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Nach Eklat im Oval Office Schock und Ratlosigkeit in Kiew

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Hier hätte das Rohstoff-Abkommen unterzeichnet werden sollen. Dazu kam es nicht mehr. Nach US-Medienberichten warf Trump Selenskyj aus dem Weißen Haus.

Hier hätte das Rohstoff-Abkommen unterzeichnet werden sollen. Dazu kam es nicht mehr. Nach US-Medienberichten warf Trump Selenskyj aus dem Weißen Haus.

(Foto: REUTERS)

"Es war idiotisch, sich vor laufenden Kameras mit Trump zu streiten", sagt ein Oppositionspolitiker in Kiew. Insgesamt überwiegt allerdings die Solidarität mit Präsident Selenskyj. "Das Wichtigste für einen Präsidenten ist, den Respekt seines Volkes nicht zu verlieren", schreibt ein sonst eher Selenskyj-kritisches Medium.

Niemand in der Ukraine hatte ernsthaft erwartet, dass die erste Reise von Präsident Wolodymyr Selenskyj in die USA seit dem Regierungsantritt von Donald Trump ein Riesenerfolg wird. Aber auf einen kleinen diplomatischen Fortschritt hatte man in Kiew schon gehofft.

Rund zwei Wochen lang hatte die ukrainische Staatsführung mit der Trump-Regierung hart, aber fair über das aus Kiewer Sicht ursprünglich völlig inakzeptable Rohstoffabkommen verhandelt. Am Ende wurde daraus ein Rahmenvertrag, der grundsätzlich den ukrainischen Interessen Rechnung trug. Auch Trump hätte das Abkommen seiner Wählerschaft als großen Erfolg verkaufen können. Die Unterzeichnung hätte auch die persönlichen Beziehungen zwischen Selenskyj und Trump leicht verbessern können.

Solche Hoffnungen sind nun Schnee von gestern. "Es war der schwärzeste Tag in den 33 Jahren der amerikanisch-ukrainischen Beziehungen", bewertet Mykola Beleskow vom Nationalen Institut für strategische Studien die Ergebnisse des gescheiterten Treffens in Washington. Weder fanden bilaterale Verhandlungen zwischen Selenskyj und Trump statt, noch wurde das Abkommen unterzeichnet. Nach dem Eklat im Oval Office gab der ukrainische Präsident noch Fox News, einem der Lieblingssender Trumps, ein Interview. Dann flog er nach London, wo er sich morgen mit zahlreichen europäischen Staats- und Regierungschefs treffen wird. Wieder einmal muss die Ukraine erleben, dass das Worst-Case-Szenario Realität wird. Wieder einmal ist der verhaltene Optimismus enttäuscht worden.

"Noch ist es keine Katastrophe"

Denn für Kiew war im Voraus klar, dass Selenskyj bei Trump allenfalls Schadensbegrenzung betreiben könnte. Dass der US-Präsident seine Rolle als vermeintlich objektiver Vermittler zwischen der Ukraine und Russland aufgibt und sich klar auf die Seite Kiews stellt, war nicht zu erwarten. Zu hoffen war aber, dass Trump die militärische Unterstützung der Ukraine als Druckmittel nutzt - nicht als Druckmittel gegen Selenskyj, sondern gegen Putin. Diese Hoffnung bleibt vorläufig bestehen.

Dass die USA weiterhin Waffen an Kiew verkaufen, in welcher Form auch immer, ist für die Ukraine Priorität Nummer eins. Denn dass die finanziellen Hilfen der USA an Kiew von Trump eingestellt werden könnten, war schon vor seiner Inauguration zu erwarten.

"Die Beziehungen, die sich gerade erst zu verbessern begannen, geraten im Live-Fernsehen ins Trudeln", schreibt der renommierte Journalist Serhij Sydorenko in der "Ukrajinska Prawda". "Kann man hier von einer Katastrophe sprechen? Vorerst nicht", so Sydorenko. Das soll wohl heißen: Es hätte noch schlimmer kommen können. Dass Trump seine Rhetorik nach dem gescheiterten Treffen nicht weiter eskaliert und Raum für eine weitere Zusammenarbeit gelassen habe, sei als vorsichtig positives Zeichen zu werten. "Wir können jetzt mit Sicherheit lediglich sagen, dass sich die Zeit der Unsicherheit, die unter Trump in den letzten Wochen eingesetzt hat, am letzten Tag des Winters radikal verschärft hat. Die Ukraine kann diese Probleme nur mit ihren europäischen Freunden und Partnern überwinden." Daher sei das Treffen in London an diesem Sonntag auch so wichtig.

Schock und Ratlosigkeit

Die Stimmung in der Ukraine lässt sich als eine Mischung von Schock und Ratlosigkeit beschreiben. Zugleich sorgt die Art und Weise, wie Selenskyj angesichts des Drucks aus den USA dagegenhält, für Lob in ganz unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft. "Das Wichtigste für den Präsidenten eines Landes ist, den Respekt seines Volkes nicht zu verlieren. Unser Präsident hat diesen nicht verloren", schreibt die Journalistin Olha Duchnitsch vom eher Selenskyj-kritischen Medium NV. "Über den anderen Präsidenten würde ich das nicht sagen."

"Ich kann mir nur vorstellen, wie schlecht es Wolodymyr Selenskyj menschlich gesehen im Moment geht", betont der bekannte Moderator Wadym Karpjuk, der auch nicht zwingend zu den größten Unterstützern des Präsidenten gehört. Selenskyj hätte auch eine andere Haltung einnehmen können. Aber dann "hätte uns das Ergebnis nicht gefallen", so Karpjuk. Selenskyj sei in der Tat emotional gewesen. Vielleicht bereue er das jetzt sogar. "Aber in diesem Moment war er die Verkörperung der meisten von uns. Und wir, die Bürger, sind die wichtigste Kraft, auf die sich der Präsident in einem so schwierigen Moment verlassen kann."

Allerdings gibt es aus der Opposition auch kritische Stimmen, die fragen, ob Selenskyj sich im Oval Office nicht weniger emotional hätte verhalten können. "Es war absolut idiotisch, sich mit dem Präsidenten der USA vor den Kameras zu streiten. Das kann und muss man vielleicht tun, aber sicher nicht vor den Kameras", betont der Parlamentsabgeordnete Oleksij Hontscharenko von der Partei Europäische Solidarität, einer der schärfsten Kritiker Selenskyjs, der mit Blick auf ihn meist auch sonst keine diplomatischen Worte wählt.

Keine Kritik von Poroschenko

"Was gerade passiert, könnte sehr schlechte Folgen haben. Von der Deaktivierung von Starlink bis zur Blockierung der Aufklärungsdaten, die uns die USA geben", so Hontscharenko. Dies sei kein Spiel. Hontscharenkos Partei wird von Ex-Präsident Petro Poroschenko angeführt, dem politischen Erzrivalen Selenskyjs. "Wartet jemand darauf, dass ich Selenskyj kritisiere?", fragte Poroschenko in einer Reaktion. "Aber nein, Kritik wird es nicht geben, weil sie nicht das ist, was das Land gerade braucht."

Tatsächlich sind die von Hontscharenko angesprochenen Sorgen noch größer als die bloße Angst, die USA würden Waffen an die Ukraine nicht einmal mehr verkaufen. 40 Prozent der Militärausrüstung der ukrainischen Armee stammen aktuell aus der Ukraine selbst, beim Rest spielt auch Europa eine Rolle. Und während es sensible Bereiche wie die Flugabwehr gibt, wo man stark auf die Amerikaner angewiesen ist, war es laut Roman Kostenko, dem Sekretär des Verteidigungsausschusses im Parlament, 2024 so, dass etwa 60 Prozent der russischen Soldaten und gar 75 Prozent der russischen Technik durch einheimische Drohnen vernichtet wurden.

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Ohne Aufklärungsdaten aus den USA bekäme die Ukraine aber keine Informationen mehr in Echtzeit - etwa, wenn sich russische strategische Bomber in der Luft befinden, um Ziele in der Ukraine anzugreifen. Und für die an der Front so wichtigen Starlink-Terminals gäbe es zwar Alternativen, aber nicht in der nötigen Anzahl.

Der Druck, unter dem der ukrainische Präsident steht, wird mit jedem Tag höher. Für Selenskyj hat der Eklat im Weißen Haus nur einen Vorteil: Bessere Wahlwerbung hätte Trump kaum für Selenskyj machen können. Seine Zustimmungswerte dürften bald steigen.

Quelle: ntv.de

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