Politik

Das Jahr des Björn Höcke Rechts, im Hintergrund

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Wie lange steht Björn Höcke noch in der zweiten Reihe der AfD?

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Björn Höcke - ein rechter Spinner im völkischen Lager der AfD? Nein, der Thüringer Landeschef versteht es, die Partei nach seinem Geschmack auszurichten. Das hat er 2017 unter Beweis gestellt.

Er tritt an das Rednerpult im Saal des Brauhauses in der "Hauptstadt des Widerstands". Seine Stimme ist voller Pathos, seine Rhetorik dramatisch. Das deutsche Volk sei bedroht, erzählt er, von ausländischen Kräften und fremden Völkerschaften. Er spricht von Patriotismus, Stolz und Vaterland. Er spricht von einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad". Und am Ende reißt es seine Zuhörer aus den Sitzen, sie skandieren "Höcke, Höcke, Höcke!" Das Jahr 2017 ist am 17. Januar noch keine drei Wochen alt und die AfD hat ihren ersten Skandal. Nach Björn Höckes Rede in Dresden, das er gerne "Hauptstadt des Widerstands" nennt, scheint die Partei als rechtsextreme Organisation endgültig enttarnt zu sein.

Weite Kreise der Partei sind nach der Rede entrüstet und fordern seinen Rauswurf. Und auch fast ein Jahr nach der Rede wollen viele AfD-Mitglieder mit Höcke nichts zu tun haben. Denn natürlich teilt lange nicht jeder in der Partei seine Positionen. Natürlich fürchten viele, dass solche Auftritte der Partei schaden können. Doch obwohl sich große Teile der AfD nach der Rede von ihm abzuwenden schienen, hat Höcke das politische Jahr seiner Partei ganz maßgeblich mitgestaltet. 2017 hat die AfD erfolgreich nach der bundespolitischen Macht gegriffen. Und es war das Jahr, in dem Höcke unter Beweis stellte, wie viele Strippen er im Hintergrund zieht. Seine Rede, seine Person sorgen bis heute für einen Riss in der Partei. Wegen Björn Höcke rollten 2017 politische Köpfe – bis in die Chefetage.

Als der Applaus im Saal des Dresdner Brauhauses längst verhallt ist, machen sich Wut und Empörung breit. Bundesweit wird über Höckes Worte berichtet. Dann springen die internationalen Medien auf. Politiker aller Lager protestieren. Höckes Rede belege, was viele behaupten und die AfD stets bestreitet: Die Partei sei eine völkische Organisation mit Nähe zur NS-Diktatur, heißt es. Dann distanzieren sich erste Parteikollegen, sein Rücktritt wird gefordert und ein Parteiausschlussverfahren angestoßen. Schließlich entschuldigt sich Höcke. Grenzen überschreiten, Tabus brechen, mediale Aufmerksamkeit schaffen und anschließend zurückrudern: mit diesem Schema hat die AfD bereits viele mediale Erfolge gefeiert. Doch dieses Mal scheint jemand zu weit gegangen zu sein. Eine Fehlkalkulation in der kalkulierten Provokation? Warten wir es ab.

War die Dresdner Rede ein Test?

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An Höcke und seinem Gefolge hat sie sich die Zähne ausgebissen: Ex-Parteichefin Frauke Petry auf dem Parteitag der AfD in Köln.

(Foto: picture alliance / Michael Kappe)

Die Empörung reicht bis an die Parteispitze: AfD-Chefin Frauke Petry fordert eine Neuausrichtung der Partei und hilft dabei, das Parteiausschlussverfahren gegen Höcke durchzudrücken. Sie will, dass die AfD eine klare Grenze zum Rechtsextremismus zieht, sich klar von völkischen und antisemitischen Inhalten distanziert. Und sie will, dass die Partei einen "realpolitischen Kurs" einschlägt, weg von der Fundamentalopposition. Die AfD soll eine ernst zu nehmende politische Kraft werden und sich von polternden Pegida-Wutbürgern distanzieren. Der Parteitag in Köln soll die Bühne für einen dreifachen Triumph von Frauke Petry werden: Sie will Höcke abstrafen, den Kurs der Partei in Richtung Mitte lenken und mit den Lorbeeren für diese Leistung ihren eigenen Chefsessel garnieren. Frauke Petry will mit dem Zukunftsantrag nach der alleinigen Macht in der AfD greifen. Doch sie greift daneben. Der Parteitag in Köln ist der Anfang von ihrem vorläufigen politischen Ende.

Es gibt keine offiziellen Zahlen darüber, wie stark der Einfluss des rechten Lagers ist, wie viele Parteimitglieder mit dem "Flügel" unter Höcke und dem Chef der Sachsen-Anhalt-AfD, André Poggenburg, sympathisieren. Laut Schätzungen ist es ein Drittel, manche sprechen auch von der Hälfte. Sicher ist aber, dass Frauke Petry diesen Einfluss deutlich unterschätzt hat. Der Parteitag ignoriert ihren Zukunftsantrag. Kein "Ja" oder "Nein", sie wird einfach missachtet. Unvergessen bleibt das Bild von ihr auf der Bühne des Parteitags: Das neue Spitzenduo aus Alice Weidel und Alexander Gauland jubelt neben ihr, sie sitzt da mit ernster Miene. Enttäuscht, isoliert, bedeutungslos. Björn Höcke, der den Parteitag nur aus der Ferne verfolgen kann - er hat seit seiner Rede in Dresden Hausverbot in allen Maritim-Hotels - kann sich die Hände reiben: Er ist nicht unumstritten, aber wenn es darauf ankommt, halten sie zu ihm. Trotz oder gerade wegen seiner Rede. Vielleicht war sie ein Test, wie weit er gehen kann.

Frauke Petry, damals die mächtigste Verfechterin eines moderaten Kurses in der Partei, trifft an diesem Tag eine Entscheidung. Wenn sich nicht grundsätzlich etwas ändert, wird sie in der AfD nicht mehr alt. Im anschließenden Bundestagswahlkampf ist sie so gut wie unsichtbar. Die Kommunikation mit dem Führungsduo Weidel und Gauland und auch mit Co-Chef Jörg Meuthen bricht zusammen. Auf dem Parteitag in Köln, das sagt sie später selbst, habe sie den Entschluss gefasst, die AfD zu verlassen.

Exodus nach Petrys Austritt bleibt aus

Und es geht auch ohne sie. Die folgenden Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen absolviert die AfD erfolgreich. In den Landtagen in Kiel und Düsseldorf sitzt fortan auch eine blaue Fraktion. Und auch im Bundestagswahlkampf bewährt sich das Spitzenduo. Gauland hält die Tür nach rechts offen, fordert einen Schlussstrich unter die Debatte um Höcke, gilt als Protegé des rechten Flügels und nutzt erfolgreich die kalkulierte Provokation für sich - unter anderem mit relativierenden Aussagen über die Rolle der Wehrmachtssoldaten im Zweiten Weltkrieg. Weidel, die gemäßigte und wirtschaftsliberale Kräfte hinter sich vereinen kann, war anfangs noch eine Verfechterin des Ausschlussverfahrens gegen Höcke. Im Wahlkampf spricht sie nicht mehr viel davon. Und auch der letzte verbliebene sichtbare Parteichef, Jörg Meuthen, demonstriert mit seinem Besuch des Kyffhäuser Treffens, dem jährlichen Stelldichein des "Flügels", dass er keine Probleme mit Höcke hat.

Auf dem Höhepunkt des Wahljahres holt die AfD 12,6 Prozent bei der Bundestagswahl. Dass 2017 ein Jahr war, in dem die AfD erneut ein Stück nach rechts gerückt ist, empfindet auch Frauke Petry so. Sie kündigt am Tag nach der Wahl an, die Fraktion zu verlassen. Die radikalen Kräfte hätten überhandgewonnen, sagt sie. Später beendet sie auch ihre Parteimitgliedschaft. Befürchtungen, ihr Austritt könne die AfD erodieren lassen, bewahrheiten sich nicht. Aus der Bundestagsfraktion folgt ihr ein weiterer Abgeordneter, auf Landes- und Lokalebene gibt es hier und da Abweichler. Der große Exodus bleibt aus. Dass sich ihr so wenige angeschlossen haben, beweist auch, wie sehr man sich in der AfD an die Töne von Vertretern wie Höcke gewöhnt hat. Die einen haben ohnehin keine Probleme mit dem rechten Flügel, die anderen haben gelernt, ihn zu akzeptieren - denn die Alternative wäre, außerhalb der AfD bei null anzufangen.

Aber spiegelt sich der Kurs auch in der Fraktionsarbeit der AfD wider? Interessanterweise nicht. In den Landtagen, in die die AfD eingezogen ist, hat sich der Ton verhärtet. Die Zahl der Ordnungsrufe hat zum Teil stark zugenommen. Es kommt zu persönlichen Angriffen und Beleidigungen. Doch die Befürchtungen, mit der AfD könne eine Art Parlaments-Pegida in den Bundestag einziehen, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Die AfD-Fraktionen im Bundestag und in den Länderparlamenten versuchen, parlamentarische Abläufe zu lernen, bringen sogar Anträge ein, die - zumindest auf Landesebene - von anderen Parteien mitgetragen werden.

Auch im Bundestag gibt es aus Sicht der Partei erste Erfolge. Ein Beispiel: Die AfD fordert in einem Antrag, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die in ihre Heimat zurückwollen. Die Sicherheitslage habe sich schließlich drastisch verändert. Der Antrag wird von allen Fraktionen abgelehnt. Kaum eine Woche später kommt aus Reihen der Union der Vorschlag, man könne darüber nachdenken, syrische Flüchtlinge, die in Deutschland kriminell geworden sind, nach Syrien abzuschieben. Die Sicherheitslage habe sich ja schließlich drastisch verändert. Die Fraktion setzt Themen auf die Agenda.

Rechter an der Basis, angepasster im Bundestag

Es wirkt nicht wie eine wütende Protestpartei, die da rechts der FDP im Bundestag sitzt. Ehrfurchtsvoll machen AfD-Leute bei den ersten Sitzungen Fotos vom Plenum, von ihren neuen Büros, ihren neuen Computern. Zwischenrufe - ja, Gelächter - ja, Pöbeleien - nein. Die Abgeordneten haben sich den Gepflogenheiten im Hohen Haus angepasst. Sie werden selbst allmählich zum Establishment. Vielleicht hat der Bundestag die AfD-Abgeordneten schon mehr verändert als umgekehrt. Es wirkt fast wie eine Zwei-Klassen-Partei: der sich mäßigende, angepasste Kopf in den Parlamenten und der zunehmend rechte Rumpf an der Parteibasis.

Wer die Strippen in der Hand hat, wurde auch auf einem der letzten wichtigen Termine der AfD in diesem Jahr deutlich: dem Parteitag in Hannover. Als sich abzeichnete, dass Jörg Meuthen mit Georg Pazderski künftig die Parteiführung übernehmen könnte, geriet das rechte Lager um Höcke in Aufruhr. Pazderski will, wie Frauke Petry einst, die Partei anschlussfähig machen, mäßigen - und verteidigte stets das Ausschlussverfahren gegen Höcke. Er ist einer vom einstigen Petry-Lager. Kurzerhand schickte der Flügel eine Person ins Rennen, die beinahe noch tiefer im völkisch-nationalen Lager steht als Höcke selbst: Doris von Sayn-Wittgenstein. Das Kalkül: Es kommt zur Kampfabstimmung und Gauland springt ein, um einen Patt zu lösen. Genau so geschah es. Und Gauland, dem nachgesagt wird, Höcke hörig zu sein, wird mit Meuthen Parteichef. So stand es auch auf dem Wunschzettel des rechten Lagers.

Der "Flügel" hat 2017 bewiesen, wie groß sein Einfluss in der Partei ist - auch ohne dass in den Parlamenten, in denen sie vertreten ist, nun völkische Reden gehalten werden. Höcke und seine Leute stehen im Hintergrund und mischen unauffällig, aber wirksam mit. Sie haben gesehen, wie man eine Rede im NS-Jargon halten kann, ohne dass ernste Konsequenzen drohen. Sie haben gesehen, dass die Partei trotz dieser Provokationen in die Parlamente einzieht. Sie haben eine realpolitische Ausrichtung der AfD verhindert und Parteichefin Frauke Petry, wie zuvor schon Bernd Lucke, aus der Partei gedrängt. Und sie haben genau den Mann an die Spitze der Partei bekommen, den sie dort haben wollten.

Wie lange werden Björn Höcke und seine Getreuen noch im Hintergrund agieren? 2017 haben sie bewiesen, dass sie die Fäden spinnen können. 2018 könnte das Jahr werden, in dem sie aus der zweiten Reihe nach vorne treten.

Quelle: ntv.de

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