Europa-Talk im Ersten Schuld war nur der Ampel-Streit
11.06.2024, 05:12 Uhr Artikel anhören
Streiten gehört zur Politik, und auch zum Konzept von "Hart aber fair".
(Foto: WDR/Oliver Ziebe)
Manchmal kann eine Talkshow so entlarvend sein. Bei "Hart aber fair" machen die Gäste den Streit in der Politik als einen Grund für den Unmut in der Bevölkerung aus. Dann streiten sie sich.
Jan ist Trucker. Und sauer. Am Montagabend ist er Gast in der ARD-Talkshow "Hart aber fair". Moderator Louis Klamroth hat bei Jan auf dem Bock gesessen. Nicht lange. Nur mal eben die Strecke Kassel/Paderborn. Und da erzählt Jan von sich, von seinem Job. Den findet er klasse. Damit wurde für ihn ein Traum wahr. Der Traum von Freiheit. Doch der Traum hat Schattenseiten. Früher habe er sich am Ende des Monats immer noch ein wenig Geld zurücklegen können, sagt er. Das ist schon lange vorbei. Heute weiß er nicht mehr, wie er mit der Kohle über den Monat kommen soll. Eigentlich sind es Kleinigkeiten, über die er sauer ist. Zum Beispiel die Sache mit den Diäten, dem Gehalt der Politiker. Und dass Politiker sich ihr Gehalt jedes Jahr erhöhen. Das stinkt ihn an.
Konstantin Kuhle von der FDP hat dafür nur wenig Verständnis. Er täte ja nicht nichts als Politiker, sagt er. Und die Diäten seien an die Durchschnittslöhne angepasst. Und wenn die sinken würden, sinken auch die Diäten. Das sei bei Corona so gewesen.
Was Kuhle aber verschweigt: Der Bundestag kann eine Diätenerhöhung ablehnen, per Gesetz. Einen entsprechenden Gesetzentwurf hat die Linke im Mai eingebracht. Hat aber wohl nicht geklappt. Zum 1. Juli sollen die Abgeordnetendiäten steigen - um sechs Prozent. Das ist die höchste Steigerung seit 30 Jahren. Ein Bundestagsabgeordneter verdient dann 11.227 Euro pro Monat. Spesen und Vergünstigungen kommen noch oben drauf. Wie die Fahrt nach Hause mit der Bahn. Erster Klasse.
Jan kann das nicht begreifen. Er bekommt keine Spesen. Selbst den Gang aufs Klo an der Raststätte muss er selber bezahlen. Einen Euro jedes Mal. Das läppert sich. Am Ende des Monats sind es mehr als 100 Euro. Doch eigentlich geht es ihm gar nicht so ums Geld. "Politiker glauben, sie wissen, was hier los ist. Das glaube ich nicht", sagt er. Was merklich spürbar ist: die Gereiztheit der Menschen. "Die waren früher entspannter." Es seien Fehler gemacht worden, über Jahre, sagt Jan. Dass die Politik die Probleme dieses Landes in den Griff bekommen kann, glaubt er nicht. Dazu gibt es seiner Ansicht nach zu viel Streit in der Politik.
Konstantin Kuhle von der FDP sieht das mit dem Streit anders. Gerade in der Ampel-Koalition gebe es Menschen mit unterschiedlichen Positionen. "Es ist nicht in Ordnung zu sagen, jetzt streitet die Politik und macht damit ihre Arbeit nicht. Dass wir uns streiten, dass wir unterschiedliche Meinungen haben, dass wir miteinander ringen, das wird immer so sein."
"Aber was nicht geht ist, dass wir streiten um des Streitens willen", entgegnet seine Koalitionskollegin Lamya Kaddor von den Grünen. Aber das mache die Ampel-Koalition manchmal. "Wir sollten uns vielleicht an der einen oder anderen Stelle mal disziplinieren und die Boxhandschuhe ausziehen."
"Mir ist es eigentlich egal, wie die Ampel zu Ergebnissen kommt", sagt Juso-Chef Philipp Türmer. "Wichtig ist, dass die Ergebnisse stimmen. Und das Problem ist: Die stimmen nicht." So müsse insgesamt eine Summe von 700 Milliarden Euro in die Infrastruktur investiert werden. Ohne eine Lockerung oder eine Aufhebung der Schuldenbremse sei das nicht möglich.
Die Schuldenbremse sei ein Gebot der Generationengerechtigkeit, sagt Kuhle. "Es wird keine Aufweichung der Schuldenbremse geben. Schon allein deswegen nicht, weil die Union für eine Aufweichung der Schuldenbremse im Bundestag nicht zur Verfügung steht."
"Das ist richtig", bestätigt Serap Güler von der CDU.
"Aber diese Erzählung tröstet doch nicht den Herrn da vorne", sagt Lamya Kaddor verzweifelt. Der Herr da vorne - das ist Jan.
Philipp Türmer ist inzwischen wütend geworden. Es gebe Investitionsbedarf, sagt er. "Meine Generation wünscht sich nicht ausgeglichene Haushalte, die will, dass wir später noch gute Jobs haben, eine gute Industrie, in der wir leben können, dass wir produzieren, dass das alles klimaneutral ist und dass wir eine gute Zukunft in diesem Land haben. Und dafür müssen wir investieren." Und außerdem müsse die Ampel verhindern, dass immer mehr Unternehmen das Land verlassen.
Aber kein Unternehmen verlasse das Land, schon gar nicht wegen der Schuldenbremse, findet Kuhle.
Doch, Miele, sagt jemand anderer. Und immer so weiter.
Ampel-Crash bei den Europawahlen
Eigentlich soll es mit „Hart aber fair“ um das Ergebnis der Europawahl vom Sonntag gehen und um die Lehren, die daraus zu ziehen sein. Ein Grund für das schlechte Wahlergebnis der Ampel: Das Vertrauen in die Politik schwindet. Das hat Philipp Türmer erkannt. Er habe sich in den vergangenen Wochen viel mit jungen Menschen unterhalten, sagt er. Und da hat er von Dingen erfahren - man glaubt es kaum: "Dieses Gefühl des Pessimismus und der fehlenden Zuversicht, wenn es um die eigene Zukunft geht. Befürchtungen, dass es einem selbst einmal schlechter als den eigenen Eltern gehen wird. Dass das Aufstiegsversprechen für viele junge Menschen nicht mehr zu gelten scheint. Gleichzeitig die Erfahrungen in der Corona-Pandemie. Das führt bei ganz vielen jungen Menschen dazu, dass sie sich vom Staat, seinen Institutionen, und damit auch den entsprechenden Parteien abwenden. Und das ist beunruhigend."
So unterschiedlich wie die beiden Politiker das Ampel-Wahl-Desaster bewerten, so unterschiedlich sind auch die Vorstellungen, was nun zu geschehen habe. Türmer fordert, die Ampel müsse sich vor allem den Problemen der Jugend widmen. Güler fordert gar nichts von der Ampel, außer: „Neuwahlen.“
In der Mitte der Gesellschaft herrsche eine massive wirtschaftliche Verunsicherung, die Menschen hätten wegen der Inflation kein Geld mehr in der Tasche, in Deutschland weise man kein Wirtschaftswachstum auf, viele Menschen fänden die Migrationspolitik der Regierung falsch. „Das seien die Probleme in Deutschland“, sagt Kuhle. Und: "Die Politik macht manches richtig. Die Politik macht manches falsch. Wir sitzen alle in einem Boot."
Dann geht die Sendung noch weiter. Im Haushalt wird noch ein wenig diskutiert und ein wenig die Frage aufgeworfen, ob islamistische Straftäter nach Afghanistan abgeschoben werden sollten – oder lieber doch nicht. Und dann ist Schluss.
Am Ende bleibt nur eine Frage: Ist Trucker Jan noch immer sauer?
Quelle: ntv.de