Vom Modellland zum Sumpfgebiet? Rückkehr der Tiefschläge im hohen Norden
08.06.2020, 10:02 Uhr
Regierungschef Günther - es scheint was faul im Staate zwischen Ost- und Nordsee.
(Foto: picture alliance/dpa)
Schleswig-Holstein war über Jahre immer für dein einen oder anderen Politikskandal gut. Doch mit dem Amtsantritt der Jamaika-Koalition schien die Zeit vorbei. Ein smarter Regierungschef mit Nähe zur Kanzlerin verhieß Hoffnung. Nun aber kehrt Leben in die Schützengräben von einst zurück.
Die Zeit der Barschel-Affäre, von teils kriminellen Machenschaften und bösen Intrigen ist lange vorbei. Schleswig-Holstein galt zuletzt als schwarz-grün-gelbes Modellland mit einer geschmeidig arbeitenden Jamaika-Koalition. In der Corona-Krise waren die Regierung von Daniel Günther und die Oppositionsparteien SPD und Südschleswigscher Wählerverband in den ersten Wochen sogar ein Stück zusammengerückt. Doch mittlerweile hat sich unterschwellig etwas zusammengebraut im Norden.
"Schleswig-Holstein muss langsam wirklich aufpassen, nicht wieder zu einem politischen Sumpfgebiet wie in den Achtzigern und auch Neunzigern zu werden", sagte FDP-Fraktionschef Christopher Vogt jüngst. Was ist der Anlass für so viel Unbehagen? Vieles ist undurchsichtig, doch eine Reihe von Vorgängen vergiftet das Klima. Sie spielen zwischen Justiz, Polizei und Politik.
SPD warnt vor Dunkelfeld
Es geht um Ermittlungen der Kieler Staatsanwaltschaft gegen einen früheren Polizei-Gewerkschafter und um vertrauliche Berichte, die im Zusammenhang mit dem damaligen CDU-Innenminister Hans-Joachim Grote und der von der SPD gestellten Polizeibeauftragten des Landes standen und an die Medien gelangten. Ein Vertrauensbruch zwischen Regierungschef Günther und seinem Parteifreund Grote mündete in den zerknirschten Abtritt des Ministers.
Zugleich setzte die CDU nach einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die sozialdemokratische Polizeibeauftragte diese so massiv unter Druck, dass die kleineren Koalitionspartner Grüne und FDP die Ministerpräsidentenpartei schließlich zurückpfiffen. Es kriselte in der Koalition. "Es bleibt dringend notwendig, das Dunkelfeld zwischen Staatskanzlei, Kabinett, CDU, Polizeiführung, Medien und Staatsanwaltschaft auszuleuchten und aufzuklären", sagte SPD-Fraktionschef Ralf Stegner. Und der Grüne Burkhard Peters warnte vor einer Politisierung der Strafverfolgung.
Grüner Höhenflug
All dies berührt auch den lange strahlenden Regierungschef. Günther war ein Jahr nach seinem Wahlsieg von 2017 in den engen Beraterkreis von Kanzlerin Angela Merkel gerückt und damit rasch ins bundesweite Blickfeld. Doch in diesem Jahr läuft einiges nicht nach Plan, nicht nur wegen Grote. So sah Ende Januar eine Umfrage die CDU nur noch bei 28 Prozent, gerade so vor den Grünen, die demnach gar den Ministerpräsidenten stellen könnten. Und auch CDU-Bildungsministerin Karin Prien trübte das Bild mit einem Vorstoß an Günther vorbei zu einem möglichen Verzicht auf Abschlussprüfungen an Schulen. Hinzu kam unglückliche Kommunikation der Regierung zu Kontaktregeln. Aber warum beschwören Leute wie Stegner und Vogt gleich die 80-er und 90-er Skandaljahre - obwohl die Vorgänge längst nicht diese Dimension haben?
Stegner zielt auf Günther, wenn er zu den Vorgängen um Grote sagt: "Da passen Abläufe und öffentliche Behauptungen schwer zusammen." Und er spricht mit Bezug zu den anderen Vorgängen von "Beifang aus Durchsuchungsaktionen", der öffentlich geworden sei. Da stelle sich die Frage, ob die Staatsanwaltschaft "Politik machen soll" - sie sei ja Teil der Exekutive. "Wer wusste wann was, war das eine Intrige gegen Grote, wer war daran beteiligt?"
Ende der Harmonie
Was Stegner in Frageform kleidet, nimmt die Gegenseite als Attacken wahr. Ein Vergleich mit der Barschel-Zeit aber ist der böseste denkbare in Kiel. Zur Erinnerung: 1987 wurde bekannt, dass der Referent Reiner Pfeiffer aus der Staatskanzlei von CDU-Regierungschef Uwe Barschel im Wahlkampf den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm mit fiesen Tricks verfolgt hatte. Barschel trat zurück. Tage später fand ein Reporter im Genfer Hotel "Beau Rivage" seine bekleidete Leiche in der Zimmerbadewanne. Bis heute ist ungewiss, ob Barschel ermordet wurde oder aus eigenem Willen starb.
Doch damit war nicht Schluss. 1993 kam heraus, dass Pfeiffer nach dem Barschel-Skandal Geld erhalten hatte vom damaligen SPD-Landeschef Günther Jansen. Die SPD stürzte in eine Vertrauenskrise, erst trat Jansen als Sozialminister zurück, dann Engholm als Ministerpräsident und Kanzlerkandidat. Das Klima blieb auf Jahre vergiftet. Für FDP-Fraktionschef Vogt war das bisher Vergangenheit.
"Die politische Kultur war im Land in den letzten Jahren so gut wie lange nicht", sagte er. Deshalb habe ihn die Heftigkeit der jetzigen Auseinandersetzungen zwischen CDU und SPD erstaunt. So etwas habe er in seiner elfjährigen Landtagszeit noch nicht erlebt, sagt er.
Quelle: ntv.de, Wolfgang Schmidt, dpa