Welche Toten sind wirklich tot? "Pallywood"-Propaganda von Hamas und Israel


3000 tote palästinensische Kinder in 19 Tagen - sind diese Angaben korrekt?
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Der Hamas kann man nicht trauen, das belegt der angebliche Angriff auf ein Krankenhaus im Gazastreifen. Auch andere Angaben sind erfunden, Videos von Toten regelmäßig gestellt. Pro-israelische Stimmen sprechen von "Pallywood" - und verbreiten darunter manchmal selbst Fake News.
Saleh Aljafarawi hat eine Botschaft. Auf Instagram, Tiktok und Youtube lässt der Palästinenser die Welt den Tränen nahe wissen, was täglich im Gazastreifen passiert: "Wir sterben", schreit er aufgelöst in einem Video vom 17. Oktober. "Das ist kein Massaker, sondern ein Genozid."
Die Accounts von Aljafarawi lassen keinen Zweifel daran, wer im Krieg zwischen Israel und den Palästinensern der Böse ist: Der 25-Jährige zeigt mit Blut beschmierte Kinder. Leblose Kinder, weinende Kinder. Und Explosionen. Schutt, Asche, Staub. Das Ergebnis israelischer Raketenangriffe. Beinahe täglich fleht der junge Palästinenser die Welt mit seiner Reichweite von Zehntausenden Followern an: Bitte macht, dass Israel aufhört, die Menschen im Gazastreifen zu töten.
Erst lachen, dann weinen
Doch es gibt noch einen anderen Saleh Aljafarawi. Einen, der nicht weint, nicht böse und auch nicht wütend ist, aber ebenfalls kindlich. Wie ein kleines Kind freut sich Aljafarawi nämlich, wenn Raketen der Hamas auf Israel fliegen. Dann ist sein Grinsen in seinen Videos so breit, dass es von einem Ohr zum anderen reicht.
Saleh Aljafarawi beschreibt sich selbst als Sänger und Video-Creator. Der junge Mann sympathisiert offen mit der Hamas und singt im palästinensischen Tarnanzug mit Sturmgewehr in der Hand Propagandalieder. Das Video dazu hat er mit Aufnahmen von Angriffen auf das israelische Militär garniert.
"Sie haben ein Krankenhaus bombardiert"
Wenn das israelische Militär jedoch zurückschlägt, sind wieder Tränen angesagt. Und oftmals Unstimmigkeiten. So auch im Video, das Saleh Aljafarawi am 17. Oktober veröffentlicht hatte. Denn darin beschreibt er den Angriff auf das Al-Ahli-Krankenhaus in Gaza-Stadt. "Sie haben ein Krankenhaus bombardiert. Ein Krankenhaus!", ruft Aljafarawi aufgeregt. Hunderte Menschen sollen gestorben sein.
Doch wie die Welt inzwischen weiß: Nein, Israel hat das Al-Ahli-Krankenhaus sehr wahrscheinlich nicht beschossen. Was genau passierte, ist bis heute unklar. Aber Bilder belegen: Das Krankenhaus steht noch, umliegende Gebäude weisen keine größeren Schäden auf. Der Krater ist winzig. Hunderte Tote sind nur sehr schwer vorstellbar.
Eine Puppe im Leichensack
Ja, es gibt sie, die wirklich schlimmen Bilder von toten und verletzten Kindern aus dem Gazastreifen. Von Menschen, die mit klaffenden Wunden im Krankenhaus behandelt werden und von anderen, bei denen nicht immer klar ist, ob sie noch leben oder nicht.
Aber genauso gibt es Aufnahmen, bei denen Kinder selbst im Leichensack noch mit ihrem Smartphone herumspielen. Aufnahmen, bei denen Kinder aus Schutt und Asche gerettet wurden und dennoch saubere Schuhe tragen. Aufnahmen, in denen ein verletztes Kind zu einer Puppe erklärt wird, obwohl es sich tatsächlich um ein verletztes Kind handelt. Die Wahrheit verschwimmt mit jedem Bild.
Denn der Krieg zwischen Israel und der Hamas wird nicht nur mit Raketen ausgetragen, sondern auch mit Bildern und Videos im Netz. Mit Aufnahmen, bei denen nur selten klar ist, was wahr ist und was nicht. Der Krieg findet auch in Pallywood statt.
Wie starb Muhammad al-Durrah?
Pallywood ist laut der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel wie Bollywood ein Kofferwort. Die indische Version setzt sich aus Bombay und Hollywood zusammen, die palästinensische aus Palestine und Hollywood. Aber während Bollywood eine liebevolle Umschreibung des indischen Films ist, beschreibt Pallywood palästinensische Propaganda: Palästinensern wird unterstellt, in Bild- und Filmproduktionen israelische Angriffe zu inszenieren. Sie krümmen sich beispielsweise mit angeblichen Schusswunden am Boden, um das brutale Vorgehen der israelischen Armee gegen Zivilisten zu belegen. Doch dann lachen sie im falschen Moment, eine zweite Kamera oder eine andere Perspektive decken die Manipulation auf.
Der Begriff "Pallywood" entstand vor 23 Jahren. Im September 2000 hieß es, dass der zwölfjährige Muhammad al-Durrah bei einem Schusswechsel von palästinensischen und israelischen Truppen im Gazastreifen getötet wurde. Ein palästinensischer Kameramann filmte das Feuergefecht. Ein französischer Fernsehsender strahlte die Aufnahmen aus und machte - unter Berufung auf den Kameramann - Israel für den tödlichen Schuss verantwortlich.
Doch später wurde bekannt, dass eine längere Aufnahme des Vorfalls existiert. Das französische TV hatte die letzten Sekunden weggeschnitten. In diesen Sekunden bewegt der tote Junge plötzlich seinen Kopf und seine Hand. Jahrelang wurde anschließend ermittelt, ob Muhammad al-Duhrrah tatsächlich in der Aufnahme des palästinensischen Kameramanns stirbt und wenn ja, wer verantwortlich war.
"Magischerweise ÜBERALL"
Auch Hamas-Influencer Saleh Aljafarawi veröffentlicht Pallywood-Videos. So hat es am 25. Oktober der Nutzer OliLondonTV auf X dargestellt: "Ein Hamas-Krisenschauspieler spielt das Opfer eines israelischen Luftschlags", schreibt er in dem Tweet. "Er liegt schwer verletzt in einem Krankenhaus, zwei Nebendarsteller halten seine Hand. Tatsächlich handelt es sich um einen Hamas-Musiker und Schauspieler, der bereits in verschiedenen Videos der Terrorgruppe aufgetreten ist."
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Einen Tag später greift die israelische Regierung das Video auf. "Fake News Alarm", beginnt der offizielle Account von Israel auf X seinen Beitrag: "Der Teufel arbeitet hart, aber die Filmindustrie von Gaza arbeitet härter. Dürfen wir vorstellen: Saleh, Terrorunterstützer, Sänger und Schauspieler. Ihr habt ihn in den vergangenen Tagen vielleicht häufiger gesehen, denn Saleh ist magischerweise ÜBERALL."
Dazu teilt der israelische Account das Video von Saleh, wie er über Raketenangriffe der Hamas jubelt, und das Video von ihm schwer verletzt im Krankenhaus.
Westjordaland oder Gazastreifen?
Doch das zeigt gar nicht Saleh Aljafarawi, sagt Sergej Maier vom ntv-Verifizierungsteam. Bei dem schwer verletzten jungen Mann handele es sich um Mohammed Zendiq. Ein Unterschied sei schwer zu erkennen, weil beide eine gewisse Ähnlichkeit hätten, erklärt der Fake-News-Experte. "Die Frisur ist ähnlich, der Bartwuchs. Aber ich habe Screenshots und Fotos von beiden Gesichtern genommen und mehrmals von einem Tool vergleichen lassen. Das Ergebnis war immer dasselbe: Es handelt sich um unterschiedliche Personen. Bei einer tieferen Recherche zu dem Jungen im Krankenhausbett bin ich auf den Tiktok-Account des Bruders gestoßen, auf dem weitere Videos von ihm zu sehen sind."
Mohammed Zendiq ist ebenfalls Palästinenser, aber erst 16 Jahre alt. Wie seine Mutter und seine Geschwister besitzt er einen israelischen Pass und lebt auf israelischem Gebiet. Mohammed besucht aber regelmäßig seinen Vater im Nur-Shams-Flüchtlingslager des Westjordanlandes. Im Juli geriet er dabei in einen Einsatz des israelischen Militärs und wurde durch eine Explosion schwer verletzt, wie es in einem Bericht der pro-palästinensischen Organisation "Internationale Solidaritätsbewegung" heißt. Sein rechtes Bein musste daraufhin in einem israelischen Krankenhaus amputiert werden.
Dreharbeiten von Hamas oder Netflix?
Saleh Aljafarawi und Mohammed Zendig sind definitiv zwei unterschiedliche Personen. Das ist auch Israel aufgefallen, denn der offizielle israelische Account auf X hat den "Fake News"-Beitrag über den 25-jährigen Hamas-Anhänger inzwischen wieder gelöscht, weil es sich auch dabei um Fake News handelte.
Pallywood ist nämlich längst nicht mehr nur pro-palästinensische Propaganda. Seit einigen Tagen werden Plattformen wie X geflutet mit angeblichen Schauspielbeiträgen von Hamas-Anhängern. Dass die Aufnahmen gar nicht von der Hamas in den Umlauf gebracht wurden oder dass es sich dabei offensichtlich um Dreharbeiten einer Zombieserie von Netflix handelt, spielt keine Rolle mehr. Hauptsache, man erkennt Kunstblut, Schauspieler und kann den Feind diskreditieren.
Doch die Tweets und Videos werden millionenfach geklickt, geteilt und gesehen. Viele Millionen Menschen erhalten die Botschaft: Die Palästinenser sind Schauspieler und Lügner. Und auch wenn Beiträge nur einen Tag später wieder gelöscht werden, wie es der offizielle israelische X-Account gemacht hat: Bleibt hängen, dass versehentlich ein Fehler gemacht wurde? Oder haftet der Vorwurf an, dass es sich bei einer Person um einen Schauspieler handelt, fragt ntv -Verifizierungsexperte Maier. Denn Palästinenser wie Saleh Aljafarawi veröffentlichen auch Videos von echten Verletzten oder Toten. "Aber durch diesen Pallywood-Trend hinterfragt man als User automatisch, ob man diesen Bildern trauen kann."
Korrektur: In einer ersten Version des Artikels hieß es, dass es sich bei dem verletzten Kind um eine Puppe handelt. Das ist falsch. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
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Quelle: ntv.de