Aufruf kurz vor Tod geschrieben Mitstreiter veröffentlichen Nawalnys letzte Botschaft
14.03.2024, 17:56 Uhr Artikel anhören
Alexej Nawalny bat sein Team, einen Zufallsgenerator zu entwickeln, der unentschlossenen Wählern einen Kandidatennamen vorschlagen soll.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Kurz vor seinem Tod schreibt Alexej Nawalny einen Artikel über die anstehende Präsidentschaftswahl in Russland. Er weiß nicht, dass es sein letzter Aufsatz sein wird. Seine Mitstreiter bittet er, den Text kurz vor der Abstimmung zu veröffentlichen. Nun ist die Zeit dafür gekommen.
Das Team des Mitte Februar in einem russischen Gefängnis gestorbenen Oppositionellen Alexej Nawalny hat einen Artikel veröffentlicht, den der Politiker kurz vor seinem Tod verfasst haben soll. In dem nun erschienenen Text schreibt Nawalny darüber, wie die Russen bei der anstehenden Präsidentschaftswahl wählen sollen. Der Politiker habe seine Weggefährten gebeten, den Beitrag kurz vor der Abstimmung, die vom 15. bis 17. stattfindet, zu veröffentlichen, heißt es auf Nawalnys Website.
Im Artikel fordert Nawalny seine Anhänger auf, die von seinen Mitstreitern entwickelte App "Foton-2024" auf ihre Smartphones zu installieren und am 17. März um Punkt 12 Uhr in die Wahllokale zu kommen. Ihre Stimme sollen die Russen einem beliebigen Kandidaten geben - außer Wladimir Putin. Die App ist demnach eine Art Zufallsgenerator, der Menschen bei der Entscheidung helfen soll, die nicht wissen, neben welchem Namen sie ein Kreuz setzen sollen.
"Walross-Mutter" soll entscheiden
"Je nach Ihrem Weltbild können Sie davon ausgehen, dass der Gott, die Natur, das Chaos, der Kosmos, der Zufall oder die Walross-Mutter die Entscheidung für Sie getroffen hat", schreibt Nawalny über die App. Die Walross-Mutter ist eine Gottheit, die unter Schamanen der fernöstlichen Tschuktschen-Halbinsel verehrt werden soll.
"Ihr leidet, und mir geht es gut. Ich habe dieses Problem nicht - Häftlinge dürfen nicht wählen", schreibt Nawalny ironisch mit Blick auf die anstehende Wahl, zu der kein einziger Putin- oder Kriegsgegner zugelassen wurde. Bei drei Kandidaten, die den Kremlchef herausfordern wollen, handelt es sich um kaum bekannte Funktionäre, die die Putin-Politik und die Invasion in die Ukraine unterstützen. Kriegsgegner Boris Nadeschdin wurde wegen einer angeblich zu hohen Fehlerquote in den für eine Kandidatur notwendigen Unterschriftenlisten von der Teilnahme ausgeschlossen.
"Alle wählen, die nicht Putin sind"
Nawalny betont in seinem Artikel, dass es seiner Meinung nach "klug wäre, alle zu wählen, die nicht Putin sind, und zwar gleichmäßig, ohne jemanden hervorzuheben". Er hoffe, dass die neue App "Ihnen bei der Entscheidung hilft, was Sie am 17. März mittags tun sollen, wenn Sie schon zur Wahl gekommen sind", heißt es im Beitrag. Die Anwendung solle "uns von der sinnlosen Diskussion darüber, wen wir wählen sollen, abbringen. Sie werden beweisen, wie viele es in Russland gibt, die Putin nicht für eine fünfte Amtszeit wollen", so Nawalny weiter.
Nawalnys Mitstreiter rufen Putin-Gegner seit Wochen dazu auf, sich am kommenden Sonntag um 12 Uhr vor den Wahllokalen zu versammeln. "Wir müssen den Wahltag nutzen, um zu zeigen, dass wir hier sind und dass wir viele sind", sagt Julia Nawalnaja, die Witwe des Oppositionellen, in einem Video. Die Aktion solle zeigen, "dass Putin nicht gleichbedeutend mit Russland ist, dass es keine Unterstützung für den Krieg in der Gesellschaft gibt", erklärte der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow Anfang Februar im ntv.de-Interview. Der im litauischen Exil lebende Wolkow wurde am Dienstagabend in Vilnius von einem Unbekannten angegriffen und schwer verletzt. Der litauische Geheimdienst geht davon aus, dass es sich wahrscheinlich um "eine von Russland organisierte und durchgeführte Operation" gehandelt hat.
Nawalny war nach Angaben der russischen Behörden am 16. Februar in einem russischen Straflager nördlich des Polarkreises gestorben, wo er eine 19-jährige Haftstrafe absaß. Den russischen Angaben zufolge starb der 47-Jährige eines "natürlichen Todes", die genauen Umstände sind allerdings weiter unklar. Nawalnys Anhänger und zahlreiche westliche Politiker machen die russische Führung und Präsident Putin für den Tod des Oppositionellen verantwortlich.
Quelle: ntv.de, uzh