Interview im ukrainischen TV Selenskyj deutet Verhandlungslösung für Krim an


In einem Interview sagt Präsident Selenskyj, es wäre besser, die "Entmilitarisierung Russlands auf der Krim" politisch voranzutreiben statt militärisch. Klar ist, dass eine andauernde Militärpräsenz der Russen auf der Halbinsel für die Ukraine eine Gefahr wäre.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat angedeutet, dass er sich eine Verhandlungslösung für die Krim vorstellen könne, sobald die ukrainischen Truppen das Festland vor der Halbinsel befreit hätten. "Wenn wir uns an der administrativen Grenze zur Krim befinden, glaube ich, dass es möglich sein wird, die Entmilitarisierung Russlands auf der Halbinsel politisch voranzutreiben", sagte er in einem Interview im ukrainischen Fernsehen.
Moderatorin Natalija Mossejtschuk fragte Selenskyj in dem Interview, warum er kürzlich gesagt habe, dass er nicht sicher sei, "ob wir über die militärische Deokkupation der Krim reden sollten". Selenskyj erwiderte, so gebe es weniger Opfer. "Ich glaube, das wäre so besser, vor allem für die, die das [die Deokkupation] verwirklichen werden. Jeglicher Krieg ist mit Verlusten verbunden."
Die seit 2014 von Russland okkupierte Krim ist für die Ukraine nicht nur besetzter Bestandteil des eigenen Territoriums. Von ihr geht auch eine militärische Bedrohung aus. Zwar durfte Russland auch vor der Annexion gemäß den russisch-ukrainischen Verträgen bis zu 25.000 Soldaten auf der Halbinsel stationieren. Die tatsächliche Truppenzahl bewegte sich vor 2014 zwischen 10.000 und 12.000. Doch nach der völkerrechtswidrigen Krim-Besetzung wurde die Zahl der russischen Soldaten verdreifacht und die Militärinfrastruktur stark modernisiert. Schließlich wurde die Halbinsel im Februar 2022 als Aufmarschgebiet für die Invasion in den südukrainischen Bezirk Cherson genutzt.
Ein einziger großer Stützpunkt
Die Krim ist damit bei Weitem nicht nur der Hauptstützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte, sondern ein einziger großer Militärstützpunkt, mit zahlreichen Flugplätzen und Munitionsdepots auf dem gesamten Gebiet. Deutlich mehr als 200 Objekte auf der Halbinsel können militärisch genutzt werden - eine Infrastruktur, die der von russischen Regionen an der Grenze zur Ukraine deutlich überlegen ist. Allerdings hat die Krim ein logistisches Problem: Sie ist nur durch wenige Straßen mit dem südukrainischen Festland und lediglich durch die sogenannte Krim-Brücke, das Prestigeprojekt des russischen Präsidenten Wladimir Putins, mit Russland verbunden.
Sowohl die Zugänge von der Krim in die Region Cherson als auch die 19 Kilometer lange Krim-Brücke werden immer wieder von der Ukraine beschossen. Diese Angriffe dürften ein Vorgeschmack auf die eigentliche Strategie sein, die Kiew mit Blick auf die Krim einsetzen könnte: Der Ukraine dürfte es weniger um eine direkte und mit großer Wahrscheinlichkeit sehr blutige Landoperation auf der Halbinsel gehen. Vielmehr wird die Ukraine die logistischen Schwächen der Halbinsel voll ausnutzen wollen. Sollten die ukrainischen Streitkräfte im Laufe ihrer Offensivaktionen bis an die administrative Grenze zur Krim vorrücken und die Brücken nachhaltig zerstören, wären die Russen auf der Halbinsel nahezu in einer Blockade - und die Ukrainer könnten dann auch die Fähren beschießen, die zwischen dem russischen Festland und der Krim fahren.
Kritische Stimmen in der ukrainischen Armee
Laut "Washington Post" wurden ähnliche Strategien im Juni während des Besuchs von CIA-Chef William Burns in Kiew besprochen: Die Verlegung der Artillerie- und Raketensysteme an die Grenze zur Krim solle unter anderem den Weg zu ernsthaften Verhandlungen mit Moskau öffnen. "Russland würde nur dann verhandeln, wenn es eine Gefahr für die Krim spürt", zitierte die Zeitung einen hochrangigen ukrainischen Beamten. Der Bericht der "Washington Post" wurde zwar vom Berater des ukrainischen Präsidentenbüros, Mychajlo Podoljak, ausdrücklich dementiert. Schon damals sagte Selenskyj jedoch - ohne die Pläne zu bestätigen - dem US-Sender ABC News: "Höchstwahrscheinlich wird Putin dazu gezwungen, den Dialog mit der zivilisierten Welt zu suchen, sollte die Ukraine die administrative Grenze zur Krim erreichen."
Innerhalb der ukrainischen Armee gibt es aber auch durchaus Stimmen, dass Verhandlungen mit Russland auch dann unnötig wären. Russland sollte demnach vielmehr beim Erreichen der administrativen Grenze ein Ultimatum gestellt werden, die Halbinsel zu verlassen. Sollte Moskau darauf nicht eingehen, würde die Ukraine mit der großangelegten Zerstörung der russischen Logistik beginnen, unter anderem auch mit der vollständigen Zerstörung der Krim-Brücke.
Vor wenigen Tagen hisste eine Spezialeinheit die ukrainische Fahne auf der Krim
Unstrittig ist, dass es für die Ukraine zu den strategischen Hauptprioritäten dieses Krieges gehört, dass auf der Krim keine russischen Soldaten mehr stationiert sind und dass von der Halbinsel aus kein neuer Angriff auf die Südukraine erfolgen kann.
Für Putin hat die Krim vor allem symbolische, aber auch eine persönliche Bedeutung: Deren Annexion 2014 ist in den Augen vieler Russen noch immer die größte Errungenschaft seiner Präsidentschaft
Die Ukraine greift bereits seit einigen Wochen immer wieder Ziele auf der Krim an. In den vergangenen Tagen wurden so ein russisches Flugabwehrsystem vom Typ S-400 zerstört. Außerdem soll der ukrainische Militärgeheimdienst GRU am 24. August, dem ukrainischen Unabhängigkeitstag, eine amphibische Landungsoperation im Westen der Krim durchgeführt und dort die ukrainische Fahne gehisst haben.
Quelle: ntv.de