Politik

Ex-NATO-General im Interview Ramms: Russland kann sich nur noch selber stoppen

Putin habe eine Phobie gegenüber der NATO entwickelt, sagt Ramms.

Putin habe eine Phobie gegenüber der NATO entwickelt, sagt Ramms.

(Foto: imago images/SNA)

Der Angriff auf die Ukraine läuft für Präsident Putin alles andere als nach Plan, ist sich der ehemalige NATO-General Egon Ramms sicher. Trotz der hohen Willenskraft der ukrainischen Streitkräfte sei Russland aber auf militärischem Wege nicht aufzuhalten. Im Interview erklärt er auch, wie die NATO zukünftig agieren könnte.

ntv: Können Sie einschätzen, was Putin vorhat?

Egon Ramms: Putin hat gesagt, dass er keine langwierige Besatzung will, sondern dass er einmarschieren, die Ukraine entmilitarisieren und eine andere Regierung einsetzen will. Mit diesen Aussagen hat er sich verkalkuliert, denn der schnelle Durchmarsch in die Ukraine ist den russischen Truppen nicht gelungen. Sicherlich aufgrund eigener Planungsfehler, aber vor allen Dingen auch wegen des hartnäckigen Widerstands der ukrainischen Streitkräfte.

Was haben die ukrainischen Streitkräfte dieser riesigen russischen Armee überhaupt entgegenzusetzen?

Egon Ramms ist ehemaliger NATO-General.

Egon Ramms ist ehemaliger NATO-General.

(Foto: picture alliance / Sodapix AG)

In vielen Bereichen haben sie die gleiche Ausrüstung wie die russische Armee. Die Waffensysteme sind verhältnismäßig gleich, wobei die Russen deutlich moderner sind. Aber die ukrainische Armee setzt alles, was sie an Unterstützung bekommt, gut und geschickt ein. Ich denke da an unsere Panzerfäuste und an die Flugabwehrraketen. Aber was sie am meisten auszeichnet, ist ihre Kampfmoral.

Aber in der Ukraine kämpfen ja nicht nur ausgebildete Soldaten. Da wird ja jeder zwischen 18 und 60 zur Waffe gebeten. Können die Leute mit solchen hochmodernen Waffen überhaupt umgehen?

Wenn man die Leute gut in die Geräte einweist, ist die Bedienung einer Panzerfaust oder einer Flugabwehr-Boden-Luft-Rakete verhältnismäßig einfach. Das einzige, was passieren kann, sind Bedienungsfehler und ein dadurch ausgelöstes Versagen der Waffen. Eine entsprechende Ausbildung kann aber schnell gehen.

Seit Tagen sind Satellitenbilder in der Welt, die einen etwa 60 Kilometer langen Militärkonvoi zeigen, der wohl kurz vor Kiew steht. Warum steht da kilometerlang Militärgerät rum?

Ich denke, dass auch das ein Planungsfehler war, weil diese Truppenteile nicht weiter nach vorne kommen. Dass ein solcher Konvoi auf den Straßen rumsteht und dann für eine vorhandene Luftwaffe ein sehr gutes Ziel wäre, ist eine ausgesprochen außergewöhnliche Situation.

Viele fordern eine Flugverbotszone der NATO in der Ukraine. Warum sperrt die NATO sich da?

Die NATO muss sich sperren. Wenn sie eine Flugverbotszone über der Ukraine durchsetzen würde, wäre sie aktiver Kriegsteilnehmer. Dann müsste sie dort mit Flugabwehrwaffen und Jagdflugzeugen rein, die praktisch russische Flugzeuge bekämpfen. Dann hätte Putin das erreicht, was er möglicherweise deutlich machen will, dass die NATO ein aggressives Bündnis ist.

Was ist an dieser Aussage dran?

Die NATO besteht seit 1949 und hat noch nie einen anderen Staat angegriffen. Sie hat immer nur auf Verteidigung geachtet. Was Putin in seinen Reden über die Aggression der NATO und über eine Einkreisung sagt, ist offensichtlich eine Phobie, die sich bei ihm entwickelt hat. Das entbehrt letztendlich jeder Grundlage.

Glauben Sie, Putin geht diesen Schritt und greift NATO-Territorium oder EU-Territorium an?

Vor zwei Wochen habe ich gesagt, er wird auch nicht in die Ukraine einmarschieren. Da habe ich mich geirrt. Aber ich hoffe, dass die Schwelle, die Grenze zu einem NATO-Staat zu überschreiten und damit den Kriegsfall auszulösen, so hoch ist, dass er diesen Schritt nicht macht.

Wie könnte Putin denn aktuell gestoppt werden?

Da spielt mit Sicherheit die ukrainische Armee eine zentrale Rolle. Obwohl es möglicherweise heute, mit Blick auf die Verhandlungen, ein erstes Signal gegeben hat. Lawrow hat eine Erklärung abgegeben, dass man über alles reden könne. Das kann eine Formsache sein. Es kann aber tatsächlich, im Gegensatz zu den letzten Gesprächen, auch inhaltlich etwas verändern. Die Ergebnisse muss man abwarten. Ob es im militärischen Bereich gelingt, ihn zu stoppen, da habe ich meine Zweifel. Es sei denn, die russischen Streitkräfte stoppen sich aufgrund von Logistikproblemen, Marschproblemen und vielleicht auch Planungsproblemen für ihre Operationen selber.

Hat denn die ukrainische Armee alleine überhaupt eine Chance, die Russen zu besiegen?

Ich würde jetzt nicht von Sieg oder Niederlage sprechen. Aber wenn die ukrainische Armee es schafft, die Russen in den Positionen festzuhalten, in denen sie jetzt sind, und vielleicht die eine oder andere Stadt befreien kann, dann wird die Sache für die Russen sehr schwierig.

Welche Möglichkeiten hat die russische Zivilbevölkerung?

Wir sollten nicht unterschätzen, was in Russland passiert. Wenn zum Beispiel die russischen Mütter mit dem Komitee tätig werden, dann kann das durchaus einen innenpolitischen Druck in Russland erzeugen, der Wirkung zeigt. Bei den Demonstrationen geht man zurzeit sehr massiv gegen alle vor. Aber wenn man die Unterstützung der breiten Bevölkerung verliert, dann würde das für Putin ein Problem heraufbeschwören.

Hat denn rund um Putin noch jemand den Einfluss, ihn zu stoppen?

Ich habe den Eindruck, dass der Kreis, den er sich dort mit Beratern zusammengestellt hat, nur noch ein Kreis von Claqueuren ist. Von den Leuten, mit denen er sich umgibt, widerspricht ihm keiner mehr.

Wie lange nimmt die NATO denn die von Putin geäußerten Aggressionen gegen sie hin?

Ein Bündnis wie die NATO muss das hinnehmen. Einfach aus dem Grund, weil die NATO keinen Vorwand für einen Krieg liefern darf. Die NATO hat das getan, was möglich ist, nämlich im Osten mit Truppen verstärkt. Damit macht die NATO deutlich, dass sie bereit ist, ihr Gebiet zu verteidigen.

Wie sieht es mit Schweden und Finnland aus?

Bei Schweden und Finnland ist die Situation eine andere. Ich habe das Gefühl, dass Putin die Absicht hat, Schweden und Finnland in die Arme der NATO zu treiben. Denn sowohl die Schweden als auch die Finnen sind stark betroffen. Die Schweden haben nun auch Verletzungen des Luftraums gehabt. Das sind so kleine Sticheleien, um jemanden herauszufordern. Und die Schweden reagieren auf das sehr entschlossen. Das zeigt, dass die Schweden die Situation richtig einschätzen. Schweden und Finnland denken schon längere Zeit über die NATO nach, üben auch mit der NATO gemeinsam. Von daher möchte sich die NATO auch weiter vergrößern.

Hätten Schweden und Finnland denn früher Partner der NATO sein sollen?

Die Schweden haben bereits in den Jahren 1992 und 1993 über einen NATO-Beitritt nachgedacht. Dann wurde die damals konservative Regierung abgewählt und es kam eine sozialistische Regierung. Damit war das Thema NATO-Beitritt erledigt. Trotzdem: Wir, die NATO, üben mit denen. Bei der großen Übung, die vor zweieinhalb Jahren in Norwegen stattfand, waren die Schweden beteiligt. Das Verhältnis ist also ein sehr enges. Wenn die Schweden und die Finnen den Antrag auf eine NATO-Mitgliedschaft stellen würden, könnte das relativ schnell realisiert werden. Sie stimmen in Ausbildungsverfahren bereits mit der NATO überein. Und vor allen Dingen sind Schweden und Finnland gute Demokratien. Da gibt es keine Bedenken.

Polen ist NATO-Partner. Was passiert, wenn dort der Luftraum durch russische Kampfjets verletzt wird? Wann ist der Punkt erreicht, wo eine NATO handelt?

In dem Augenblick, indem russische Flugzeuge in den Luftraum der NATO einfliegen, werden sie abgefangen. In Polen machen das zunächst mal die Polen selber. Aber auch Polen ist durch Flugzeuge anderer NATO-Staaten verstärkt worden. Die eigenen Jäger gehen, wenn ein solcher Alarm kommt, in die Luft und fliegen auf diese Maschinen zu. Dann nehmen sie diese Flugzeuge fotografisch auf und drängen sie ab. Im Regelfall sind Transponder und Funkverkehr abgeschaltet, man kann sich nicht vorher warnen. Man fliegt direkt an die Maschine ran und macht deutlich, dass sie abdrehen soll. Bisher ist es auch immer so gewesen, dass die Maschinen abgedreht haben. Das haben wir über Jahre hinweg, insbesondere in den baltischen Staaten, erlebt. Dort macht das die NATO Baltic Air Policing. Ähnliches haben wir im rumänisch-bulgarischen Raum. Die NATO passt schon auf, dass der Luftraum nicht verletzt wird.

Ist denn ein Einsatz der UN-Blauhelme möglich?

Einen Blauhelm-Einsatz kriegen sie nur zustande, wenn sie eine entsprechende Resolution im UN-Sicherheitsrat zusammenkriegen. Als ständiges Mitglied hat Russland das Recht, ein Veto auszusprechen. Das macht es in diesem Falle zum Eigenschutz.

Macht Ihnen, als Vier-Sterne-General, Sorge, was gerade in Europa passiert?

Das macht mir in jedem Falle Sorge. Alleine die Tatsache, dass wir in Europa wieder einen Krieg führen, ist eigentlich ein absolutes Unding. Es gab Abkommen, Verträge, Karten. All das hat Putin praktisch über Bord geschmissen und damit eine Situation geschaffen, die von seiner Seite aus keine Regeln mehr kennt. Ich nicht weiß nicht, wie das in der Ukraine zu Ende gehen wird. Oder ob Putin noch weitere Interessen hat, die dann weiter im Norden, auch im NATO-Bereich, liegen könnten.

Mit Egon Ramms sprach Charlotte Schröder

Quelle: ntv.de

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