Politik

Vom Kriegsverbrecher zum Partner Seit 50 Jahren ist Deutschland UN-Mitglied

"Entscheidender Moment in unserer Nachkriegsgeschichte": Scholz erinnert in New York an 50 Jahre UN-Mitgliedschaft.

"Entscheidender Moment in unserer Nachkriegsgeschichte": Scholz erinnert in New York an 50 Jahre UN-Mitgliedschaft.

(Foto: picture alliance/dpa)

Olaf Scholz war 15 Jahre alt, als die Vereinten Nationen die beiden deutschen Staaten als Mitglieder aufnahmen. Inzwischen ist die Mauer gefallen und der SPD-Politiker reist als Kanzler nach New York. Und während er den weiten Bogen über 50 Jahre Geschichte spannt, kommt sogar die Sonne hinter den Wolken hervor.

Es ist ein verregneter Tag in New York, dieser 18. September 2023. Der Bundeskanzler steht am frühen Abend im Delegate's Dining Room im 4. Stock des UN-Hauptquartiers am East River, und begrüßt die Gäste eines Empfangs, den er im Namen der Bundesrepublik gibt. Seine Frau Britta Ernst, die nach ihrem Rücktritt als brandenburgische Bildungsministerin nicht mehr von einem straffen Stundenplan abhängig ist, hat Scholz nach New York begleitet und steht jetzt neben ihm.

Anlass für diesen Empfang ist die 50-jährige Mitgliedschaft Deutschlands in den Vereinten Nationen. Als am 18. September 1973 - auf den Tag genau vor einem halben Jahrhundert - die damals noch beiden deutschen Staaten in die UNO aufgenommen wurden, hieß der deutsche Bundeskanzler Willy Brandt, der amerikanische Präsident Richard Nixon und der FC Bayern München war Deutscher Fußballmeister. Der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, der Österreicher Kurt Waldheim, begrüßte insgesamt drei neue Mitglieder: "Wir haben die Freude, die Bahamas, die BRD und die DDR willkommen zu heißen."

Olaf Scholz war damals ein 15-jähriger Teenager. Aber er kann sich noch gut daran erinnern, wie die Aufnahme beider deutscher Staaten die Öffentlichkeit bewegte. "Das war ein ganz besonderer Moment in unserer Nachkriegsgeschichte und sicherlich auch einer der entscheidenden Momente, die dazu beigetragen haben, dass in Europa ein Rahmen gewachsen ist, in dem die deutsche Einheit möglich geworden ist und von den Bürgern und Bürgerinnen im Osten Deutschlands erkämpft werden konnte. Deshalb ist mir wichtig, heute hier zu sein."

"Wir zählen auf Deutschland"

Das Ende des von Hitler-Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieges war fast 30 Jahre her, aber das Leid, die vielen Toten und Vertriebenen waren noch lange nicht vergeben und vergessen. Wie auch? Nach all dem Gräuel, das Deutschland angerichtet hatte. Dennoch war die Weltgemeinschaft bereit, den Deutschen mit der Aufnahme in die Vereinten Nationen die Hand zu reichen und sie als vollwertige Mitglieder in ihrem Kreis aufzunehmen. Die Vertreter der Bundesrepublik und der DDR saßen in der Vollversammlung sogar nebeneinander. Die deutsche Teilung war auch völkerrechtlich ein so besonderer Umstand, dass keiner der beiden deutschen Staaten allein hier hätte Mitglied werden können.

Die DDR hatte es 1966 versucht, um in ihrem Streben nach internationaler Anerkennung einen Schritt weiterzukommen, war aber am Veto der Westmächte gescheitert. Die Bundesrepublik probierte es gar nicht erst, wissend, dass die Sowjetunion nicht zugestimmt hätte. Dieser Ost-West-Konflikt auf offener internationaler Bühne war nur durch den zeitgleichen Beitritt beider deutscher Staaten zu lösen. Allerdings wurde durch die Platzierung der Diplomaten aus Ost und West in der Vollversammlung auch die Spaltung der Welt in Ost und West überdeutlich sichtbar.

Ein halbes Jahrhundert später ist Deutschland ein Big Player unter den aktuell 193 Mitgliedsstaaten. António Guterres, der Generalsekretär der Vereinten Nationen, sparte schon im Vorfeld dieses Jubiläums nicht mit Lob für die Deutschen: "Wir zählen auf Deutschland als wichtigen Partner bei unseren weltweiten Bemühungen, eine gerechtere und friedlichere Zukunft für die gesamte Menschheit aufzubauen."

Ziel ist ständiger Sitz im Sicherheitsrat

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Und die Deutschen haben große Ambitionen in der UN: Ein ständiger Sitz im Sicherheitsrat ist das Ziel. Viermal saß die Bundesrepublik bereits als rotierendes Mitglied in diesem Gremium und bewirbt sich gerade für ein fünftes Mal in den Jahren 2027/28. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht, auch wenn es mehr Bewerber als die zehn verfügbaren Plätze gibt. Ein ständiger Sitz - neben den USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien - ist aktuell aber noch eher unrealistisch. Bis es so weit ist, braucht Deutschland einen langen Atem. Aber dass sie den haben, haben die Deutschen in den vergangenen fünf Jahrzehnten eindrucksvoll bewiesen: vom geächteten Kriegsverbrecher zum geachteten Garanten für Stabilität.

Während der Kanzler spricht, reißt draußen über dem Hudson River plötzlich der Himmel auf und taucht die New Yorker Skyline in ein wunderschönes abendliches Sonnenlicht. Fast könnte man annehmen, diesen Abendhimmel hätte die Bundesregierung irgendwie organisiert. Tatsächlich ist einfach nur ein Regengebiet über New York abgezogen - aber für die vielen Gäste, die jetzt rausgehen und Fotos vom Sonnenuntergang machen, mag da vielleicht ein Hinweis drinstecken. 1973, dem Jahr des deutschen Beitritts in die UNO, trennte eine Mauer mit Stacheldraht und Schießanlage die beiden deutschen Staaten und Berlin und die deutsche Einheit galt vielen als Utopie. Heute steht ein Stück dieser Mauer auf dem Gelände des UN-Hauptquartiers und ist eine Erinnerung daran, dass Menschen so viel erreichen können, wenn sie es wirklich wollen und das gehört zur Wahrheit dazu, wenn die Umstände günstig sind.

Quelle: ntv.de

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