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Trump vollends unberechenbar "Das nukleare Schutzversprechen der USA verliert an Wert"

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Diese Kampfjets nutzt Deutschland für die nukleare Teilhabe mit den USA - Merz will sich nach anderen Möglichkeiten für die nukleare Abschreckung Europas umhören.

Diese Kampfjets nutzt Deutschland für die nukleare Teilhabe mit den USA - Merz will sich nach anderen Möglichkeiten für die nukleare Abschreckung Europas umhören.

(Foto: picture alliance/dpa)

Binnen Wochen hat Donald Trump das US-Versprechen, die Ukraine zu unterstützen, komplett abgeräumt. Die Ukraine zählt nicht mehr, nur noch Kosten und Nutzen. Europa verlässt sich auf das US-Versprechen, es im Ernstfall mit Atomwaffen zu beschützen. Ist das langsam naiv? Trumps Regierung ließe Zweifel aufkommen, ob sie die Europäer im Krisenfall stützen würde, sagt Nuklear-Experte Liviu Horovitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

ntv.de: US-Präsident Donald Trump und seine Regierung üben sich in sicherheitspolitischen Drohgebärden gegenüber Europa. Was bedeutet das für das nukleare Schutzversprechen der USA gegenüber den Europäern?

Liviu Horovitz: Höchstwahrscheinlich verliert das nukleare Schutzversprechen der USA dadurch zu einem gewissen Grad an Wert. Denn die erweiterte nukleare Abschreckung hat mit Glaubwürdigkeit zu tun. Einerseits besteht die Glaubwürdigkeit aus der militärischen Fähigkeit, bei einem Angriff angemessen antworten zu können. Zumindest daran hat sich nichts verändert: Die USA sind im globalen Kontext der Akteur, der militärisch am besten dazu in der Lage ist, für Europa eine erweiterte nukleare Abschreckung zu gewährleisten. Andererseits hängt Glaubwürdigkeit davon ab, ob ein Akteur im Falle eines Angriffs tatsächlich bereit wäre, eine nukleare Eskalation zu riskieren. Wenn die Entscheidungsträger in Trumps Regierung die ganze Zeit betonen, wie unwichtig Europa für sie ist, führt das unweigerlich zu der Gretchenfrage: Wie würden die USA sich verhalten, falls Europa angegriffen wird?

Liviu Horovitz forscht für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu nuklearer Abschreckung und Rückversicherung sowie zu nuklearen Bedrohungen und Bedrohungswahrnehmungen.

Liviu Horovitz forscht für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu nuklearer Abschreckung und Rückversicherung sowie zu nuklearen Bedrohungen und Bedrohungswahrnehmungen.

(Foto: SWP/Liviu Horovitz)

Was denken Sie, wie sich die USA unter Trumps Regierung dann verhalten würden?

Das ist in der Tat schwer abzuschätzen. Man kann diese Aussagen auch als rücksichtsloses politisches Gerangel ansehen. Trump könnte die Europäer durch seine Drohungen vor allem unter Druck setzen, mehr in ihre Verteidigung zu investieren. Er könnte auch Druck auf die ukrainische Regierung ausüben wollen, einem ungünstigen Waffenstillstand mit Russland zuzustimmen. Dementsprechend könnte er diese wuchtigen Worte nutzen. Was wir hingegen nicht wissen, ist, ob das Interesse der USA an europäischer Stabilität unter Trumps Regierung im Krisenfall genauso groß wäre, wie es unter der Vorgängerregierung von Joe Biden war. Grundsätzlich haben die Europäer gute Gründe, sich mit Blick auf Trumps Drohungen jetzt zu fragen, wie es um das Sicherheitsversprechen der USA und die erweiterte nukleare Abschreckung steht.

Gibt es für Trump denn noch gute Gründe, die Sicherheit Europas zu garantieren?

Es gibt verschiedene Strömungen in den USA, die das infrage stellen. Erstens gibt es den Isolationismus, wonach die USA sich politisch und ökonomisch auf ihre eigenen Interessen fokussieren und sich aus Konflikten in der Welt so weit wie möglich heraushalten sollten. Zweitens gibt es Forderungen, die USA müssten sich vor allem auf den Wettbewerb mit China konzentrieren. Mit Blick auf eine militärische Intervention der USA nach einem möglichen Überfall Taiwans lautet hier das Argument, es seien nicht genug finanzielle und militärische Ressourcen da, um sich in mehrere globale Konflikte einzumischen. Die Europäer sollen sich entsprechend selbst um ihre Verteidigung kümmern. Drittens gibt es noch diese spezielle Herangehensweise Trumps, Druck auszuüben, damit die Europäer Kompromisse eingehen, somit auch in ihre Verteidigung investieren und es für die USA günstiger wird. Die Ressourcen dafür hätten die Europäer. Aber sie haben lange nicht dementsprechend investiert. Und sie sind nicht gut darin, sich zu einigen, wie das alles laufen soll.

Also gibt es tatsächlich keine guten Gründe?

Das kommt darauf an, ob Trump die transatlantische Stabilität wichtig ist. Aus historischer Sicht gibt es dafür gute Gründe. Die Europäer sind im 20. Jahrhundert an kooperativen Ansätzen zweimal kläglich gescheitert. Das hat zu zwei Weltkriegen geführt, bei denen die USA intervenieren mussten. Anschließend ging es den Amerikanern darum, in Europa marktliberale Demokratien zu etablieren, mit denen sie beim Wettbewerb gegen die Sowjetunion an einem Strang zogen; ökonomisch, politisch und strategisch. Heutzutage befinden sich die USA in einer ähnlichen Konkurrenzsituation mit China. In diesem Konflikt würden sich die Europäer als Verbündete anbieten. Rein theoretisch stünde es den Europäern nämlich frei, stärker mit China zu kooperieren und es im Wettbewerb mit den USA zu stützen. Ich halte das für keine gute Lösung, aber diese Frage würde im Raum stehen, falls die USA sich sicherheitspolitisch aus Europa zurückziehen. Dann würden Stimmen laut werden, die fordern, die Europäer sollten sich für den Aufbau ihrer Verteidigung und ihrer ökonomischen Ressourcen auf eine vertiefte Beziehung mit China stützen.

Der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz plant Gespräche mit Frankreich und Großbritannien für einen atomaren Schutz Europas, weil er die USA nicht mehr als verlässlichen Verbündeten ansieht. Sind solche Überlegungen jetzt nötig?

Es ist immer gut, miteinander zu reden und sich zu überlegen: Was machen wir im Fall der Fälle? Merz' Vorstoß muss man aber im Kontext betrachten. Merz sucht momentan nach Möglichkeiten, noch mit dem alten Bundestag Beschlüsse zu fassen, um die Verteidigungsausgaben zu erhöhen - weil ihm im neuen Bundestag dafür die Mehrheit fehlen wird. Wenn Merz nun vor der Unzuverlässigkeit der Amerikaner beim nuklearen Schutzversprechen warnt, dient ihm das als Argument, um die anderen Parteien von solchen Beschlüssen zu überzeugen. Andererseits gibt es in der CDU seit Jahren Stimmen, die davon überzeugt sind, dass Europa sicherheitspolitisch eigenständiger werden sollte, besonders im Nuklearbereich. Sie verweisen auch darauf, dass Präsident Emmanuel Macron mehrmals angeboten hat, über die Atomwaffen Frankreichs im europäischen Kontext zu sprechen. Bislang hat Deutschland das abgelehnt.

Aber das Atomarsenal Frankreichs und Großbritanniens reicht bislang bei Weitem nicht aus, um den nuklearen Schutz der USA zu ersetzen, oder?

Wenn man sich von einer europäischen Kooperation verspricht, die Rolle der USA eins zu eins zu ersetzen, dann wird man schnell enttäuscht sein. Mit Blick auf das Gesprächsangebot der Franzosen geht es bisher vor allem um komplementäre Abschreckung zu den USA, damit das System der Nato im Krisenfall resilienter wird. Das ist weit entfernt davon, einen Ersatz für die erweiterte nukleare Abschreckung der Amerikaner zu haben. Es stellt sich auch die Frage, welche europäischen Interessen so fundamental für Frankreich wären, dass sie die nukleare Dimension berühren. Macron gibt die Kontrolle über die französischen Atomwaffen nicht aus der Hand, auch die Finanzierung übernimmt bislang allein Frankreich.

Welche Schritte könnte Europa unternehmen, um sicherheitspolitisch unabhängiger von den USA zu werden?

Es gibt drei Optionen: Man kann die nukleare, die konventionelle oder die politische Dimension stärken. Es wird schwierig, die Amerikaner in der nuklearen Dimension zu ersetzen, weil ihr Atomwaffenarsenal auf die Russische Föderation ausgerichtet ist. Im Krisenfall verfügen die USA über ein breit gefächertes Arsenal, das verschiedene Eskalationsstufen umfasst. Auch haben die Vereinigten Staaten wesentlich mehr Möglichkeiten, wenn es um konventionelle Kriegsführung geht. Darüber hinaus können sie im Falle einer höheren Eskalationsstufe auf verschiedene taktische Nuklearwaffen zurückgreifen, was für Frankreich nur sehr eingeschränkt möglich ist.

Warum sind taktische Atomwaffen so wichtig für den Krisenfall?

Die taktischen Atomwaffen sind für den Einsatz in einem Kampfgebiet konzipiert. Strategische Atomwaffen dienen hingegen vor allem der Abschreckung eines gegnerischen Angriffs auf das eigene Land, denn sie haben eine viel größere Zerstörungskraft als taktische. Der Gedanke dahinter: Der Gegner wird keine Nuklearmacht direkt angreifen, die mit ihren Atomwaffen im Gegenzug die Entscheidungszentren des Gegners zerstören könnte. Es stellt sich aber die Frage: Was würde zum Beispiel passieren, falls Russland die baltischen Staaten angreift und es zu einer taktischen Eskalation kommt? Frankreich hat noch eine gewisse Managementmöglichkeit bei einer solchen Eskalation, aber die steht in keinem Vergleich zu den Fähigkeiten der USA. Paris könnte mit Marschflugkörpern auf Flugzeugen ein letztes Warnzeichen an Russland schicken; aber mehr Möglichkeiten hat es nicht.

Und wenn Frankreich und Großbritannien bei den taktischen Atomwaffen aufrüsten würden, vielleicht mithilfe der europäischen Nachbarn?

Damit würde ihre Glaubwürdigkeit steigen, vor allem im Zusammenhang mit einer Erweiterung ihrer konventionellen Fähigkeiten, gekoppelt an die der anderen Europäer. Aber es wird viel Geld kosten und viele Jahre dauern, um die militärischen Möglichkeiten der USA zu ersetzen, wenn es um konventionelle und nukleare Kriegsführung geht. Es gäbe theoretisch noch eine politische Möglichkeit, um Frankreichs Atomwaffen mehr Glaubhaftigkeit für die Abschreckung zu verleihen: die Vereinigten Staaten von Europa zu gründen, oder zumindest die europäische Integration wesentlich weiter voranzutreiben. Die nukleare Abschreckung wäre dann relativ glaubwürdig, auch für die baltischen Staaten, sogar mit einem Atomwaffenarsenal so groß wie das Arsenal Frankreichs. Das britische Arsenal könnte man rein spekulativ mit einbinden. Dann bräuchte man darüber hinaus gar nicht mehr so viel zu tun. Eine europäische Föderation scheint heute äußerst unwahrscheinlich. Aber noch vor wenigen Jahren schien auch ein US-Präsident, der die Europäer eher als Feinde denn als Freunde betrachtet, ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Mit Liviu Horovitz sprach Lea Verstl

Quelle: ntv.de

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