Zoff in Israels Kriegskabinett Netanjahus Rivalen greifen nach der Macht
07.03.2024, 17:06 Uhr Artikel anhören
Zwei Männer, die sich hassen: Israels Premier Netanjahu und Ex-Premier Gantz kurz nach dem Massaker der Hamas.
(Foto: picture alliance/dpa/GPO)
Mitten im Gaza-Krieg ist die Stimmung im israelischen Kriegskabinett explosiv. Der frühere Premier Gantz bringt sich offen als Nachfolger Netanjahus in Stellung. Doch auch Parteigenossen machen dem angeschlagenen Regierungschef die Macht streitig.
Um Israels nationale Einheit im Krieg gegen die radikalislamische Hamas zu demonstrieren, sitzen im Kriegskabinett wichtige Kräfte der Opposition. Doch eine offene Rivalität zwischen Regierungschef Benjamin Netanjahu und dem zur politischen Mitte zählenden Kabinettsmitglied Benny Gantz erschüttert das Gremium. Ein von Netanjahu nicht genehmigter Besuch des früheren Armeechefs und Ex-Verteidigungsministers Gantz in Washington und London zeigte in dieser Woche die tiefe Kluft zwischen den beiden Politikern auf.
Gantz hatte nach dem beispiellosen Großangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober die Oppositionsrolle zurückgestellt und war dem Kriegskabinett von Netanjahu beigetreten. Fünf Mitglieder hat das Kabinett: Netanjahu, Gantz und Verteidigungsminister Joav Gallant werden als die wichtigsten Akteure wahrgenommen. Die Reise von Gantz in die US-Hauptstadt Washington zog in Israel viel Aufmerksamkeit und die scharfe Kritik von Netanjahus rechtsgerichteter Likud-Partei auf sich. "Es sieht nach einer Art Subversion aus", sagte Transportministerin Miri Regev. Gantz "arbeitet hinter dem Rücken des Ministerpräsidenten."
Auch Politikwissenschaftler sehen das so: Gantz' Besuch bei Israels engstem Verbündeten, den USA, zeige, dass "sein Vertrauen in Netanjahu auf dem Tiefpunkt ist", sagt Johanan Plesner, Präsident der Denkfabrik Israel Democracy Institute. Es zeige auch, dass Gantz Washington eine alternative Sichtweise aus Israel bieten wolle.
"Zwei, die sich hassen"
Schon immer habe es Spannungen gegeben zwischen diesen zwei Männern, "die sich gegenseitig hassen", sagt Reuven Hazan, Professor für Politikwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem. Gantz sei nach Washington und London gereist, um dort zu zeigen, dass er das richtige Profil für einen künftigen Regierungschef habe - und um seinen Ausstieg aus dem Kriegskabinett vorzubereiten, der nach Ansicht von Hazan unvermeidlich ist. In den Umfragen in Israel liegt Gantz derzeit vorne.
In Washington traf Gantz Vize-US-Präsidentin Kamala Harris - einen Tag, nachdem sie Israel scharf kritisiert und eine "sofortige Waffenruhe" gefordert hatte. Sie äußerte sich auch besorgt über die humanitäre Lage im Gazastreifen und rief Netanjahu in ungewöhnlich deutlicher Form auf, mehr Hilfsgüter zuzulassen.
US-Präsident Joe Biden und Netanjahu stünden in einem "offenen Konflikt", meint Hazan. Das Weiße Hause übe Druck auf den israelischen Regierungschef aus, nicht so weiterzumachen im Gazastreifen wie bisher - "mit massiven zivilen Opfern in Gaza und ohne zu wissen, wie es nach dem Krieg weitergehen soll". Was die Nachkriegszeit angehe, stehe Gantz der US-Position näher als Netanjahu. Für Washington sei er ein "angenehmerer" Gesprächspartner, der dem "Dialog mit moderaten Partnern in der Region" und über eine mögliche Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde im Gazastreifen nach dem Krieg offener gegenüberstehe.
Auch Verteidigungsminister Gallant zündelt
In der vergangenen Woche hatte Gantz einen Vorschlag des israelischen Verteidigungsministers Gallant begrüßt, den Militärdienst zu reformieren und auch auf ultra-orthodoxe Juden auszuweiten. Bislang sind ultra-orthodoxe Juden aus religiösen Gründen von der Wehrpflicht ausgenommen. Denn auch Gallant, der derselben Partei wie Netanjahu angehört, fordere den Regierungschef heraus, befanden einige israelische Medien. Es war ein politischer Paukenschlag, der den Regierungschef in die Enge drängt, denn die zwei wichtigsten Parteien, die die Ultra-Orthodoxen vertreten, könnten Netanjahus zerbrechliche Koalition jederzeit zum Einsturz bringen.
Netanjahu wolle eine frühe Neuwahl unter allen Umständen verhindern, sagt Plesner. Denn Umfrage zufolge würde Gantz' Partei bei einer Abstimmung die meisten Parlamentssitze gewinnen. "Wenn es ein Thema gibt, das aus dem Ruder laufen und zum Zusammenbruch der Koalition führen könnte", dann sei es die mögliche Rekrutierung von Ultra-Orthodoxen, urteilt Plesner.
Seit dem Hamas-Großangriff auf Israel, bei dem nach israelischen Angaben etwa 1160 Menschen getötet sowie 250 weitere als Geiseln verschleppt wurden, geht die israelische Armee im Gazastreifen massiv militärisch vor. Dabei wurden nach jüngsten Hamas-Angaben, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, bislang mindestens 30.800 Menschen getötet.
Quelle: ntv.de, mau/AFP