Gar Verstoß gegen Grundgesetz? Probleme bei Briefwahl plagen Deutsche im Ausland
22.02.2025, 16:01 Uhr Artikel anhören
Bei der letzten Bundestagswahl wollten 129.000 Auslandsdeutsche per Brief abstimmen. Jetzt sind es 84.000 mehr.
(Foto: IMAGO/Revierfoto)
213.000 Auslandsdeutsche wollen an der Bundestagswahl teilnehmen, aber bisher kommen nur von 9000 die Briefwahlunterlagen hierzulande an. Viele Wähler berichten von Problemen, darunter der deutsche Botschafter in London. In Dänemark greifen sie teils zu abenteuerlichen Mitteln für eine rechtzeitige Wahl.
Viele Deutsche im Ausland klagen über Probleme dabei, ihre Stimmen für die vorgezogene Bundestagswahl fristgerecht abgeben zu können. Bei ihm in London seien keine Wahlunterlagen angekommen, monierte der deutsche Botschafter in Großbritannien, Miguel Berger, auf X. Viele Deutsche im Ausland könnten ihr Wahlrecht bei der Bundestagswahl nicht ausüben. "Fristen wurden zu knapp kalkuliert, die Verfahren sind zu bürokratisch. Eine Reform ist dringend notwendig", schrieb er.
Berger steht mit seiner Kritik bei Weitem nicht allein da. Auch die Stiftung Verbundenheit mit den Deutschen im Ausland warnt vor einem verfassungswidrigen Zustand und fordert dringend Reformen: "Das derzeitige System verstößt gegen Artikel 38 des Grundgesetzes. Das Wahlrecht den Auslandsdeutschen theoretisch zu gewähren, in der Praxis aber nicht sicherzustellen, ist verfassungswidrig. Das wird das Bundesverfassungsgericht auch feststellen", sagte Oliver Junk, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Verbundenheit, der Nachrichtenagentur dts.
Immer mehr Deutsche ohne Wohnsitz in Deutschland berichten von massiven Hindernissen. Viele haben bis jetzt keine Wahlunterlagen erhalten, andere wurden nicht ins Wählerverzeichnis aufgenommen oder scheitern an organisatorischen Problemen der Briefwahl. "Uns haben in den vergangenen Tagen zahlreiche Mitteilungen von Betroffenen erreicht, die ihre Stimme nicht abgeben können, obwohl sie wahlberechtigt sind", so Junk.
Auch in einer Mitteilung der Bundeswahlleiterin hieß es, dass Fragen und Beschwerden von im Ausland lebenden Deutschen eingegangen seien. Wie viele Beschwerden es genau sind, ging aus der Mitteilung nicht hervor.
Auslandsdeutsche reisen extra ein
Sonderkuriere der Botschaften sollten in mehreren Ländern helfen, die Briefwahlunterlagen rechtzeitig zurück in die Bundesrepublik zu schicken. Mancherorts kamen die Unterlagen dafür jedoch zu spät bei den Wählern an.
Derartige Probleme gibt es auch bei vielen Deutschen in Dänemark: Dort behalfen sich manche damit, über die sozialen Medien nach "Mitfahrgelegenheiten" für ihre Briefe nach Deutschland zu suchen, andere fingen dafür Reisende auf dem Weg in die Heimat am Flughafen Kopenhagen ab. Einige zahlten für Expressversand oder wollten gar selbst über die Grenze fahren, um die Briefe einzuwerfen. Manche blickten auch neidisch auf die Wahlpraktiken anderer Länder, die es ermöglichen, direkt in ihrer jeweiligen Botschaft abzustimmen.
Im Falle Dänemarks hängt das Problem auch damit zusammen, dass dort deutsche Bürokratie auf dänische Digitalisierung trifft: Während die Wahlunterlagen von deutscher Seite erst Anfang des Monats verschickt wurden, ist die dänische Post längst nicht mehr darauf ausgelegt, Briefe in kurzer Zeit zuzustellen - stattdessen findet der behördliche Briefverkehr in dem Land inzwischen quasi ausschließlich digital statt. In der Praxis bedeutet das, dass Briefe auf dem normalen Postweg aus anderen Weltregionen häufig schneller in Deutschland eintreffen als solche aus dem nördlichen Nachbarland.
Nach Schätzungen des Auswärtigen Amtes leben zwischen drei und vier Millionen Deutsche im Ausland - allerdings sind längst nicht alle davon wahlberechtigt. Die Bundeswahlleiterin ist bis Donnerstag von rund 213.000 Eintragungen von Auslandsdeutschen in die Wählerverzeichnisse der Gemeindebehörden unterrichtet worden. Das sind deutlich mehr als bei der Bundestagswahl 2021: Damals lag diese Zahl bei etwa 129.000. Bis Donnerstagabend gingen allerdings nur 9000 Wahlunterlagen per Kurierdienst des Auswärtigen Amtes bei der Kurierstelle in Berlin ein, teilte das Ministerium mit.
Betroffene schlagen Änderungen vor
Bereits im Dezember 2024 hatte die Stiftung Verbundenheit in ihrem Positionspapier "Demokratische Teilhabe weltweit: Abbau von Grenzen im Wahlrecht für Auslandsdeutsche" auf die systematischen Defizite hingewiesen und konkrete Vorschläge zur Verbesserung erarbeitet. "Warum reden alle von Digitalisierung, nur nicht beim Wahlrecht? Elektronische Wählerverzeichnisse und E-Voting-Varianten für Auslandsdeutsche sind rechtssicher und technisch möglich", sagte Junk.
Die ausschließliche Möglichkeit zur Briefwahl sei im Jahr 2025 nicht mehr "state of the art". Längere Postlaufzeiten, verloren gegangene Unterlagen oder fehlerhafte Zustellungen machten die Briefwahl für viele Auslandsdeutsche zu einem unzuverlässigen Instrument. "Es ist notwendig, dass wir die demokratische Teilhabe der Auslandsdeutschen stärken, indem wir das Wahlrecht an die Realitäten der modernen Welt anpassen", erklärte Junk.
Quelle: ntv.de, mpa/dpa