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Nadeschdin tritt gegen Putin an Kann dieser Mann dem Kreml gefährlich werden?

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Er ist gegen den Krieg in der Ukraine und für die Normalisierung der Beziehungen mit dem Westen: Boris Nadeschdin will bei der Präsidentschaftswahl in Russland Wladimir Putin herausfordern. Auf den Sieg hat er zwar keine Chance. Und doch birgt seine Kandidatur ein Risiko für den Kreml.

Lange Schlangen in Moskau, lange Schlangen in Sankt Petersburg. Auch in vielen anderen russischen Städten von Wladiwostok bis Kaliningrad standen in den vergangenen Tagen Tausende Menschen zum Teil stundenlang an, um mit ihrer Unterschrift den einzigen Kriegsgegner unter den verbliebenen Präsidentschaftskandidaten zu unterstützen.

Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Boris Nadeschdin will Wladimir Putin bei der Wahl Mitte März herausfordern. Um antreten zu dürfen, muss der 60-Jährige, genauso wie jeder andere Kandidat, mindestens 105.000 Unterschriften aus verschiedenen Regionen bei der Wahlkommission vorlegen. Diese Marke hat der Politiker bereits übertroffen: Laut Nadeschdins Website hat sein Team inzwischen mehr als 158.000 Unterschriften gesammelt.

Dabei kam seine Kampagne, eigentlich schon im Herbst gestartet, erst in den vergangenen Tagen richtig in Schwung, als zahlreiche Exil-Oppositionspolitiker und Aktivisten dazu aufriefen, Nadeschdins Kandidatur zu unterstützen. Unter anderem mehrere prominente Mitstreiter des inhaftierten Oppositionellen Alexej Nawalny, aber auch der bekannte Kremlkritiker Michail Chodorkowski, appellierten an die Russinnen und Russen, ihre Antikriegsposition mit einer Unterschrift für Nadeschdin zum Ausdruck zu bringen.

Häufiger Gast im Propaganda-TV

Gleichzeitig wird die Kandidatur Nadeschdins bei der Opposition mit Skepsis betrachtet. Er sei ein Politiker "mit einer langen und kontroversen Geschichte", sagte etwa Iwan Schdanow, Leiter der Nawalny-Stiftung gegen Korruption, auf Youtube.

Zwar galt Nadeschdin als enger Verbündeter des 2015 ermordeten Putin-Gegners Boris Nemzow, außerdem ist er einer der wenigen, der sich traut, den Angriff auf das Nachbarland öffentlich zu kritisieren. So forderte er bereits im September 2022 in einer Sendung des Propaganda-Senders NTW umgehende Friedensgespräche. Im Mai 2023 rief er - ebenfalls in einer Talk-Show auf NTW - dazu auf, "das derzeitige Regime" abzuwählen, um "die Geschichte mit der Ukraine" zu beenden und die Beziehungen mit Europa zu normalisieren. Angesichts der Verfolgung, der Andersdenkende in Russland ausgesetzt werden, erscheinen solche Aussagen auf den ersten Blick mutig.

"Eine Art Prügelknabe"

Doch wie kann es sein, dass ein Mann, der solche Positionen vertritt, nicht wie zahlreiche andere Regierungskritiker verfolgt wird und im Gegenteil sogar regelmäßig in Polittalks eingeladen wird? Darin sehen viele Beobachter einen Hinweis darauf, dass Nadeschdin Teil des Kreml-Systems ist und nach einem vorgeschriebenen Szenario agiert. Im Fernsehen bestehe seine Aufgabe darin, "die aus Kreml-Sicht falschen Positionen zu vertreten, um als ein Buhmann, als eine Art Prügelknabe zu agieren", sagt Osteuropa-Experte Alexander Friedman im Gespräch mit ntv.de.

Die Kritik, die Nadeschdin äußert, dürfe dabei nicht einen vorgegebenen Rahmen überschreiten, so der Historiker, der Zeitgeschichte und Osteuropäische Geschichte an den Universitäten in Saarbrücken und Düsseldorf lehrt. "Dass er zum Beispiel sagt, dass die Krim der Ukraine gehört, so etwas kann man von ihm nicht erwarten." Den russischen Angriffskrieg bezeichnet der 60-Jährige vorsichtig als "militärische Spezialoperation", diese sieht er jedoch als einen "fatalen Fehler" Russlands.

Hoffnungsloser "Hoffnungsträger"

Dass Nadeschdin auch nur eine kleine Chance hat, die Wahl gegen Putin zu gewinnen, gilt als ausgeschlossen. Zumal die Behörden ihm jederzeit die Kandidatur verweigern können. So wurde etwa im Dezember die Bewerberin Jekaterina Dunzowa noch vor ihrer offiziellen Registrierung aus dem Rennen geworfen. Friedman hält Nadeschdin für eine vom Kreml geplante Kandidatur, um einen angeblich demokratischen Charakter der Wahl zu unterstreichen und gleichzeitig zu testen, ob Antikriegspositionen in Russland auf Zustimmung stoßen.

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Für den Kreml birgt dieser Test zwar auch das Risiko einer Mobilisierung der Regimegegner. Doch mit einer breiten Protestbewegung sei nicht zu rechnen, sagt der Experte. "Es gibt keinen Anführer, keine charismatische Figur", so Friedman. "Das ist auch die größte Schwäche der russischen Opposition". Nadeschdin sei nicht der Mensch, der Russinnen und Russen dazu aufrufen würde, gegen die Regierung auf die Straße zu gehen. Außerdem sei es den Putin-Gegnern klar, dass sie eine Minderheit sind. "Sie wissen, dass die Wahl nichts ändert, dass der Krieg fortgesetzt wird. Aber das ist für sie zumindest eine Möglichkeit, relativ sicher ihre Positionen zum Ausdruck zu bringen."

Nadeschdin, dessen Nachnamen man ins Deutsche grob als "Hoffnungsträger" übersetzten kann, werde von Teilen der russischen Bevölkerung tatsächlich als Hoffnungsschimmer angesehen, sagt Friedman. Doch in erster Linie sei es der Westen, "der ohnehin immer mit Hoffnung nach Russland schaut", der mit ihm eine Chance auf Veränderungen im Kreml verbindet. "In Wirklichkeit ist er doch ein ziemlich hoffnungsloser 'Hoffnungsträger'".

Quelle: ntv.de

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