CSU sucht den Kurs "Seehofer überfordert einen Teil der Partei"
27.02.2017, 14:30 Uhr
Für die CSU ist Aschermittwoch der Höhepunkt des politischen Faschings. Hier empfängt Horst Seehofer bayerische Karnevals-, Faschings- und Fastnachtsverbände zum "Unsinnigen Donnerstag" in der Staatskanzlei.
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An diesem Mittwoch feiert die CSU in Passau ihr alljährliches Hochamt. Im Interview mit n-tv.de erklärt Parteikenner Heinrich Oberreuter, warum das Format wieder in Mode kommt, was für eine Rede von Parteichef Seehofer zu erwarten ist und wer die besten Chancen auf dessen Nachfolge hat.
n-tv.de: Die Hauptrede beim politischen Aschermittwoch wird Parteichef und Landesvater Horst Seehofer halten. Ist dabei eine neue Erschütterung des Unionsverhältnisses zu befürchten?

Heinrich Oberreuter lehrte als Professor für Politikwissenschaften unter anderem an der FU Berlin und der Uni Passau. Derzeit leitet das langjährige CSU-Mitglied das Institut für Journalistenausbildung in Passau.
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Heinrich Oberreuter: Sicher nicht. In den vergangenen Tagen hat sich sehr deutlich gezeigt, dass Seehofer nicht nur die Gräben, sondern auch deren Spur zuschütten will. Im Grunde überfordert er damit einen Teil der Partei, den er auf einen Anti-Merkel-Kurs eingeschworen hat. Dieser Teil erkennt nicht, dass sich Wesentliches geändert hätte, und sieht nicht ein, dass man von dieser Position abrücken müsste. Herausgefordert ist in dieser Situation vor allen Dingen Herr Seehofer.
Ist Seehofers Annäherungskurs angesichts des SPD-Höhenfluges ein Zeichen für Nervosität in der Union?
Primär ist es Konsequenz. Ein Parteivorsitzender, der seine Partei auf eine strikte Gefolgschaft einschwört und dann den Kurs ändert, muss davon ausgehen, dass manche Leute dort bleiben, wo er sie hingestellt hat. Relevant ist natürlich auch die zunehmende Verunsicherung, die in der CDU anscheinend stärker ausgeprägt ist, als in der CSU. Dabei kann es aber auch sein, dass die Bayern in ihrer unerschütterlichen Ruhe die Lage falsch einschätzen. Doch ich glaube, dass die Berliner ein Stück weit zu nervös sind.
Viele CSU-Mitglieder sehnen sich nach einem Redner vom Schlag eines Franz Josef Strauß. Was für eine Rede wäre heute von diesem zu erwarten, wenn er noch leben würde?
Von Strauß wäre Strauß zu erwarten.
Das bedeutet?
Die Reden von Strauß beinhalteten eine unsägliche Mischung aus sachlicher Information und zugespitzter Polemik. Dabei war es von oben in der alten Halle immer interessant zu sehen, wie unten das Publikum weggeschläfert ist, wenn er komplizierte ökonomische Sachverhalte erklärt hat und mit Statistiken um sich geworfen hat. Sobald er das selbst gemerkt hat, hat er eine polemische Rakete losgelassen. Strauß war alles andere als ein substanzloser Populist. Er war jemand, der populär versucht hat, komplizierte Sachverhalte zu erklären. Das würde er heute auch tun.
Inwiefern wäre die Strauß'sche Rhetorik heute noch angebracht?
Bei aller Skepsis, die ich immer persönlich gegen dieses Format Politischer Aschermittwoch gehabt habe, bin ich mir nicht sicher, ob die weltweite Entwicklung der politischen Kommunikation das Format nicht wieder legitimiert. Wir sehen sehr deutlich, dass so eine ins Populistische drängende Ansprache der Menschen sehr erfolgreich zu sein scheint. Das Beispiel Schulz ist jetzt eines der prägnantesten auf einem gehobenen Niveau. Das Beispiel Trump ist eines auf einem schrecklichen Niveau. Insofern muss sich die CSU mit ihrem Politischen Aschermittwoch kommunikationspolitisch gar nicht genieren.
Die CSU will ihre eigenen Forderungen für die Bundestagswahl im "Bayernplan" auffangen - Stichwort Obergrenze in der Flüchtlingspolitik, dem größten Streitpunkt in der Union. Gefährdet die CSU mit dem separaten Wahlprogramm den unionsinternen Friedensschluss?
Das ist eine Interpretationssache. Tatsächlich hat es in der Geschichte der Bundesrepublik immer "Bayernpläne" oder eigenständige bayrische Wahlkampfpapiere gegeben. Die Bayern haben nie nur den Bundeskanzler oder den Parteivorsitzenden der CDU plakatiert. Sie haben immer Wahlkampfpapiere gehabt, in denen die Bundespolitik auf die Landesebene heruntergebrochen worden ist und umgekehrt. Es kann auch gar nicht anders sein. Diese Partei ist kein Landesverband der CDU, sondern seit 1946 eigenständig organisiert und agierend, während die CDU als Bundespartei erst 1950 auf den Plan getreten ist. Wenn die CSU ihr Erfolgsgeheimnis preisgeben will, dann muss sie sich lückenlos an die Bundespartei CDU anschließen und keine "Bayernpläne" mehr machen. Ein "Bayernpapier" mit einer eigenständigen Position zu einem beliebigen Thema gehört zum Selbstverständnis und zum Erfolgsrezept der CSU. Die andere Frage ist, ob man, wenn man sich über Schulz und seine sozialpolitischen Gestrigkeiten beruhigt hat, solch einen Dissens in der Zuwanderungsfrage so intensiv betreiben muss, wie man ihn betrieben hat - um ihn dann im Wahlkampf mit Glaubwürdigkeitsproblem so darzustellen, dass er auf ganz kleiner Flamme vor sich hin brutzele.
Wie groß ist denn der Rückhalt für Angela Merkel in der CSU?
Noch gibt es den "Bayernplan" ja nicht. Aber den Dissens gibt es. Aus einer Umfrage geht hervor, dass weit mehr als ein Drittel der CSU-Mitglieder den Versöhnungskurs nicht unterstützen. Das heißt aber im Klartext: Eine Mehrheit ist da. Selbst in Zeiten des Konflikts gab es immer einen starken Bodensatz von CSU-Mitgliedern und -Anhängern, die trotz der Unterstützung für Seehofer in der Sache dessen persönlichen Animositäten gegen Merkel nicht unterstützen wollten.
Wie wichtig ist für die CSU eigentlich die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Bundestag?
Die CSU ist zwar eigenständig, aber in der letzten Konsequenz politisch nicht unabhängig. Natürlich konnte sich Strauß eine Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft vorstellen. Nur die politischen Konsequenzen sind abenteuerlich. Ich habe auch nie verstanden, warum Seehofer die Frage aufgeworfen hat, ob man in eine Koalition eintritt. Einen Parteivorsitzenden der CSU, der die Möglichkeit zum Mitregieren in Berlin ausschlägt und sich von der CDU trennt, den müsste man des parteischädigenden Verhaltens bezichtigen. Insofern lässt sich die Fraktionsgemeinschaft nicht auflösen, weil dies der Vorbote einer Parteispaltung wäre. Seit Helmut Kohl wissen wir, dass die CDU dann unter Umständen mit dem Einmarsch in Bayern drohte. Damit wäre das Erfolgsgeheimnis der CSU, den Freistaat Bayern hegemonial auf Bundesebene zu vertreten, hinfällig. Sie würde weder ihre überragenden landes- noch bundespolitischen Ergebnisse einfahren. Sie würde nicht mit rund 45 Prozent, sondern bestenfalls mit um die 30 Prozent abschneiden, da es auch in Bayern ein paar Leute gäbe, die CDU wählen würden. Die CSU hat nach Kreuth als Kompensation für den Nicht-Vollzug des Austritts aus der Fraktion erhebliche Positionsgewinne erzielt: eigener parlamentarischer Geschäftsführer, festgelegter Erster Stellvertreter, das Recht, in Föderalismusfragen die Stimme der Union zu führen und ähnliche Dinge. Die Preisgabe der Fraktionsgemeinschaft würde die CSU sozusagen auf das Niveau der FDP im alten Deutschen Bundestag reduzieren. Das kann man freiwillig gar nicht wollen.
Nach der Bundestagswahl im Herbst steht 2018 die Landtagswahl in Bayern bevor. Welche Wahl ist für die CSU wichtiger?
Das ist die schöne alte Frage. Im Grunde sind beide Wahlen für die Position im politischen Geschäft wichtig. Für die CSU gilt der Slogan - den sie und nicht Trump erfunden hat - "Bayern zuerst". Dieses Motto ist übrigens die Rechtfertigung für den "Bayernplan". Ihre Machtposition untermauert die CSU dadurch, dass sie in Bayern stark ist. Das zeigt sich zunächst bei der Landtagswahl. Beides verhält sich wie ein System kommunizierender Röhren: In dem Augenblick, in dem die Landtagswahlergebnisse runtergehen, würde dies auch bei der Bundestagswahl geschehen. In dem Augenblick, in dem man im Bund stark ist, gilt das wieder als Argument für die Landespolitik. Es hängt alles zusammen.
In der Dreiländerhalle treten auch Alexander Dobrindt und Joachim Herrmann als Redner auf. Warum nicht Markus Söder?
Das fragen Sie am besten den Parteivorsitzenden. Es gibt dafür sachliche Erklärungen: Dobrindt ist wichtig, weil er der CSU die Chance gibt, zwei Wahlkämpfe mit partiell dem gleichen Thema zu bestreiten: der Maut. Er könnte wie vor vier Jahren argumentieren: "Wir brauchen sie" - und nun hinzufügen: "Wir haben sie eigentlich, wenn nicht ein paar doofe Österreicher und Deutsche dagegen wären." Für Herrmann als Redner spricht, dass die innere Sicherheit das Kardinalproblem ist, das den Wahlkampf überschattet. Niemand wird Ihnen sagen, dass man Söder deswegen nicht auftreten lässt, weil er eine besondere Position für sich beansprucht. Warum sollte auch ein Finanzpolitiker reden, wenn die Kassen voll sind? Das würde nur zu einer künstlichen Auseinandersetzung führen.
Trauen Sie sich eine Prognose für einen Seehofer-Nachfolger zu?
Unter den jetzt gegebenen Umständen sage ich Ihnen: Der Nachfolger von Seehofer heißt Seehofer. Das sage ich aber schon seit zwei Jahren, seitdem er damit angefangen hat, laut mit dem Gedanken einer weiteren Amtszeit zu spielen. Wenn die Periode vorüber ist, in der er sich selbst als Nachfolger inszeniert, dann werden die Karten neu gemischt sein. Ich glaube, dass die Chancen von Herrmann bis dahin steigen.
Mit Heinrich Oberreuter sprach Christoph Rieke
Quelle: ntv.de