Der Kriegstag im Überblick Selenskyj feiert historischen Tag für Cherson – Kreml sieht Putin nicht gedemütigt
11.11.2022, 20:56 Uhr
"Ein historischer Tag": Ukrainische Soldatin in Cherson.
(Foto: picture alliance/dpa/AP)
Nach dem Abzug der Kreml-Truppen aus Cherson fahren die Bewohner in Jubel-Korsos durch die Stadt, berichtet Präsident Selenskyj. Putins Sprecher will den Rückschlag in der Südukraine nicht als Niederlage für Russland werten. Derweil gibt es Hoffnung auf ein Bekenntnis Moskaus gegen den Einsatz von Atomwaffen. Der 261. Kriegstag im Überblick.
Selenskyj: "Die Menschen haben auf uns gewartet"
Nach dem Abzug der russischen Soldaten hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von einem weiteren Vorrücken der eigenen Truppen auf die Gebietshauptstadt Cherson im Süden des Landes berichtet. "Heute ist ein historischer Tag", sagte Selenskyj in seiner Videoansprache. Noch sei die Stadt nicht komplett von der "Präsenz des Feindes" befreit, erklärte er. Ukrainische Spezialeinheiten seien aber bereits vor Ort. Die Bewohner von Cherson entfernten zudem selbstständig russische Symbole von Straßen und Gebäuden.
Selenskyj veröffentlichte auch ein Video, das Autokorsos und Jubelchöre für die anrückenden ukrainischen Soldaten zeigen soll. "Die Menschen in Cherson haben gewartet. Sie haben die Ukraine nie aufgegeben", sagte der Staatschef. "Genauso wird es in den Städten sein, die noch auf unsere Rückeroberung warten."
Unter dem Druck der ukrainischen Gegenoffensiven hatte Russland am vergangenen Mittwoch den Abzug der eigenen Truppen aus dem nordwestlich des Flusses Dnipro gelegenen Teil Chersons angekündigt. Erstmals seit Kriegsbeginn hat Russland damit einen größeren Teil eines Gebiets wieder verloren, das es völkerrechtswidrig annektiert hat und vor diesem Hintergrund als eigenes Staatsgebiet bezeichnet.
Russischer Beschuss vom linken Dnipro-Ufer
Kurz nach dem Abzug begann Russland eigenen Angaben zufolge mit Angriffen auf die gerade erst aufgegebene Region. "Aktuell werden Truppen und Militärtechnik der ukrainischen Streitkräfte auf dem rechten Ufer des Flusses Dnipro beschossen", teilte Russlands Verteidigungsministerium mit. Nur wenige Stunden zuvor hatte Ministeriumssprecher Igor Konaschenkow mitgeteilt, alle russischen Einheiten in dem südukrainischen Gebiet seien auf die linke Flussseite gebracht worden.
Bei ihrem Rückzug ließen sie auch verwundete Kameraden zurück, berichtete der britische "Daily Telegraph" unter Berufung auf Zeugenberichte von der Front. "Es gibt einen Rückzug russischer Truppen in stärker befestigte Stellungen", zitiert die Zeitung Nikolai, einen ukrainischen Soldaten. Dennoch gebe es immer noch Gegenden, in denen heftig gekämpft werde. "Sie ziehen sich zurück, weil sie Verluste erleiden, sehr schwere Verluste. Außerdem nehmen sie nicht einmal die Leichen ihrer Soldaten und lassen die Verwundeten zurück", so der Soldat.
Peskow räumt Niederlage nicht ein
Im Interview mit der BBC wollte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nicht verraten, ob der Rückzug aus Cherson dem Prestige von Putin schade - oder sogar eine Demütigung für den russischen Präsidenten sei. Peskows Antwort: "Es gibt viele Experten. Die einen sagen dies, die anderen sagen das. Wir kommentieren nichts davon. Die militärische Spezialoperation geht weiter." Nachfrage von der BBC: "Also halten Sie den Rückzug nicht für eine Demütigung?" Peskow: "Nein." BCC: "Bereut man im Kreml denn, dass es erst vor wenigen Wochen eine Zeremonie anlässlich der Annexion von Cherson gegeben hat?" Auch dazu sagte Peskow: "Nein."
Der Kreml sehe weiterhin kaum Chancen auf Friedensverhandlungen. Russland schließe Verhandlungen mit der Ukraine zwar nicht aus, sehe aber keine Bereitschaft Kiews für Gespräche, sagte Peskow nach Angaben russischer Nachrichtenagenturen. "Kiew will keine Gespräche, also geht die militärische Spezialoperation weiter", erklärte Peskow. Aus Sicht des Kremls könne die "militärische Spezialoperation" entweder mit dem Erreichen ihrer Ziele oder mit Verhandlungen beendet werden, so Putins Sprecher weiter. Indirekt räumte Peskow allerdings dann doch eine Schwächung der russischen Position ein. Friedensgespräche "aus der Position der Stärke" heraus, wie sie die ukrainische Seite beanspruche, seien nicht möglich.
G20-Gipfel: Passus zu Atomwaffen angestrebt
Beim bevorstehenden G20-Gipfel könnte Russland ein Bekenntnis gegen den Einsatz von Atomwaffen abgeben. Im aktuellen Entwurf für die Abschlusserklärung sei ein Punkt zur Nichtnutzung von Kernwaffen enthalten, sagte ein EU-Beamter. Nach derzeitigem Verhandlungsstand könne davon ausgegangen werden, dass sich dieser auch in der Endfassung finden werde. "Eine große Zahl von G20-Mitgliedern will einen Verweis auf Kernwaffen", so der Beamte. Sorgen vor einem russischen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine hatte zuletzt die völkerrechtswidrige Annexion von vier besetzten ukrainischen Gebieten geschürt.
Neuer Wind bei Atomwaffenkontrollvertrag
Auch in die festgefahrenen Gespräche zwischen Russland und den USA über eine atomare Abrüstung kommt offenbar Bewegung. Beide Seiten würden sich bald in Kairo treffen, um den Atomwaffenkontrollvertrag New Start zu besprechen, zitiert die Nachrichtenagentur Ria den russischen Vize-Außenminister Sergej Rjabkow. Angepeilt werde Ende November oder Anfang Dezember. Die USA hatten kürzlich mitgeteilt, dass ein baldiges Treffen geplant sei.
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Quelle: ntv.de, mau/dpa