Anstehende UN-Vollversammlung Palästina-Anerkennung spaltet die Weltgemeinschaft
13.09.2025, 15:22 Uhr Artikel anhören
Für ein Ende der Hamas-Herrschaft und eine Zweistaatenlösung in Gaza stimmten bereits 142 Länder.
(Foto: picture alliance/dpa/UN Photo/Handout via Xinhua)
Der blutige Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis tobt seit Jahrzehnten. Mehrere einflussreiche Staaten planen bei der UN-Vollversammlung in New York die Anerkennung eines Palästinenser-Staats. Gibt es Hoffnung auf Bewegung in der festgefahrenen Situation?
Gut drei Jahrzehnte nach den Osloer Abkommen, die einst Hoffnung auf Frieden in Nahost weckten, steht die Weltgemeinschaft erneut an einem Scheidepunkt. Einflussreiche Länder wie Frankreich, Belgien und Kanada wollen vor den Vereinten Nationen in New York einen Staat Palästina anerkennen - mitten im blutigsten Nahost-Konflikt seit Jahrzehnten. Kann ein solcher Schritt neue Dynamik in die festgefahrene Lage bringen?
Gut eine Woche vor der geplanten Anerkennung bei der Generaldebatte der Vereinten Nationen stimmte die UN-Vollversammlung am Freitag bereits für ein Dokument, das ein Ende der Herrschaft der islamistischen Terrororganisation Hamas im Gazastreifen sowie eine Zweistaatenlösung fordert. 142 Länder sprachen sich für die Unterstützung des Papiers aus. Zehn stimmten dagegen, darunter die USA und Israel. Zwölf Mitgliedsländer enthielten sich. Deutschland stimmte für die Unterstützung des Dokuments, obwohl es die Anerkennung eines Palästinenser-Staats zum gegenwärtigen Zeitpunkt ablehnt.
Warum positioniert sich Frankreich so stark?
Die Abstimmung fand mit Blick auf ein für den 22. September im Vorfeld der UN-Generaldebatte geplantes Treffen zu dem Thema statt, für das Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die offizielle Anerkennung eines Staates Palästina durch sein Land angekündigt hat.
Frankreichs Vorstoß hängt vor allem mit Macrons Wunsch zusammen, den verheerenden Gaza-Krieg zu beenden. Nicht zum ersten Mal versucht er, mit umstrittenen diplomatischen Initiativen internationale Konflikte zu lösen. Er unterstreicht damit auch Frankreichs Anspruch auf eine Führungsrolle in der Weltpolitik.
Nach Angaben seines Außenministeriums geht es Macron vor allem um die Umsetzung der Zweistaatenlösung, die neben Israel einen unabhängigen Palästinenser-Staat vorsieht. Mit der Anerkennung setzt er auf ein neues Druckmittel gegen Israel - nachdem frühere Bemühungen wirkungslos blieben. Bei einem Besuch in der Region zeigte er sich tief betroffen von der humanitären Lage in Gaza. Experten zufolge will er zugleich das Prinzip wahren, internationale Konflikte nicht mit zweierlei Maß zu bewerten.
Palästinensischer Traum seit Generationen
Nach dem Ersten Weltkrieg fiel die Region Palästina zunächst unter britische Verwaltung. 1917 hatte London den Juden eine "nationale Heimstätte", zugleich aber auch den Arabern Unterstützung versprochen. Versuche, beide Nationalbewegungen in einem Staat zu vereinen, scheiterten an zunehmender Gewalt.
Die Ermordung von sechs Millionen Juden während des Holocaust verstärkte die Überzeugung, dass die Einrichtung eines jüdischen Staates als "sicherer Hafen" unerlässlich war. 1947 beschlossen die Vereinten Nationen daraufhin die Teilung Palästinas: Israel für die Juden, Palästina für die Araber. Die arabische Seite lehnte den Plan jedoch ab.
Die Juden gründeten daraufhin 1948 den Staat Israel. Unmittelbar danach griffen die Nachbarländer Ägypten, Jordanien, Libanon, Irak und Syrien den jungen Staat an - doch sie verloren. Der erste Nahost-Krieg - Israels Unabhängigkeitskrieg - führte zur Flucht und Vertreibung von mehr als 700.000 Palästinensern während der "Nakba" (Katastrophe). Hunderttausende weitere folgten im Sechstagekrieg 1967, heute als "Naksa" (Rückschlag) bezeichnet. Dabei eroberte Israel das Westjordanland, Ostjerusalem und den Gazastreifen und übernahm dort die Kontrolle. Nach internationalem Recht ist die Errichtung israelischer Siedlungen auf diesem Gebiet illegal.
Extremisten auf beiden Seiten torpedierten den Friedensprozess
Der Friedensprozess in den 1990er Jahren weckte zunächst große Hoffnungen auf eine friedliche Lösung des jahrzehntelangen blutigen Konflikts, der auf beiden Seiten zahlreiche Opfer gefordert hatte. Es konnte jedoch nach der Schaffung einer Palästinensischen Autonomiebehörde keine Einigung über die zentralen Konfliktpunkte erzielt werden - von den Grenzlinien über den Status Jerusalems bis hin zu dem Schicksal der palästinensischen Flüchtlinge und der Frage der israelischen Siedlungen.
Extremisten auf beiden Seiten haben zudem immer wieder versucht, den Friedensprozess mit Gewalt zu torpedieren. Auch die tiefe Spaltung zwischen den rivalisierenden Organisationen Hamas und Fatah hat das palästinensische Streben nach einem eigenen Staat über die Jahre nachhaltig geschwächt.
Obwohl bereits fast 150 der 193 Mitgliedsstaaten einen palästinensischen Staat anerkannt haben, hat aus palästinensischer Sicht die Entscheidung mehrerer zentraler Weltmächte, die traditionell zu den engsten Unterstützern Israels zählen, eine besondere Bedeutung.
Wichtiger noch ist jedoch, dass diese Anerkennung den Erhalt der Zweistaatenlösung stützen soll, die derzeit durch den massiven Siedlungsausbau Israels im Westjordanland, Annexionsbestrebungen sowie durch die systematische Schwächung der Palästinensischen Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah stark gefährdet ist. Eine Anerkennung verleiht dem palästinensischen Streben nach einem eigenen Staat neue Legitimität - und könnte den Weg zur vollen UN-Mitgliedschaft ebnen.
Israelische Regierung lehnt Zweistaatenlösung ab
Die israelische Regierung lehnt die Zweistaatenlösung mit der Begründung ab, sie gefährde die Existenz Israels. Sie wirft der Autonomiebehörde von Präsident Mahmud Abbas vor, Palästinenser zu Terror zu ermutigen. Zudem wird kritisiert, eine Anerkennung jetzt käme einer "Belohnung für die Hamas" nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 gleich. Die Hamas hat sich die Zerstörung Israels und die Einrichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet des historischen Palästinas auf die Fahne geschrieben.
Gleichzeitig treibt die rechtsreligiöse Regierung Benjamin Netanjahus den Ausbau der Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem stetig voran. Die Gebiete, in denen heute mehr als 700.000 Siedler neben rund drei Millionen Palästinensern leben, wurden von Israel im Sechstagekrieg 1967 erobert. Die Palästinenser beanspruchen sie ebenso wie den Gazastreifen für einen eigenen Staat. Durch die fortschreitende Besiedlung bliebe davon jedoch schon heute nur ein "Flickenteppich" übrig.
Rechtsextreme und siedlerfreundliche Minister innerhalb der Regierung drängen zudem massiv auf eine Annexion des Westjordanlands, das sie als Teil des biblischen Israels betrachten. Finanzminister Bezalel Smotrich drohte zuletzt, Israel werde sich das Gebiet - auf Hebräisch "Judäa und Samaria" - einverleiben, sollte ein palästinensischer Staat anerkannt werden.
Deutschland sieht von Anerkennung ab
Deutschland wird im Gegensatz etwa zu Frankreich oder Kanada bei der UN-Vollversammlung in New York keinen Staat Palästina anerkennen. Kanzler Friedrich Merz betonte letzten Monat bei einem Treffen mit dem kanadischen Premierminister Mark Carney in Berlin: "Wir werden uns dieser Initiative nicht anschließen." Er fügte hinzu: "Wir sehen die Voraussetzungen für eine staatliche Anerkennung gegenwärtig in keiner Weise als erfüllt an."
Deutschland sieht die Anerkennung eines palästinensischen Staates als einen der letzten Schritte auf dem Weg zu einer Zweistaatenlösung, die durch Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern erreicht werden.
Existenz und Sicherheit des Staates Israel sind für die Bundesregierung, angesichts der von Nazi-Deutschland ermordeten sechs Millionen Jüdinnen und Juden, Staatsraison. Sie versteht dies auch als Auftrag, mit Vermittlungsbemühungen zur Deeskalation beizutragen. Eine Anerkennung eines Palästinenser-Staats könnte solche Bemühung zumindest erschweren. Auch dies dürfte ein Grund für das aktuelle Nein Berlins zu einem eigenen Palästinenser-Staat sein.
Jedes Jahr im September reisen mehr als hundert Staats- und Regierungschefs an den East River nach New York, um vor dem wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen zu sprechen. Die Generaldebatte der UN-Vollversammlung gilt als größte diplomatische Bühne der Welt und bietet damit den idealen Rahmen für eine völkerrechtlich bedeutende Ankündigung wie diese.
Quelle: ntv.de, Sara Lemel, Michael Evers, Benno Schwinghammer, Jörg Blank, dpa