Kein Auftrag an Kickl Van der Bellen rückt bei der Regierungssuche von der Tradition ab
09.10.2024, 18:15 Uhr Artikel anhören
Bundespräsident Van der Bellen nimmt die Parteien in die Pflicht, eine stabile Regierung zu formen.
(Foto: picture alliance / Martin Juen / SEPA.Media / pictu)
In Wien ist es ungeschriebenes Gesetz, dass der Staatspräsident den Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragt. Doch der FPÖ will niemand an die Spitze helfen. Von Beginn an aussichtslose Gespräche brächten dem Land nichts, urteil Van der Bellen. Nun sollen es die Parteien untereinander klären.
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen schlägt zur Bildung einer Regierung einen neuen Weg ein. Er werde diesmal nicht, wie sonst üblich, der stimmenstärksten Partei den Regierungsbildungsauftrag erteilen, sagte das Staatsoberhaupt in Wien. Stattdessen sollen die Vorsitzenden der drei größten Parteien, FPÖ, ÖVP und SPÖ, untereinander klären, welche Zusammenarbeit vorstellbar wäre.
"Diesmal ist ein unüblicher Fall eingetreten", sagte Van der Bellen. "Es ist vollkommen neu, dass es einen Wahlsieger gibt, mit dem offenbar keine der anderen Parteien regieren will." Für eine Regierungsbildung braucht es mindestens zwei der drei größeren Parteien. Möglich ist, dass es erstmals zu einer Dreier-Koalition aus ÖVP, SPÖ und einer kleineren Partei kommt.
Traditionell erhielt bisher die stimmenstärkste Partei den Auftrag zur Regierungsbildung. In der Verfassung festgeschrieben ist das aber nicht. Der Bundespräsident, der in Österreich mehr Befugnisse hat als etwa sein deutscher Amtskollege, hat hier freie Hand. "Wir brauchen Klarheit", so Van der Bellen in der Wiener Hofburg. "Sondierungsgespräche, die von vorn hinein zum Scheitern verurteilt sind, das bringt Österreich nicht weiter."
Aus der Nationalratswahl Ende September war die rechtspopulistische FPÖ erstmals als stimmenstärkste Partei hervorgegangen. Die regierende konservative ÖVP verbuchte hohe Verluste und landete vor der sozialdemokratischen SPÖ auf Platz zwei. Die FPÖ kam auf 29,8 Prozent der Stimmen und erreichte damit ihr bisher bestes Ergebnis.
Parteichef Herbert Kickl gelang es, die nach dem "Ibiza-Skandal" um den früheren FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in der Wählergunst abgestürzte Partei an die Spitze zu führen. Insgesamt gaben der EU- und islamkritischen Partei rund 1,4 Millionen Österreicher ihre Stimme. Die seit Jahrzehnten in der politischen Landschaft etablierte Partei, die auf Bundesebene schon mehrfach mitregiert hat und in einigen Landesregierungen sitzt, konnte mit ihrer Kritik an der Corona-Politik der schwarz-grünen Regierung und ihrem harten Migrationskurs punkten. Nach dem Wahlsieg erklärte Kickl, dass er die künftige Regierung anführen wolle. Doch keine Partei will ihm den Weg ins Kanzleramt ebnen.
Eine Brandmauer gibt es in Österreich nicht. Die ÖVP schließt eine Koalition mit der FPÖ nicht generell aus, lehnt aber eine Zusammenarbeit mit Kickl ab. In der FPÖ gebe es viele "vernünftige Köpfe", sagte der amtierende Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer. Doch Kickl sei ein Sicherheitsrisiko und habe sich in Verschwörungstheorien verfangen.
Die SPÖ, die liberalen Neos und die Grünen wollen Van der Bellen zufolge mit der FPÖ grundsätzlich nicht regieren. Kickl wiederum habe versichert, dass es die FPÖ in einer Regierung nur mit ihm als Bundeskanzler gebe. "Eine klassische Pattsituation", sagte Van der Bellen, der den drei Parteien bis Ende nächster Woche Zeit gab für Gespräche.
Quelle: ntv.de, jwu/rts