Der Kriegstag im Überblick Russische Front bröckelt - Ukrainer befreien wichtige Ortschaften
10.09.2022, 21:04 Uhr
Der ukrainische Siegeszug im Osten des Landes geht mit hohem Tempo weiter. Während der Kreml noch den Rückzug aus der Stadt Isjum bekannt gibt, feiert Kiew bereits die Befreiung der strategisch wichtigen Stadt Kupjansk. Auch in der Region Luhansk sind die ukrainischen Truppen auf dem Vormarsch. Unterdessen sichert Außenministerin Baerbock weitere Waffenlieferungen zu. Der 199. Kriegstag im Überblick.
Kreml gibt Rückzüge bekannt
Die ukrainischen Truppen haben offensichtlich mit ihrer Gegenoffensive die russischen Truppen zum Rückzug aus der ukrainischen Region Charkiw gedrängt. Der Sprecher des russischen Verteidigungsministeriums, Igor Konaschenkow, sagte in Moskau, Soldaten sollten etwa aus der strategisch wichtigen Stadt Isjum abgezogen werden. Auch aus der Stadt Balaklija, die die Ukrainer schon als befreit gemeldet hatten, sollen die russischen Truppen abrücken. Die von Russland in Charkiw eingesetzte Militärverwaltung rief die Menschen auf, die Region zu verlassen.
Offiziell begründet wurde der Abzug damit, dass durch die Umgruppierung die Einheiten im angrenzenden Gebiet Donezk verstärkt werden sollen. Viele Militärexperten gehen jedoch davon aus, dass die Russen angesichts des massiven ukrainischen Vorstoßes im Charkiwer Gebiet so stark unter Druck geraten sind, dass sie sich zur Flucht entschieden haben.
Ukrainer erreichen Kupjansk und Isjum
Zuvor hatte Kiew die Rückeroberung der strategisch wichtigen Stadt Kupjansk im Gebiet Charkiw gemeldet. Der Inlandsgeheimdienst SBU veröffentlichte Fotos, die Einheiten in der Kleinstadt zeigten. Kupjansk diente als Verkehrsknotenpunkt für die Versorgung des russischen Truppenverbands um das südwestlich gelegene Isjum. In Onlinediensten veröffentlichte Aufnahmen zeigten zudem ukrainische Soldaten in Isjum.
Später berichtete der Militärgouverneur des ebenfalls ostukrainischen Gebiets Luhansk, Serhij Hajdaj, die eigenen Truppen seien auch dort auf dem Vormarsch und bereits an den Stadtrand von Lyssytschansk vorgestoßen. Russische Besatzer und Kollaborateure würden ihre Siedlungen in der Region scharenweise verlassen. Lyssytschansk war im Juli als letzte größere Stadt des Gebietes Luhansk von der russischen Armee erobert worden. Nach Hajdajs Angaben hissten ukrainische Partisanen bereits die ukrainische Flagge in Kreminna, einer Ortschaft nahe Sjewjerodonezk, der Nachbarstadt von Lyssytschansk.
Kreml laut London von Offensive bei Charkiw überrascht
"Ukrainische Truppen rücken im Osten der Ukraine vor und befreien weitere Städte und Dörfer", erklärte Außenamtssprecher Oleh Nikolenko in Kiew. Der "Mut" der ukrainischen Soldaten gepaart mit der militärischen Unterstützung durch den Westen bringe "erstaunliche Resultate". Einem Sprecher der ukrainischen Streitkräfte zufolge rückten ukrainische Truppen auch im Süden des Landes in Gebiete vor, die von russischen Soldaten gleich zu Beginn ihrer Invasion eingenommen worden waren.
Nach britischen Informationen überrumpelten die ukrainischen Truppen mit ihrer Gegenoffensive die russischen Kräfte. Die ukrainischen Speerspitzen seien auf enger Front bis zu 50 Kilometer weit in bisher russisch besetztes Gebiet vorgestoßen, teilte das Verteidigungsministerium in London unter Berufung auf Geheimdienste mit. In dem Gebiet seien nur wenige russische Truppen versammelt gewesen, hieß es. "Die russischen Kräfte wurden offenbar überrascht."
Puschilin: "Selbstverständlich werden wir siegen"
Der Anführer der Separatisten in Donezk, Denis Puschilin, berichtete von heftigen Kämpfen in der Donbass-Region. Die Lage in der Ende Mai von russischen Soldaten eingenommenen Stadt Lyman sei "ziemlich schwierig, ebenso wie in einer Reihe anderer Orte im Norden der 'Volksrepublik'", sagte Puschilin in einem Telegram-Video. "Wir haben keine andere Wahl, als den Donbass zu halten, und wir werden Erfolg haben", versicherte er. "Selbstverständlich werden wir siegen".
Kiew: Teile russischer Luftwaffe im Wert von 155 Millionen Euro vernichtet
Die Ukraine hat nach eigenen Angaben innerhalb von drei Tagen Teile der russischen Luftwaffe zerstört, die insgesamt 157,5 Millionen Dollar wert sind. Das Luftwaffenkommando der Ukraine gab an, dass unter anderem sechs Marschflugkörper Ch-101, zwei luftgestützte Abstandswaffen Ch-59, zwei Kampfhubschrauber Kamow Ka-52 Alligator, ein Kampfhubschrauber Mi-24, zwei Erdkampfflugzeuge Suchoi Su-25 sowie zehn Aufklärungsdrohnen Orlan-10 vernichtet worden seien.
Baerbock verspricht weitere Waffenlieferungen
In Kiew versprach Bundesaußenminister Baerbock unterdessen, Deutschland werde der Ukraine auch künftig "mit der Lieferung von Waffen, mit humanitärer und finanzieller Unterstützung" helfen. Baerbock warnte vor der Strategie des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der darauf setze, "dass wir der Anteilnahme am Leid der Ukraine müde werden" und "dass er uns die Energie nehmen kann, uns gegen diesen brutalen Angriff auf unser aller Werte zu verteidigen". Diese Rechnung Putins "darf und wird nicht aufgehen". Ganz Europa wisse, "dass die Ukraine unsere Friedensordnung verteidigt", betonte Baerbock.
Zugleich forderte die Außenministerin bei ihrem Besuch in der Ukraine den vollständigen russischen Abzug vom Gelände des Atomkraftwerks Saporischschja. Mit der Besetzung des Kernkraftwerks setze Putin die gesamte Region der Gefahr eines nuklearen Zwischenfalls aus, sagte die Grünen-Politikerin. "Er macht ein AKW zum Kriegspfand in einem Kriegsgebiet", betonte sie und forderte: "Russland muss dieses Spiel mit dem Feuer sofort beenden."
Kiew fordert erneuert "Leopard"-Panzer
Derweil hat der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba seine Forderung nach Panzern des Typs "Leopard" erneuert. "Wir sehen keine Hindernisse dafür", sagte der 41-Jährige nach einem Treffen mit Baerbock. Bis sich Berlin dazu entschließe, solle Deutschland weiter Artilleriemunition liefern. "Das erhöht spürbar unsere Offensivmöglichkeiten und das hilft uns bei der Befreiung neuer Gebiete", sagte der Chefdiplomat mit Blick auf die laufenden ukrainischen Offensiven in der Ost- und Südukraine. Kuleba erwähnte ebenfalls, dass Kiew diesen Herbst das Flugabwehrsystem Iris-T erwarte.
Scholz macht Deutschen Mut
Bundeskanzler Scholz sprach den Bürgerinnen und Bürgern in der aktuellen Energiekrise Mut zu. "Wir werden uns als Land unterhaken, weil wir ein solidarisches Land sind. Wir kommen da durch", sagte er in einer Videobotschaft. Die Menschen in Deutschland spürten, dass sie in einer ernsten Zeit lebten. "Wir haben uns aber vorbereitet", versicherte der Kanzler.
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Quelle: ntv.de, jpe/AFP/dpa