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"Es ist ein Desaster" Notbetreuung setzt Kitas zu

In manchen Kitas gibt es bereits eine hohe Auslastung der Notbetreuung.

In manchen Kitas gibt es bereits eine hohe Auslastung der Notbetreuung.

(Foto: Jens Kalaene/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild)

In der Theorie haben immer mehr Kinder Anspruch auf eine Notbetreuung in Kitas. Erzieher und Träger kämpfen aber mit massivem Druck: In kürzester Zeit müssten kleine, getrennte Gruppen und eigene Hygienekonzepte erstellt werden. Das sei kaum zu schaffen, erzählt ein Träger ntv.de.

Seit vergangener Woche Montag gehen in einigen Bundesländern wieder mehr Kinder in die Kita. Die Notbetreuung wurde für Alleinerziehende und Eltern ausgeweitet, von denen ein Elternteil in einem systemrelevanten Beruf arbeitet. Was zu Freude bei den Eltern führte, artete in den Kitas in Stress aus: Innerhalb weniger Tage mussten Leiter und Träger Konzepte entwickeln, die einer erweiterten Betreuung unter Einhaltung der Hygienevorschriften standhält. Für den Träger "Oxxymoron" in Berlin bedeutete das eine plötzliche Auslastung von bis zu 40 Prozent, erzählen die Geschäftsführer Dr. Jürgen Grieger und Bianka Storm ntv.de.

Der Träger betreibt drei Kitas in Berlin-Friedrichshain. Zu Beginn der Notbetreuung lag die Auslastung bei nur knapp 10 Prozent. Nach den Lockerungen ist sie innerhalb weniger Tage bis zu 30 Prozent gestiegen. Die größte der drei Kitas mit regulär 85 Plätzen betreut seit letzter Woche 32 Kinder. Die anderen beiden Kitas mit jeweils 50 Plätzen haben eine geringere Auslastung mit 4 und 22 Kindern. In Letztere kommen in den nächsten Tagen noch 8 Kinder dazu. Die ungleiche Verteilung spiegelt die Problematik der Kindergärten wider. In einigen Einrichtungen gibt es viele Kinder mit erhöhtem Förderbedarf und Eltern in systemrelevanten Berufen. In anderen sind es fast gar keine. Einheitliche Konzepte gebe es für beide nicht, sagt Grieger.

"Wir bekommen keinerlei Unterstützung", stellt er fest. "Weder von der Kita-Aufsicht oder dem Jugendamt noch von der Senatsverwaltung." Niemand habe bei der Entwicklung von Hygienekonzepten der Kitas geholfen. Neue Anweisungen sollten oft bereits am übernächsten Tag umgesetzt werden. "Wir hinken immer etwas zurück", sagt auch Storm. Mehrfach wurden Informationen auf Pressekonferenzen an die Öffentlichkeit weitergetragen, die erst am nächsten Tag in einer offiziellen Trägerinformation der Senatsverwaltung an die Kitas verschickt wurden. Eltern standen da bereits mit Wünschen auf der Matte. Als Beispiel nennt Grieger die kurzfristige Erweiterung der Notbetreuung. Nur zwei Tage und ein Wochenende hatten die Kitas Zeit, sich darauf vorzubereiten. "Ohne Hinweise zur Organisation, den möglichen Gefahren oder die Nutzung von Hygieneartikeln."

"Unverantwortlich, was wir tun"

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (SenBJF) in Berlin sieht das Problem. "Dass in der derzeitigen Ausnahmesituation manches kurzfristig kommuniziert werden muss, ist leider unvermeidlich", sagt Pressesprecherin Iris Brennberger ntv.de. Dafür bittet sie bei den Erziehern um Verständnis. Der Senat stehe mit den Kita-Trägern im engen Austausch. Allerdings, so betont Brennberger, falle der Gesundheitsschutz generell in die Zuständigkeit der Kita-Träger. Eigene Hygienekonzepte zu entwickeln sei "keine neue Aufgabe". In Berlin gibt es rund 2700 Kitas, die sich "sehr in Größe, räumlichen Ausstattung und Inanspruchnahme der Notbetreuung unterscheiden. Da ist es unmöglich, einheitliche Konzepte für alle zu entwickeln", so Brennberger.

Doch ein Gesundheitskonzept, das den Hygienevorschriften der Corona-Pandemie entspricht, hat es zuvor noch nie gegeben. Kinder werden von den Eltern an der Tür übergeben, weil sie das Gebäude nicht mehr betreten sollen. In den Gruppen werden lose gekoppelte Kleinsysteme geschaffen, die möglichst nicht miteinander in Berührung kommen. Das geht hin bis zu getrennten Sanitärbereichen und Gruppenräumen, in denen die Kinder immer von festen Erziehern betreut werden. Hintergrund ist, dass im Falle einer Infektion nur die kleine Gruppe geschlossen und isoliert werden muss. Trotzdem kann es immer sein, dass das Gesundheitsamt anders entscheidet und die gesamte Einrichtung schließt. Die Empfehlung von fünf Kindern pro Gruppe lasse sich bei der großen Auslastung jetzt schon nicht mehr umsetzen, sagt Storm. Mittlerweile seien es sechs bis sieben Kinder, anders geht es in den Räumlichkeiten nicht.

Sorgen machen sich die Geschäftsführer von "Oxxymoron" trotzdem. Studien legen nahe, dass Kinder ähnlich infektiös sind wie Erwachsene. Tests für Mitarbeiter würden keine durchgeführt. "Im Prinzip können wir unser Personal nicht wirklich schützen", fasst Grieger zusammen. Kinder zeigen oft keine Symptome, weshalb sich Infektionen unbemerkt ausbreiten können. "Ich muss davon ausgehen, dass wir einen ungeschützten Betrieb haben", so der Geschäftsführer. "Eigentlich ist das ein Desaster." Abstandsregelungen und Maskenpflicht lassen sich mit kleinen Kindern schlecht umsetzen. Trotzdem sitzen dort Kinder aus unterschiedlichen Familien mit unterschiedlichen Erziehern zusammen, von denen niemand weiß, ob er infiziert ist oder nicht. "Eigentlich ist es unverantwortlich, was wir hier machen. Es würde mich nicht wundern, wenn wir in wenigen Wochen in den Kitas neue Infektionsketten haben. Dann sind die Kitas wieder zu und alle sitzen erneut zu Hause."

Betreuungszeiten müssen reduziert werden

Für Storm sind noch immer viele Fragen offen: "Wie viele Kinder dürfen zusammen in einer Gruppe sein? Wie halten wir den Schaden so gering wie möglich, wenn eine Infektion auftritt? Was passiert, wenn zu viele Kinder einen Notbetreuungsbedarf haben, den wir nicht mehr leisten können?" Dazu würden die Kitas nichts erfahren. Der Senat verweist in dem Fall auf die Empfehlungen der Unfallkasse Berlin, die in den Trägerschreiben mitgeschickt werden. Auch die Kita-Aufsicht soll den Trägern bei Fragen zur Seite stehen.

Aber keiner sagt den Kitas, wie sie trotz der Lieferengpässe an Desinfektionsmittel kommen sollen. Die brauchen sie aber auch jenseits von Corona, weil kleine Kinder gewickelt werden müssen und auch andere Krankheiten wie Magen-Darm-Grippe einschleppen. Auf Nachfrage bei der Trägerhotline wurde Storm gesagt, sie sollten sich an das Robert-Koch-Insitut (RKI) wenden. Doch auf Hilfe hoffen sie nicht. "Wir haben bereits rationiert", sagt Grieger. Der jetzige Vorrat reiche noch etwa anderthalb Wochen.

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Im Vergleich zu anderen Kitas habe "Oxxymoron" noch Glück, sagt Grieger. Dort seien bis zu 50 Prozent der Mitarbeiter nicht mehr im Dienst, weil sie ab 50 Jahren bereits zur Risikogruppe gehören. Das Problem ihrer Kitas sei dagegen, dass bei einer Auslastung der Notbetreuung von 30 bis 40 Prozent bereits das gesamte Personal benötigt werde. Der Betreuungsschlüssel liege wegen der kleinen Gruppen bei zwei bis drei Erziehern für sechs bis sieben Kinder. "Das macht uns Sorge, wenn wir bald weitere Kinder aufnehmen sollen", so Grieger.

Dann müsste "Oxxymoron" die Betreuungszeiten einschränken, manche Kinder könnten nur noch vormittags kommen, andere nachmittags. In vielen anderen Kitas ist das bereits der Fall. Auch die Senatsverwaltung empfiehlt eine Aufteilung der Betreuungsstunden. Kinder, denen eigentlich eine Ganztagsbetreuung zusteht, können dann nur noch stundenweise oder tageweise in die Kindertagesstätte gehen. Diese Lösung hält auch Storm für richtig. Die Betreuungszeiten wären dann zwar kürzer, aber man könne allen gerecht werden.

Quelle: ntv.de

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