Das ist die AusgangslageRenten-Probeabstimmung wird zum Showdown für Junge Gruppe

Der Rentenstreit ist längst Existenzfrage für die schwarz-rote Koalition. Alle Blicke richten sich auf die Renten-Rebellen der Union. Die müssen nun bei einer Probeabstimmung Farbe bekennen. Um 15 Uhr schlägt die Stunde der Wahrheit.
Die Renten-Rebellen der Union müssen am Nachmittag bei einer Probeabstimmung in der Sitzung der Bundesfraktion Farbe bekennen. Mithilfe des Votums will die Fraktionsführung feststellen, mit wie vielen Abweichlern sie bei einer Entscheidung im Bundestag rechnen muss.
Die schwarz-rote Koalition hat eine Mehrheit von zwölf Stimmen im Parlament. Zur Jungen Gruppe, die sich seit Monaten gegen das Rentenpaket stemmt, zählen 18 Abgeordnete. Das heißt, dass die Koalition von CDU, CSU und SPD ohne sie keine sichere Mehrheit hat.
Das Problem
Die Junge Gruppe lehnt das von Arbeitsministerin Bärbel Bas geschnürte und von der Bundesregierung beschlossene Rentenpaket ab. Das darin angepeilte Rentenniveau - also das Verhältnis der gesetzlichen Rente eines Standardrentners mit 45 Beitragsjahren zum Durchschnittsverdienst aller Erwerbstätigen - von 48 Prozent über 2031 hinaus würde ihrer Überzeugung nach inakzeptable Kosten in dreistelliger Milliardenhöhe verursachen.
Die Spitzen von Union und SPD haben sich am Freitag im Koalitionsausschuss trotzdem darauf festgelegt, den Gesetzentwurf nicht mehr zu ändern. Allerdings haben sie ein Kompromissangebot vorgelegt: Danach soll die längst beschlossene Rentenkommission schon dieses Jahr mit Vorbereitungen für eine große Reform loslegen, bis Mitte 2026 Vorschläge vorlegen und auch mit Vertretern der jungen Generation besetzt werden - zum Beispiel aus der Jungen Gruppe der Union. Außerdem soll sie auch Themen behandeln, die für die SPD bisher ein Tabu waren, zum Beispiel ein späteres Renteneintrittsalter als 67.
Die Ausgangsposition der Jungen
Der Jungen Gruppe reicht das Kompromissangebot nicht aus. Nach drei Tagen Bedenkzeit veröffentlichte sie am Montag ein Positionspapier, in dem das Gesetz nach wie vor als "nicht zustimmungsfähig" bezeichnet wird. Den Mitgliedern der Gruppe wird aber das Abstimmungsverhalten freigestellt.
"Allen frei gewählten Abgeordneten kommt eine eigene staatspolitische Verantwortung zu", heißt es in dem Papier. Diese umfasse die Rücksicht auf den Koalitionsfrieden, aber auch auf die finanzielle Stabilität des Landes. "Vor diesem Hintergrund wird jedes Mitglied der Jungen Gruppe die Argumente abwägen und eine Entscheidung treffen." Im Klartext heißt das: Die Jungen müssen sich nun zwischen ihrer inhaltlichen Überzeugung und dem Koalitionsfrieden entscheiden.
Das Agieren der Führung
Die Freigabe der Abstimmung kommt der Strategie der Führungsriege entgegen. Vor allem Unionsfraktionschef Jens Spahn nimmt sich seit Tagen die Jungen nacheinander vor und versucht, sie umzustimmen. Medienberichten zufolge soll er dabei zumindest durch die Blume mit hinteren, wenig aussichtsreichen Listenplätzen bei der nächsten Bundestagswahl gedroht haben.
"So konkret habe ich das nicht", sagte Spahn am Sonntag in der ARD-Sendung "Miosga" dazu. "Ich führe einfach freundliche, klare Gespräche, ich drohe nicht." Es sei aber klar, dass "über Szenarien und Konsequenzen" gesprochen werde.
Die Mehrheit im Bundestag
Wie viele der Jungen überzeugt werden müssen, lässt sich nicht genau sagen. Im Bundestag sitzen 630 Abgeordnete, davon gehören 328 der Koalition an - das sind 12 mehr als die absolute Mehrheit von 316, die auch Kanzlermehrheit genannt wird, weil sie zum Beispiel bei der Wahl des Kanzlers oder der Vertrauensfrage erreicht werden muss.
Bei der Abstimmung über einfache Gesetze reicht aber die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen aus. Das heißt, die Zahl der notwendigen Stimmen hängt auch davon ab, wie viele Abgeordnete überhaupt anwesend sind. Wenn alle da wären, müssten sechs Mitglieder der Jungen Gruppe für den Gesetzentwurf stimmen, um eine eigene Mehrheit der Koalition von 316 Stimmen zu sichern - sofern die schwarz-roten Reihen ansonsten geschlossen bleiben.
Die Wackelkandidaten
Philipp Amthor ist Parlamentarischer Staatssekretär im Digitalministerium und Mitgliederbeauftragter im CDU-Vorstand. Von ihm sagt man schon seit längerem, dass er die Koalition nicht über die Klinge springen lassen würde.
Aber nicht er, sondern der CDU-Abgeordnete Daniel Kölbl hat sich nun als Erster öffentlich erklärt. "Ich möchte keine Regierungskrise. Deswegen werde ich mein Abstimmungsverhalten im Zweifel entgegen meiner inhaltlichen Überzeugung so ausrichten, dass meine Stimme nicht die entscheidende Stimme für ein Scheitern des Rentenpakets wäre", sagte er dem "Spiegel".
Neben ihm hat sich bisher nur der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, festgelegt - hinter verschlossenen Türen. Er kündigte in der CDU-Vorstandssitzung am Montag nach Teilnehmerangaben an, dass er mit Nein stimmen werde.
Der Zeitplan
Bundeskanzler Friedrich Merz will eine Abstimmung im Bundestag am kommenden Freitag. Selbst wenn in der Probeabstimmung noch Stimmen fehlen sollten, wären noch drei Tage Zeit, um die Mehrheit zu sichern.
Theoretisch wäre auch noch eine Verschiebung in die Woche vor Weihnachten möglich. Das will aber eigentlich niemand in der Koalition und es wäre auch nur mit einer Verkürzung der vorgeschriebenen Fristen möglich. Am 19. Dezember soll der Bundesrat nach dem Plan der Koalitionsspitzen zustimmen und am 1. Januar das Gesetz in Kraft treten.
Die Opposition
Sie schaut zu und wundert sich. Für Grüne und AfD ist eine Zustimmung zum Rentengesetz tabu. Als Stimmenbeschafferin käme also theoretisch nur die Linke in Frage. Die will nach Angaben von Parteichefin Ines Schwerdtner erst am Dienstag über ihr Abstimmungsverhalten beraten. Schwerdtner zeigte sich skeptisch: "Wir haben von Anfang an gesagt, dass wir vor allem das Rentenniveau absichern wollen und dass wir nichts zustimmen werden, was die Lebensbedingungen der Rentnerinnen und Rentner verschlimmert. Ich glaube, der Begleittext verschlimmert das de facto."
So oder so wäre ein Gesetzbeschluss ohne eigene Mehrheit ein Offenbarungseid für die Koalition und vor allem für die Union ein Alptraum. Die CDU hat eine Zusammenarbeit mit der Linken per Parteitagsbeschluss ausgeschlossen.
Wenn alles schief läuft...
...dann steckt die Koalition ganz tief in einer existenziellen Krise. Einen Plan B scheint es bisher nicht zu geben.