Gepanzert, luxuriös, abgeschirmt Putins Geheimzug - so reist der Kreml-Chef durch Russland
29.05.2023, 14:37 Uhr Artikel anhören
Reist gerne mit dem Zug: Wladimir Putin, hier im Jahr 2012.
(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)
Seit fast zwei Jahren verzichtet Wladimir Putin so oft es geht aufs Flugzeug und reist stattdessen mit einem Spezialzug. Das extra angefertigte Modell sieht auf den ersten Blick wie ein ganz normaler Passagierzug aus, hat aber - wie es sich für den russischen Präsidenten gehört - etliche Extras.
Regelmäßig kommen neue Gerüchte rund um den Kreml-Chef auf: Zum Beispiel, dass Wladimir Putin schwer krank ist und sich bei öffentlichen Auftritten von Doppelgängern vertreten lässt. Menschen aus dem Umfeld des russischen Machthabers berichten von seiner sehr vorsichtigen, fast paranoiden Lebensweise. Diese soll sich auch im Reiseverhalten des russischen Präsidenten widerspiegeln, hat das "Dossier Center", ein russisches Exilmedium, aufgedeckt.
Seit dem Spätsommer 2021 soll Putin, so oft es geht, das Flugzeug meiden. Stattdessen reist er mit einem Spezialzug durch Russland. Putin veränderte sein Reiseverhalten als die Vorbereitungen für den Angriff auf die Ukraine begannen, wie das "Dossier Center" unter Berufung auf eine der Präsidialverwaltung nahestehende Quelle schreibt.
Der russische Journalist Ilja Roschdestwenski ist vor anderthalb Jahren aus Moskau geflohen und hat die Geschichte fürs "Dossier Center" recherchiert. Im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" erzählt er, dass es zwei wesentliche Gründe für die Nutzung des Spezialzugs gibt: "Zum einen geht es um Geheimhaltung. Es ist wirklich schwierig, diesen Zug zu verfolgen. Wenn man ein Flugzeug benutzt, ist man leicht auf dem Flugradar zu sehen." Durch das Ausweichen auf die Schiene könne Putin seine aktuelle Position besser verschleiern und sogar Verwirrung stiften.
"Relativ nah an der Frontlinie"
Der Geheimzug dient aber auch der Sicherheit, wie der russische Investigativ-Reporter erklärt. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat das Anschlagsrisiko für den Kreml-Chef weiter verschärft. "Zwei von Putins Lieblingsresidenzen liegen in Gelendschik und Sotschi. Für russische Verhältnisse ist das relativ nah an der Frontlinie."
Gelendschik liegt weniger als 400 Kilometer von der Front in der Ukraine entfernt, bis zur Krim sind es sogar nur 140 Kilometer. "Wenn man also mit dem Flugzeug dorthin reist, kann man von einer Rakete oder einem Militärflugzeug getroffen werden."
Mit dem Zug durch Russland zu reisen, dauert deutlich länger als mit dem Flugzeug, ist aber die sicherere Variante für den vorsichtigen Präsidenten.
Trainspotter entdeckt den Spezialzug
Als einer der Ersten ist Mikhail Korotkov auf den Spezialzug aufmerksam geworden. Korotkov ist ein sogenannter Trainspotter. Das sind Menschen, die in ihrer Freizeit Züge beobachten und fotografieren. Der "Washington Post" hat er erzählt, dass ihn der Zug als eine Art "Geisterbahn" fasziniert hat. Mit einem geheimen Fahrplan, verdeckten Fenstern und ohne identifizierbare Loknummern.
Wie es sich für einen Trainspotter gehört, hat Korotkov auch von diesem besonderen Zug Fotos gemacht und diese anschließend auch auf seinem Blog veröffentlicht. Das brachte den russischen Inlandsgeheimdienst FSB auf den Plan, der damit begann, Korotkov abzuhören. Unter seinen Youtube-Videos tauchten plötzlich wortwörtliche Abschriften privater Gespräche auf. "Das war mir sehr unheimlich. Ich habe über meine persönliche Sicherheit nachgedacht. Meinen Eltern habe ich gesagt, dass mein Leben in Gefahr ist." In der Folge nahm Korotkov seinen Zug-Blog offline, im September 2022 floh er schließlich aus Russland. Mittlerweile lebt er auf Sri Lanka.
Optisch fast ein gewöhnlicher Passagierzug
Fotos von Putins Geheimzug sind äußert selten, weil dieser gar nicht so leicht zu erkennen ist. Auf den ersten Blick sieht er nämlich genauso aus wie die normalen Passagierzüge in Russland. Putins Fortbewegungsmittel geht somit im Zug-Dschungel zwischen St. Petersburg und Sotschi unter. Es gibt aber eben auch Details, die den Spezialzug verraten.
"Er sieht aus wie ein ganz normaler russischer Passagierzug, er ist grau mit roten Linien. Auffällig sind die zwei oder drei Lokomotiven", erzählt Ilja Roschdestwenski im ntv-Podcast. Es gebe Hinweise darauf, dass der Zug besonders stark gepanzert ist, um gegen Angriffe geschützt zu sein. Dadurch sei der Zug besonders schwer und muss von bis zu drei Lokomotiven gezogen werden.
Auf den Dächern der Waggons ist die Ausrüstung für verschlüsselte Kommunikation angebracht, wie aus dem Artikel des "Dossier Center" hervorgeht. "Einzelne Geräte sehen wie eine Klimaanlage aus. Es handelt sich aber um eine Art Antennen, die für die gesicherte Kommunikation des Präsidenten verwendet werden, um mit seiner Regierung und seinen Strafverfolgungsbehörden zu kommunizieren", berichtet Reporter Roschdestwenski.
Nutzt Putin sogar ein geheimes Streckennetz?
Neben dem besonderen technischen Equipment hat der Spezialzug noch weitere Vorteile: Er und seine Insassen genießen absolute Priorität und müssen keine Rücksicht auf andere Züge nehmen. Somit kann er ohne Zwischenstopp bis zu seinem Ziel durchfahren.
Zwischenzeitlich gab es sogar Gerüchte um ein geheimes Streckennetz für Putin, um die riesigen Distanzen innerhalb Russlands sicher und schnell zurücklegen zu können. Allein die Luftlinie vom südlichen Sotschi bis nach Moskau beträgt über 1.300 Kilometer, nach St. Petersburg sind es nochmal über 600 Kilometer.
Ein komplett geheimes Streckennetz über derartige Distanzen? Unwahrscheinlich bis unmöglich, zeigen auch die Recherchen von Roschdestwenski. Demnach nutzt Putin für seine Zugfahrten zwar das reguläre Streckennetz, greift aber auf "geheime Bahnstationen" zurück. "Er ist wahrscheinlich der einzige Passagier für diese Stationen."
Die geheimen Bahnsteige liegen angeblich in unmittelbarer Nähe von Putins wichtigsten Residenzen: In der Nähe seiner Sommerresidenz in Sotschi, mitten in der Moskauer Innenstadt, bei St. Petersburg und außerdem in Waldai, wo sich einer seiner Lieblingspaläste befindet. Die gut überwachten Stationen dienen dem Kreml-Chef dazu, seinen Geheimzug zu benutzen, ohne großes Aufsehen zu erregen.
Über die Innenausstattung des Zugs ist noch wenig bekannt. Es wird vermutet, dass er sowohl ein Arbeits- als auch ein Besprechungszimmer hat und diese jeweils ziemlich extravagant ausgestattet sind. Der Spezialzug passt somit gut zu den prunkvollen Residenzen, die Putin ansonsten bewohnt.
"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.
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Quelle: ntv.de