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Ukraine-Talk bei Maischberger "Rote Linien werden von Putin immer wieder neu definiert"

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Major warnt vor einer Einstellung der Waffenlieferungen.

Major warnt vor einer Einstellung der Waffenlieferungen.

(Foto: WDR/Oliver Ziebe)

Nach der Absage von US-Präsident Biden fällt das Ukraine-Unterstützertreffen in Ramstein aus. Das von Russland angegriffene Land benötigt aber dringend weitere Waffenlieferungen aus dem Westen, sagt Sicherheitsexpertin Major. Sonst verliere Kiew den Krieg langfristig durch Abnutzung.

Eigentlich hätte am kommenden Wochenende ein weiteres Ramstein-Treffen stattfinden sollen. Dabei sollte über das weitere Vorgehen des Westens in der Ukraine beraten werden. Weil US-Präsident Biden wegen des Hurrikans "Milton" nicht in der Lage ist, nach Europa zu kommen, entfällt das Treffen.

Dennoch will der ukrainische Präsident Selenskyj am Freitag mit Bundeskanzler Olaf Scholz zusammenkommen. In der ARD-Talkshow "Maischberger" rät der ehemalige NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der den ukrainischen Präsidenten in Militärfragen berät, Selenskyj solle bei diesem Gespräch auf weitere Waffenlieferungen und auf schnelle Beitrittsverhandlungen der Ukraine in die NATO drängen.

Sicherheitsexpertin Claudia Major hat vor Kurzem die Ukraine besucht. "Die Stimmung der Ukrainer ist eine Mischung zwischen Verzweiflung, Ohnmacht und gleichzeitig der Überzeugung, dass sie weiterkämpfen müssen", berichtet Major. Die Menschen in der Ukraine würden spüren, dass es für ihr Land militärisch nicht gut läuft. Außerdem sei der Eindruck entstanden, dass die westliche Unterstützung abnimmt.

In der Ukraine gibt es Unverständnis über Westeuropa

"Gleichzeitig gibt es die Überzeugung, dass ihnen eigentlich keine andere Wahl bleibt, als weiterzukämpfen, weil das Einstellen der Verteidigung dazu führen würde, dass sie von Russland überrannt würden. Und dieses Gefühl von Ohnmacht und gleichzeitig Entschlossenheit ist etwas, das man gerade als Besucher, der nach drei Tagen wieder ins friedliche Westeuropa zurückkehren kann, schwer erträgt." In der Ukraine herrsche ein großes Unverständnis darüber, dass Westeuropa offenbar nicht verstehen könne, dass Russland die Ukraine als eigenständigen Staat abschaffen wolle. Die westeuropäischen Länder begriffen die Dramatik der Situation offensichtlich nicht.

"Wenn die westliche Unterstützung so bleibt, wie sie jetzt ist, besteht das Risiko, dass die Ukraine den Krieg langfristig durch Abnutzung verliert", prognostiziert Major. Richtig sei, bei allen Waffenlieferungen die Risiken für den Westen abzuwägen. Besonders nach dem russischen Überfall auf die Ukraine sei dieses Vorgehen sinnvoll gewesen, gibt Major zu. Inzwischen sei jedoch klar geworden, dass man immer wieder rote Linien übertreten konnte, die der russische Präsident Putin gezogen habe, ohne dass dieser reagiere.

Major nennt als Beispiele die ukrainischen Angriffe auf die Krim oder die Besetzung von Gebieten in der russischen Region Kursk durch die ukrainische Armee. Major: "Die roten Linien sind etwas, das Putin immer wieder neu definiert. Und die Frage ist, ob man letztlich durch die westliche Besonnenheit dem Frieden näherkommt, oder ob man durch dieses Zögern die russischen Eskalationen nicht erst einlädt. Man kann genauso gut sagen, dass wir Russland immer wieder signalisieren, wir würden nichts tun."

Ohne Waffenlieferungen hat Russland freie Bahn

Russland habe Städte wie Charkiw in Schutt und Asche gelegt und mehr als 80 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur zerstört. Die westliche Unterstützung der Ukraine sei in den letzten Monaten gebröckelt. Major kritisiert das. "Wenn die Waffenlieferungen eingestellt werden, führt das nicht zum Frieden. Wir müssen auf die russischen Ziele schauen, und wenn man den offiziellen Positionen glaubt, haben sich die russischen Ziele nicht verändert." Russland wolle die Ukraine zu einem Vasallenstaat machen, sagt Major. Die Ukraine sei weiter bedroht. "Aber, und das ist wichtig: Nicht nur die Ukraine, sondern auch, wie wir in Westeuropa zusammenleben." Waffenlieferungen einzustellen hieße, Russland freie Bahn zu lassen.

Darauf müssten sich auch mögliche Friedensverhandlungen konzentrieren, fordert Rasmussen. Ein schwacher Frieden würde den Boden für den nächsten Krieg bereiten, sagt er. Ein Friedensvertrag müsse fair, gerecht und akzeptabel für die Ukraine sein. Doch bis es so weit ist, wird es noch lange dauern, weiß Major: "Frieden heißt, dass es keine Gründe für den Krieg mehr gibt, dass man die Konfliktursachen überwunden hat, dass es eine Demilitarisierung der Politik, der Gedanken der ganzen Bevölkerung gibt. Und das dauert enorm lange."

Quelle: ntv.de

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