"Scharfe Munition abgefeuert" NGO zählt Dutzende tote Demonstranten im Iran
26.09.2022, 23:50 Uhr
Trotz Hunderter Festnahmen reißen die Proteste im Iran nicht ab.
(Foto: via REUTERS)
Die iranische Regierung geht gewaltsam gegen Protestierende im Land vor. Iran Human Rights meldet mindestens 76 Todesfälle - und damit deutlich mehr als die staatlichen Behörden. Die NGO spricht von "Tötung und Folter". Außenministerin Baerbock fordert neue Sanktionen gegen Teheran.
Beim harten Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten im Iran sind nach Angaben der in Oslo ansässigen NGO Iran Human Rights (IHR) mindestens 76 Menschen getötet worden. Von der Organisation erlangte Videoaufnahmen und Sterbeurkunden zufolge werde "scharfe Munition direkt auf Protestierende abgefeuert", erklärte IHR-Direktor Mahmood Amiry-Moghaddam. Trotz Hunderter Festnahmen und massiver Drohungen seitens der Regierung reißen die Proteste im Iran nach dem Tod der jungen Mahsa Amini nicht ab.
Amiry-Moghaddam rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, "entschieden und vereint konkrete Schritte" gegen die "Tötung und Folter" von Demonstranten zu unternehmen. Der Organisation zufolge seien in 14 Provinzen des Landes Todesfälle gezählt worden, 25 allein in Masandaran am Kaspischen Meer. In Teheran seien drei Tote zu beklagen, hieß es.
Iranische Behörden meldeten mehr als 1200 Festnahmen und mindestens 41 Tote, darunter zahlreiche Sicherheitskräfte. "Bei den Unruhen in den vergangenen Tagen wurden in Masandaran 450 Randalierer festgenommen", erklärte der Generalstaatsanwalt der nordiranischen Provinz, Mohammed Karimi laut der staatlichen Nachrichtenagentur Irna. In Masandaran hätten "Randalierer" "Regierungsgebäude angegriffen und öffentliches Eigentum beschädigt", sagte Karimi. Örtlichen Medienberichten zufolge skandierten die Demonstranten regierungsfeindliche Parolen.
Laut von IHR veröffentlichten Bildern riefen Demonstranten in Teheran "Tod dem Diktator" und forderten den Sturz von Irans geistlichem Führer Ayatollah Ali Chamenei. Die Bereitschaftspolizei schlug mit Schlagstöcken auf Demonstranten ein, Studenten zerrissen große Fotos Chameneis und seines Vorgängers Ayatollah Chomeini, wie aus neuen Videos hervorgeht, die von der Nachrichtenagentur AFP veröffentlicht wurden. Protestierende warfen Steine, zündeten Polizeiautos an und setzten öffentliche Gebäude in Brand. Andere Bilder zeigten in mehreren Städten Frauen, die ihre Schleier ablegten und anzündeten oder sich symbolisch die Haare abschnitten.
Die Nachrichtenagentur Tasnim veröffentlichte am Montag rund 20 Fotos von Demonstranten, darunter Frauen, in der für Schiiten heiligen Stadt Ghom südlich von Teheran. Das Militär hatte die Einwohner aufgefordert, die "Anführer der Unruhen" auf Bildern zu identifizieren und "die Behörden zu informieren".
Iranischer Botschafter einberufen
Angesichts der Gewalt gegen die Demonstranten bestellte die Bundesregierung den iranischen Botschafter ein. "Wir fordern die iranischen Behörden auf, friedliche Proteste zuzulassen und keine weitere - und erst recht keine tödliche - Gewalt gegen Demonstrierende anzuwenden", teilte das Auswärtige Amt in Berlin auf Twitter mit. Das sei auch dem iranischen Botschafter direkt mitgeteilt worden.
Außenministerin Annalena Baerbock forderte neue Sanktionen gegen den Iran. "Wir werden im EU-Kreis jetzt sehr schnell über weitere Konsequenzen sprechen müssen, dazu gehören für mich auch Sanktionen gegen Verantwortliche", sagte die Grünen-Politikerin. "Der Versuch, jetzt friedliche Proteste mit noch mehr tödlicher Gewalt zu unterdrücken, darf nicht unbeantwortet bleiben", ergänzte sie. "Frauenrechte sind der Gradmesser für den Zustand einer Gesellschaft. Wenn in einem Land Frauen nicht sicher sind, ist niemand sicher."
Kanadas Regierungschef Justin Trudeau kündigte bereits an, Sanktionen gegen ein Dutzend iranische Beamte und Einrichtungen zu verhängen, darunter die Sittenpolizei. Auslöser der landesweiten Proteste war der Tod der jungen Kurdin Mahsa Amini nach ihrer Festnahme durch die Sittenpolizei. Amini war am 13. September wegen des Vorwurfs festgenommen worden, das islamische Kopftuch nicht den strikten Vorschriften entsprechend getragen zu haben. Sie brach nach ihrer Festnahme unter ungeklärten Umständen auf der Polizeiwache zusammen und wurde drei Tage später im Krankenhaus für tot erklärt.
Quelle: ntv.de, chf/AFP/dpa