpfen wollen."

Die Inszenierung der Referenden könnte zudem laut Fessenko zum Ende jeglicher Friedensverhandlungen mit Russland führen, auch wenn diese derzeit ohnehin nicht mehr geführt werden. "Präsident Selenskyj hat mehrmals betont: Eine Austragung von Pseudoreferenden auf besetztem Gebiet würde bedeuten, dass jegliche Verhandlungen mit Russland komplett vom Tisch sind. Der jetzige Krieg wird einen kompromisslosen Charakter annehmen."

Quelle: ntv.de

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