Politik

Trotz Taliban-Offensive Seehofer will Afghanen weiter abschieben

Bundesinnenminister Seehofer spricht sich dafür aus, Straftäter verstärkt zur freiwilligen Ausreise zu bewegen - etwa durch einen teilweisen Straferlass.

Bundesinnenminister Seehofer spricht sich dafür aus, Straftäter verstärkt zur freiwilligen Ausreise zu bewegen - etwa durch einen teilweisen Straferlass.

(Foto: imago images/Christian Spicker)

Angesichts der zunehmenden Gewalt in Afghanistan werden die Rufe nach einem Abschiebestopp lauter. Doch die Gebietsgewinne der islamistischen Taliban bringen Innenminister Seehofer nicht davon ab, an der Praxis festzuhalten. Das sei ein "Skandal", heißt es von den Grünen.

Trotz des Vormarsches der Taliban hält Bundesinnenminister Horst Seehofer an Abschiebungen nach Afghanistan fest. "Wir verhandeln gerade mit Afghanistan, damit wir Straftäter weiterhin dorthin abschieben können", sagte er der "Bild am Sonntag". "Wie will man denn verantworten, dass Straftäter nicht mehr in ihr Heimatland zurückgeführt werden können?", fragte er. "Wir müssen auch überlegen, ob es Möglichkeiten gibt, die freiwillige Ausreise noch zu verstärken. Wenn ein Inhaftierter einen Teil seiner Strafe erlassen bekommt, reist er vielleicht freiwillig aus."

Vertreter von SPD und Linken hatten zuletzt einen Abschiebestopp für Afghanistan gefordert. Auch Grünen-Chef Robert Habeck verlangte das in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Die Bundesregierung tue weiterhin so, als wäre in Afghanistan "nichts geschehen", kritisierte er.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner wandte sich gegen eine pauschale Aussetzung und positionierte sich ähnlich wie Seehofer. "Gefährder und Straftäter dürfen sich bei uns nicht sicher fühlen, sie müssen aus Deutschland in ihr Heimatland abgeschoben werden", sagte er.

Taliban erobern zahlreiche Bezirke

Die Sprecherin der Grünen-Fraktion für Menschenrechte, Margarete Bause, nannte die Abschiebepraxis der Regierung einen "Skandal". Sie kritisierte, die Regierung verharmlose die Lage in Afghanistan, um ihre "verantwortungslose Abschiebepolitik fortzusetzen". Bause forderte insbesondere den Verzicht auf einen demnach für den 10. August geplanten neuen Abschiebeflug.

In den vergangenen Jahren waren ausschließlich Männer - vorwiegend Straftäter und sogenannte Terrorgefährder - gegen ihren Willen nach Afghanistan zurückgebracht worden. Allerdings kritisiert Pro Asyl, es seien immer wieder auch gut integrierte Menschen betroffen, gegen die es keine strafrechtlichen Vorwürfe gebe. Die Bundeswehr hatte ihren Einsatz in Afghanistan Ende Juni beendet. Parallel zu dem Abzug der internationalen Truppen haben die militant-islamistischen Taliban mehrere Offensiven begonnen und zahlreiche Bezirke unter ihre Kontrolle gebracht.

Kläger sind oft erfolgreich vor Gericht

Vor deutschen Gerichten sind afghanische Asylbewerber derweil zunehmend erfolgreich. Bei insgesamt 4212 inhaltlichen Entscheidungen zwischen Januar und Mai des laufenden Jahres erhielten die Kläger in 3203 Fällen Schutz hierzulande, 1009 Klagen wurden abgewiesen. Das geht aus einer der Deutschen Presse-Agentur vorliegenden Auskunft des Bundesinnenministeriums an die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, hervor.

Damit waren die Klägerinnen und Kläger in rund 76 Prozent der Klagen, in denen es eine inhaltliche Entscheidung gab, erfolgreich. Weitere 2418 Verfahren erledigten sich anderweitig oder betrafen Entscheidungen zur Zuständigkeit von EU-Staaten für den Kläger.

Die Erfolgsquote afghanischer Kläger gegen deutsche Asylbescheide ist damit gestiegen. Zwischen Januar und Mai 2020 waren knapp 55 Prozent der inhaltlich entschiedenen Klagen erfolgreich, im Gesamtjahr 2020 waren es 60 Prozent. Jelpke forderte ebenfalls einen Abschiebestopp und verwies auf Zahlen der UN-Mission für Afghanistan "Unama", wonach allein im Mai und Juni 2392 Zivilisten verletzt oder getötet wurden.

Quelle: ntv.de, mbe/dpa/AFP

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