Kein Frieden, sondern Besatzung Nobelpreisträgerin warnt vor Kapitulation
10.12.2022, 16:52 Uhr
Natallia Pintschzuk, Jan Ratschinski und Oleksandra Matwijtschuk erhalten gemeinsam den Friedensnobelpreis.
(Foto: AP)
Für ihren Einsatz in Belarus, Russland und der Ukraine erhalten mehrere Menschenrechtler den Friedensnobelpreis. Bei der Zeremonie in Oslo mahnt die ukrainische Preisträgerin eindringlich: Wenn ein angegriffenes Land seine Waffen niederlegt, ist das "kein Frieden, sondern eine Besatzung".
Der Vorsitzende von Memorial International, Jan Ratschinski, hat bei der Entgegennahme des Friedensnobelpreises für seine Organisation die russische Militäroffensive in der Ukraine als "verrückten und kriminellen Angriffskrieg" verurteilt. Unter der Präsidentschaft von Wladimir Putin werde Widerstand gegen Russland als Faschismus gebrandmarkt und dies diene der "ideologischen Rechtfertigung" für den Krieg gegen das Nachbarland, sagte Ratschinski bei der Preisverleihung in der norwegischen Hauptstadt Oslo. Neben der Organisation Memorial, die in Russland inzwischen verboten wurde, erhalten den diesjährigen Friedensnobelpreis der inhaftierte belarussische Menschenrechtsaktivist Ales Bjaljazki sowie das ukrainische Zentrum für bürgerliche Freiheiten.
Der Russe Ratschinski sagte weiter, die Auszeichnung habe große symbolische Bedeutung für Memorial. "Sie unterstreicht, dass staatliche Grenzen die Zivilgesellschaft nicht trennen können und sollten." Mit Blick auf den russischen Einmarsch in die Ukraine fragte er aber auch, ob Memorial den Preis wirklich verdiene. Seine Organisation habe eine Menge versucht und mehr als ein bisschen erreicht. "Aber hat unsere Arbeit die Katastrophe vom 24. Februar verhindert?" Während seiner Rede war die norwegische Kronprinzessin Mette-Marit den Tränen nahe.
Die Leiterin des ukrainischen Zentrums für bürgerliche Freiheiten, Oleksandra Matwijtschuk, sagte bei der Entgegennahme der Auszeichnung, ihr Land könne auf keinen Frieden hoffen, wenn es "die Waffen niederlegt". "Das ukrainische Volk wünscht sich mehr als jedes andere in der Welt Frieden", so die ukrainische Menschenrechtsanwältin. Aber Frieden lasse sich nicht dadurch erreichen, dass ein angegriffenes Land seine Waffen niederlege. "Das wäre kein Frieden, sondern eine Besatzung." In den russisch besetzten Gebieten in der Ukraine kam es in den vergangenen neun Monaten zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen - von willkürlichen Tötungen über Folter bis hin zu Plünderungen.
Bjaljazki: Putin will Ukraine zu abhängiger Diktatur machen
Russland und sein Präsident Wladimir Putin wollen die Ukraine nach den Worten von Natallia Pintschuk, der Ehefrau des inhaftierten belarussischen Preisträgers Ales Bjaljazki, zu einer "abhängigen Diktatur" wie Belarus machen. Wie Pintschuk sagte, hat ihr Mann die Auszeichnung Millionen belarussischen Bürgern gewidmet, die aufgestanden seien und auf den Straßen und online ihre Bürgerrechte verteidigt hätten. "Es unterstreicht die dramatische Situation und den Kampf für die Menschenrechte im Land", sagt Pintschuk. Sie zitiert ihren Ehemann mit den Worten: "Ich weiß genau, welche Art von Ukraine zu Russland und Putin passen würde - eine abhängige Diktatur. Genauso wie das heutige Belarus, wo die Stimme der unterdrückten Menschen ignoriert und missachtet wird."
Belarus und Russland sind formal Teil eines Unionsstaates und wirtschaftlich sowie militärisch eng verbündet. Die Abhängigkeit des belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko von der russischen Führung vertiefte sich, nachdem diese ihm half, die Proteste nach der umstrittenen Wahl von 2020 zu unterdrücken.
Ausgezeichnet wurden die Preisträger für ihre langjährige Arbeit, Machthabende zu kritisieren und wesentliche Bürgerrechte zu verteidigen. Sie hätten sich außerordentlich darum bemüht, Kriegsverbrechen, Verstöße gegen Menschenrechte und Missbrauch von Macht zu dokumentieren, so die Jury. "Gemeinsam demonstrieren sie die Bedeutung der Zivilgesellschaft für Frieden und Demokratie."
Die Preise gehen auf den Dynamit-Erfinder Alfred Nobel zurück. Sie werden an dessen Todestag, dem 10. Dezember, überreicht - der Friedensnobelpreis in Oslo, alle anderen in Stockholm. Die Auszeichnung ist in diesem Jahr mit zehn Millionen schwedischen Kronen, rund 920.000 Euro, dotiert.
Quelle: ntv.de, ghö/AFP/dpa