Politik

Putin, Ukraine, Europa Wie gefährlich ist die Atom-Übung der NATO?

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Ein B-52-Langstreckenbomber der US Air Force (USAF).

(Foto: dpa)

Dass die NATO den Einsatz von Atomwaffen übt, wäre in normalen Zeiten eine Randnotiz. Angesichts von Putins Atomdrohungen entfaltet das Manöver "Steadfast Noon"  eine ganz andere Wirkung. Auch wenn die NATO sich betont defensiv zeigt.

Erst vor wenige Wochen spielte Russlands Präsident Wladimir Putin wieder die Nuklear-Karte. Nach der Annexion mehrerer ukrainischer Gebiete sagte er, Russland habe alle Mittel, einen Angriff auf sein Territorium abzuwehren. "Das ist kein Bluff", so der Präsident. Atomwaffen erwähnte er gar nicht - die Botschaft wurde aber dennoch als Drohung genau damit aufgefasst.

An diesem Montag beginnt etwas, das wie eine Antwort darauf wirken könnte. Die NATO startet ihr großes Manöver "Steadfast Noon" und trainiert dabei einen Atomschlag gegen Russland. Eskaliert hier gerade etwas?

Die kurze Antwort: Nein. Jedenfalls erstmal nicht. Die NATO betont, dass es sich um ein jährliches Manöver handelt und vor allem keine echten Waffen dabei eingesetzt werden. Außerdem finde das Manöver rund 1000 Kilometer von der russischen Grenze entfernt statt, über Belgien, der Nordsee und Großbritannien.

"Das ist ganz sicher kein Zeichen an Russland oder eine Antwort auf Putins Atomdrohungen", sagt Barbara Kunz ntv.de dazu. Die Politikwissenschaftlerin forscht am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg. "Diese Manöver gibt es seit Jahren. Das sind eingeübte Rituale aus dem Kalten Krieg."

Brauß: Bloß kein "Einknicken vor Russland"

Der frühere Generalleutnant der Bundeswehr, Heinrich Brauß, spricht ntv.de gegenüber ebenfalls von einer "Verfahrensübung". Er sieht aber in dem Manöver zumindest ein Signal der Entschlossenheit, sich nicht vom russischen Säbelrasseln einschüchtern zu lassen. Zumal, wie der heutige Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) betont, eine Absage des Manövers als ein "Einknicken vor einer russischen Atomdrohung verstanden worden wäre, auch in Russland".

Die NATO scheint bemüht, "Steadfast Noon" nicht wie eine Provokation wirken zu lassen. Das Bündnis gab anders als zuvor in diesem Jahr sogar eine Pressemitteilung heraus. Darin heißt es, die "fundamentale Absicht der Nuklear-Fähigkeit der NATO ist es, den Frieden zu bewahren, Gewalt zu verhindern und Aggression abzuschrecken" - ein Zitat aus dem neuen Strategiekonzept der NATO, das im Juni dieses Jahres auf einem Gipfel in Madrid entstand. Darin rückte Russland wieder stärker ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Die NATO betont also, dass es ihr nur um Verteidigung geht - und nicht darum, Russland zu bedrohen, wie es Putin seit Jahren behauptet. Doch aus der Pressemitteilung spricht auch Entschlossenheit: "So lange es Atomwaffen gibt, bleibt die NATO eine Nuklear-Allianz", heißt es dort. Ein Sprecher des deutschen Verteidigungsministeriums sagte an diesem Montag: "Wir finden das auch sehr wichtig, dass wir im NATO-Rahmen klarmachen, wie unsere Verteidigungsfähigkeiten sind."

Europäische Flugzeuge mit amerikanischen Bomben

Dabei ist die Frage, ob ausgerechnet dieses Manöver den Kreml besonders beunruhigt. Denn bei "Steadfast Noon" geht es um die Nukleare Teilhabe. Kurz gesagt verbirgt sich dahinter, dass europäische, auch deutsche, Flugzeuge mit amerikanischen Atombomben nach Russland fliegen und sie dort abwerfen können. Die letzte Befehlsgewalt läge bei den Amerikanern.

Kunz sieht in dieser Taktik ein "Relikt des Kalten Krieges". "Sollte es jemals zu einem Atomkrieg kommen, würde die Nukleare Teilhabe dabei keine Rolle spielen", sagt sie. "Einfach formuliert: Die Zeiten, in denen man mit einem Flugzeug losfliegt, um über Moskau eine Bombe abzuwerfen, die sind vorbei. So ein Flugzeug würde abgeschossen, sobald es die Grenze erreicht."

Es stimmt, dass ein Atomkrieg heute mit Interkontinental-Raketen geführt werden würde. Die werden von Abschussrampen in den USA oder von Atom-U-Booten abgefeuert. Sie können Atomraketen von überall abfeuern. Kunz zufolge geht es bei der aktuellen Übung vor allem darum, innerhalb der NATO Vertrauen zu schaffen. "Nukleare Teilhabe dient dazu, den europäischen Alliierten zu versichern, dass die USA an ihrer Seite stehen." Das sei "Symbolpolitik nach innen".

Doch es gibt auch andere Ansichten. Der frühere Generalleutnant Brauß stimmt zwar zu, dass es bei der Übung "Steadfast Noon" auch darum geht, die Geschlossenheit der NATO-Partner in Nordamerika und Europa zu demonstrieren. Gerade deshalb ist für ihn, wie er ntv.de gegenüber betont, die Nukleare Teilhabe alles andere als obsolet.

Auch russische Atom-Übung erwartet

Sollte Russland die NATO in Europa angreifen und zugleich mit Atomwaffen bedrohen, biete sie die Option, Moskau mit einer atomaren Gegendrohung von Europa aus zu konfrontieren. Dabei wäre der Umstand, dass Amerikaner und Europäer eine solche gefährliche Mission gemeinsam ausführen würden, für die Geschlossenheit des Bündnisses und die Glaubwürdigkeit der Abschreckung von besonderer Bedeutung.

"Dadurch, dass amerikanische Bomben mit europäischen Kampfflugzeugen transportiert und Russland treffen würden, müsste Russland dann eigentlich mit einem Schlag gegen die USA antworten", sagt er. "Da das aber wiederum den strategischen Nuklearkrieg zwischen Russland und Amerika und damit die gegenseitige Auslöschung zur Folge haben könnte, würde Russland davor zurückschrecken." So das Szenario, bei dem man nie genau weiß, ob es tatsächlich so käme, wie Brauß einräumt. Aber allein das damit verbundene Risiko für Russland selbst, so Brauß, wäre für Moskau untragbar hoch. "Fazit: Die Nukleare Teilhabe bleibt ein wesentliches Element der Abschreckungsstrategie der NATO, um Krieg und Erpressung zu verhindern.“

Es ist nicht sicher, dass Russland die Übung nicht doch als Bedrohung auffasst - oder das zumindest so sagt. "Die Russen sagen seit Jahren, sie fühlten sich von der NATO und den USA bedroht", sagt Kunz. Man könne zwar sagen, das sei unbegründet und das die Übung nicht als Drohung gemeint sei. "Aber Russland kann sie als weiteren Baustein für die vermeintliche Bedrohung verbuchen."

Doch auch Russland dürfte demnächst selbst ein Atomwaffen-Manöver unter dem Titel "Grom" ("Donner") abhalten. Auch das beunruhigt Kunz nicht, denn auch das gebe es seit Jahrzehnten. Entwarnung gibt sie dennoch nicht. "Die Gesamtlage ist brenzlig. Wir wissen weder, wie der Angriffskrieg auf die Ukraine weiter geht, noch wie er enden wird. Mich beunruhigt eher, dass es für Russland nicht gut läuft. Ein Putin, der sich in die Ecke gedrängt fühlt, ist aus meiner Sicht gefährlicher." Man wisse nicht, was er tun werde. Brauß setzt darauf, dass er die Logik der nuklearen Abschreckung weiterhin respektiert. Deren Gefahren müssten selbst Putin Respekt abverlangen.

(Dieser Artikel wurde am Montag, 17. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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