US-Angriff könnte bald beginnenÖl, Drogen, Militär - das sind die Teile in Trumps Venezuela-Rätsel
Von Roland Peters, New York
Jahrzehntelang steht keine so große US-Streitmacht in der Karibik - jetzt erhöht US-Präsident Trump den Druck auf Venezuelas Staatschef Maduro weiter. Der lehnt einen sofortigen Rücktritt ab. Worum geht es?
In der vergangenen Woche setzte der starke Mann im Norden dem starken Mann im Süden die Pistole auf die Brust. Er könne sich selbst, seine Frau und seinen Sohn retten, riet Donald Trump dem Autokraten Nicolás Maduro am Telefon, aber dafür müssten sie Venezuela verlassen - und zwar sofort. Maduro lehnte ab. Dies schreibt der "Miami Herald", eine verlässliche Quelle für US-lateinamerikanische Beziehungen. Das Telefonat sei aus Washingtons Sicht als letzter Versuch angesehen worden, eine direkte militärische Konfrontation zu verhindern, schreiben US-Medien.
Seit Monaten bauen die Vereinigten Staaten militärischen Druck auf das südamerikanische Land auf - angeblich, um "Drogenterrorismus" zu stoppen. Auf Maduros Kopf hat die US-Regierung eine Belohnung von 50 Millionen US-Dollar ausgesetzt. Inzwischen steht ein Viertel der derzeit weltweit eingesetzten Navy-Kriegsschiffe in der Karibik, darunter der größte Flugzeugträger der Welt. Dazu kommen F-35-Kampfflugzeuge und Tausende Marines. Es ist der größte dortige Aufmarsch seit Jahrzehnten. Militärschläge gegen Venezuela könnten bald beginnen, schreibt das "Wall Street Journal" (WSJ) mit Hinweis auf Informationen aus der Regierung.
Sicher ist das nicht, aber die Indizien dafür werden deutlicher. Neben dem militärischen Aufmarsch sind da die seit Monaten stattfindenden US-Luftschläge gegen angebliche Drogenboote, die Berichte über die Gespräche hinter den Kulissen, die Äußerungen über Terroristen an der Macht. Und auch der Konflikt der beiden Länder, der sich auf Trump und Maduro zuspitzt - einer von ihnen müsste einen Rückzieher machen, und dafür ist keiner der beiden bekannt. Trump hatte bereits in seiner ersten Amtszeit versucht, einen regime change in Caracas per Putsch zu forcieren, scheiterte am Ende aber an der Loyalität des venezolanischen Militärs. Die jetzt deklarierte "Operation Southern Spear" ist ein neuer Versuch.
In der vergangenen Woche hatte die US-Flugkontrollbehörde FAA zudem vor einer "potenziell gefährlichen Situation" über Venezuela wegen militärischer Aktivitäten gewarnt. Daraufhin stornierten internationale Fluglinien ihre Routen. Caracas teilte trotzig - und richtigerweise - mit, die FAA habe keine Zuständigkeit für seinen Luftraum. Caracas entzog den internationalen Fluglinien die Lizenz, angeblich wegen deren Beteiligung an "Staatsterrorismus" der USA. Am Samstag warnte dann Trump, der Luftraum sollte "als geschlossen angesehen" werden. Caracas fragte daraufhin laut "Miami Herald" nach einem weiteren Telefonat mit dem Weißen Haus, wurde aber abgeblockt.
Was ist das Ziel?
Kurzfristig ist also ein Regierungswechsel die Absicht, aber welches mittelfristige oder langfristige Ziel das Weiße Haus verfolgt, ist unklar. Schließlich ergibt Venezuela als Hauptgegner der USA in ihrem neu belebten Krieg gegen die Drogen nur bedingt Sinn. Es ist nicht bekannt, dass dort Fentanyl produziert oder von dort geschmuggelt wird, an dem im vergangenen Jahr Zehntausende Menschen in den Vereinigten Staaten starben. Schmuggler bringen laut der UN-Drogenbehörde auch nur einen Bruchteil des Kokains oder anderer Drogen durch die Karibik nach Norden. Die Hauptrouten befinden sich demnach im Pazifik - zu dem Venezuela keinen eigenen Zugang hat.
Eine offizielle Kriegserklärung Washingtons an Caracas gibt es nicht. Eigentlich müsste der Kongress einen Militäreinsatz absegnen. Noch vor wenigen Wochen teilte das Weiße Haus mit, es gebe keinen legalen Weg für einen Landeinsatz von US-Truppen in Venezuela. In internationalen Gewässern vor der Küste des Landes zerstört die Navy seit Anfang September mit Drohnen und Raketen jedoch immer wieder als "Drogenboote" bezeichnete Schnellboote und tötet deren Insassen. Bislang trafen die mindestens 22 Boote und töteten 83 Menschen.
Die USA sind inzwischen mit rund 15.000 Soldaten in der Nähe Venezuelas präsent. Das venezolanische Militär hat laut der britischen Denkfabrik Internationale Institut for Strategic Studies 123.000 aktive Soldaten; davon 63.000 in der Armee, 25.500 in der Marine, 11.500 in der Luftwaffe und 23.000 Nationalgardisten. Dazu kommt eine Miliz, die angeblich Millionen Bewaffnete mobilisieren kann. Wie es um die Moral und das Material der venezolanischen Streitkräfte bestellt steht, ist unklar.
Auf einer Stufe mit Al-Kaida
Die US-Regierung behauptet, sie kämpfe auch in Venezuela gegen "Narcos", also Drogen: Vor einer Woche erklärte sie das "Cartel de los Soles", das Sonnenkartell, zur ausländischen Terrororganisation; Mitglieder sind demnach Maduro, Innenminister Diosdado Cabello und Verteidigungsminister Wladimir Padrino López, die sich nun aus Sicht der US-Regierung in der gleichen rechtlichen Kategorie befinden wie Anführer von Al-Kaida und dem IS.
So könnte das Weiße Haus auch ohne einen Beschluss des Kongresses militärisch vorgehen. Verteidigungsminister Pete Hegseth sagte, der Schritt "eröffnet viele neue Möglichkeiten". Doch das Sonnenkartell existiert laut Experten gar nicht, sondern ist demnach ein Begriff für die Praxis der Regierung, kriminellen Organisationen im Austausch für Machterhalt nicht in die Quere zu kommen. Die "Sonnen" sind die Insignien venezolanischer Generäle.
Hegseth selbst findet sich wegen der Schläge gegen Drogenboote seit dem Wochenende in einem medial-politischen Wirbelwind wieder, der den ersten der Einsätze betrifft. "Der Befehl war, alle zu töten", werden zwei Personen von der "Washington Post" zitiert. Hegseth habe ihn mündlich erteilt. Als Minuten nach dem ersten Schlag noch zwei Überlebende zu sehen gewesen seien, hätte der US-Kommandeur eine zweite Rakete losgeschickt, um den Befehl zu erfüllen. All dies hat Hegseth laut Trump ihm gegenüber dementiert. Kongressmitglieder, darunter auch Republikaner, halten es für möglich, dass Hegseth mit einem solchen Befehl ein Kriegsverbrechen begangen hätte. Die Vereinten Nationen bezeichnen sämtliche Angriffe als "außergerichtliche Tötungen".
Über sein Telefonat mit Maduro sagte Trump lediglich, es sei weder gut noch schlecht verlaufen. Üblicherweise schwärmt der US-Präsident nach Gesprächen mit anderen Staatschefs, oder preist zumindest sein gutes Verhältnis zu ihnen. Das Telefonat war laut "Miami Herald" von Brasilien, Katar und der Türkei vermittelt worden, habe aber wegen drei Streitpunkten zu keinem Ergebnis geführt: Neben Maduros Unwillen, den Regierungspalast in Miraflores sofort aufzugeben, habe er auch weltweite Amnestie für jegliche möglichen Verbrechen seiner Regierung gefordert. Er habe Washington zudem einen erfolglosen Gegenvorschlag gemacht: Er und seine Regierung würden abdanken, aber das Kommando über die Streitkräfte behalten.
Hinter Öl her?
Der regionale Verbündete Kuba steht hinter Caracas. Havannas Geheimdienst arbeitet laut "Wall Street Journal" eng mit dem venezolanischen Militärgeheimdienst DGCIM zusammen, um einen möglichen Putschversuch von Offizieren gegen die eigene Führung zu verhindern. Demnach dränge Kuba seinen Partner zum Durchhalten, da es befürchte, nach einem von den USA erzwungenen Regierungswechsel selbst ins Visier zu geraten. "Sie wissen um Außenminister Marco Rubios Vorgeschichte als Feind der Castros und der lateinamerikanischen Linken", schreibt das WSJ. Auch für Russland sei Venezuela wichtig. Moskau habe kürzlich einen seiner Generäle als Militärberater nach Caracas geschickt.
Maduros Regierung meint, die USA seien hinter Venezuelas Öl her, eine der weltweit größten Reserven. Die Vorwürfe sind unabhängig vom Wahrheitsgehalt nichts Neues und üblicher Teil der Propaganda aus dem Regierungspalast, um einen gemeinsamen Feind für die Bevölkerung heraufzubeschwören. Deren Ausbeutung lohnt sich aber wegen der Beschaffenheit des Rohstoffs im sogenannten Orinoco-Gürtel nur ab einem bestimmten Weltmarktpreis. Sollten die USA und Privatkonzerne anfangen, dort im großen Stil zu fördern, könnte das mittel- bis langfristig den Ölpreis drücken, was wiederum Russland schadet, da es etwa ein Drittel seines Staatshaushalts mit Öl- und Gasverkäufen finanziert.
Was auch immer der Grund für Trumps immensen Druck auf Maduro ist, schon bald könnten die USA ihren Militäreinsatz "Southern Spear", der mit Raketen auf Drogenboote begann, ausweiten. Und damit den Konflikt zwischen den beiden Staatschefs auf eine neue Spitze treiben.