Kiesewetter mit Merz in Ukraine "Selenskyj war sehr dankbar für unseren Besuch"
04.05.2022, 17:30 Uhr
Merz und Kiesewetter sprachen eine Stunde mit Selenskyj. Kiesewetter bezeichnete ihn anschließend als "sehr motiviert, sehr konzentriert".
(Foto: picture alliance/dpa/-)
Gemeinsam mit Friedrich Merz reist CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter in die Ukraine. Im Gespräch mit ntv.de berichtet er von seinen Eindrücken aus Gesprächen etwa mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und erzählt, was ihn an seinen ukrainischen Gesprächspartnern tief beeindruckt hat.
ntv.de: Sie waren mit Friedrich Merz in der Ukraine. Wie haben Sie die Reise erlebt?

Roderich Kiesewetter sitzt seit 2009 im Bundestag. Er ist Obmann der Union im Auswärtigen Ausschuss.
(Foto: Tobias Koch/www.tobiaskoch.net)
Roderich Kiesewetter: Wir sind Montagabend mit dem Nachtzug hingefahren und hatten Gespräche mit dem Präsidenten der Rada, Ruslan Stefantschuk, dem Ministerpräsidenten Denys Schmyhal, Bürgermeister Vitali Klitschko und mit Präsident Selenskyj selbst. Das kam sehr kurzfristig zustande. Auch mit Poroschenko und Timoschenko aus der Opposition haben wir geredet. Allen Gesprächen gemeinsam war das Bewusstsein, vor welch existenziellen Bedrohungen die Ukraine steht und zugleich die Unterstützung, die sie benötigt, auch Anerkennung, mit welch breiter Mehrheit der Antrag vom Bundestag letzte Woche verabschiedet wurde.
Als der Bundestag sich für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aussprach, …
… aber auch zivile Unterstützung zu leisten. Das ist ihnen bewusst gewesen, genau wie die eindeutige Mehrheit, die der Beschluss fand. Sie wussten auch, dass der Beschluss auf Initiative von Friedrich Merz zurückging. Das war parteiübergreifend, das fand ich sehr spannend.
Was haben Sie an Kriegsschäden gesehen?
Wir waren in Irpin, einem Vorort von Kiew, wo fürchterlich gewütet wurde. Dort ist der Angriff auf Kiew abgewendet worden. Die Russen hatten dort zwölfmal so hohe Verluste wie die Ukrainer. Ich habe mir das mit den Augen eines früheren Soldaten angeschaut. Wenn die sich in Irpin nicht so gewehrt hätten, wären die Russen auf einer breiten Prachtstraße nach Kiew eingefahren. Da gab es nur eine Brücke, die haben die Ukrainer gesprengt. Sie haben dort unter hohem Blutzoll gegen die Russen gewonnen. Die blinde Zerstörung durch Russland ist sehr bedrückend.
Wie sah es dort aus?
Die Leute dort haben schon begonnen, wieder aufzuräumen, aber man sieht dort eine fürchterliche Trümmerwüste. Da waren von Panzern zerschossene Wohnungen, mit aufgerissenen Wänden, ganze Einrichtungen lagen da noch herum. Man sieht zerschossene Autos am Straßenrand. Aber die Straßen waren aufgeräumt und die Leitungen geflickt. Die Leute sind von einem unwahrscheinlichen Wiederaufbauwillen beseelt.
Wie haben Sie die Stimmung dort wahrgenommen?
Aufbruchsstimmung bei der Bevölkerung und ganz große Zuversicht, dass sie den Krieg nicht verlieren werden, wenn weiter Unterstützung kommt, auch mit schweren Waffen. Die Stimmung war: Wenn ihr an unserer Seite steht, sind wir hoch motiviert. Das war auch mein Eindruck von Opposition und Regierung, insbesondere auch von Selenskyj und seinem Team - sehr motiviert, sehr fokussiert, sehr zuversichtlich, aber auch dankbar für die Unterstützung. Mit ihm konnten wir eine Stunde sprechen.
Was haben Sie mit Selenskyj besprochen?
Friedrich Merz will erst Kanzler Scholz darüber informieren. Dem will ich nicht vorgreifen. Aber es war richtig, die Reise zu machen. Es war im Grunde genommen ein Zuhören, ein Zeichen der Solidarität, die Frage: Was braucht ihr? Aber eben auch das Verbreiten von Zuversicht, dass wir jetzt mit diesem Bundestagsbeschluss alles im Rahmen des Völkerrechts tun können, was die Ukraine braucht.
Wie hat Selenskyj auf Sie gewirkt?
Sehr motiviert, sehr konzentriert. Obwohl er unter ungeheurer Spannung steht, sehr zugewandt. Sehr freundlich im Umgang, frei von jeder Attitüde. Sehr klar, er weiß, was er will und schwafelt nicht herum. Eine echte Führungskraft. Er war sehr dankbar für unseren Besuch, kennt unsere deutschen Befindlichkeiten und war da auch sehr aufgeschlossen.
Am Montag wird in Moskau der Tag des Sieges über Nazi-Deutschland gefeiert - der 9. Mai. Manche befürchten, Russland könnte dann den Krieg erklären.
Das bereitet den Ukrainern ganz große Sorge. Sie befürchten, dass Putin die Generalmobilmachung bekannt gibt oder Republiken innerhalb der Ukraine ausgerufen werden.
Was würde das bedeuten?
Die Generalmobilmachung würde zum einen die Einführung des Kriegsrechts in Russland bedeuten, also noch mehr Unterdrückung für die russische Zivilbevölkerung. Sie würde aber auch die Einberufung von 900.000 Reservisten nach sich ziehen. Das würde das Kräfteverhältnis erheblich verändern. Das Dritte wäre, dass die Russen einräumen müssten, dass sie einen Krieg und keine "Spezialoperation" führen. Aber, so wie es aussieht, ändert Russland gerade seine Rhetorik, nach dem Motto: Es sind zu viele Nazis dort, wir müssen noch mehr denazifizieren. Und das geht nur noch mit einer groß angelegten militärischen Offensive. Das fürchten die Ukrainer. Daher auch das Drängen, mehr schwere Waffen zu liefern.
Was ist der stärkste Eindruck, den Sie nun von der Reise mitbringen?
Das sind die Eindrücke aus Irpin. Dass es sich lohnt, die Ukraine zu unterstützen. Einmal, weil sie sich nicht ihrem Schicksal ergeben und in Trümmern leben. Sie wollen aufräumen und wollen nach Europa. Auch der Glaube, dass sie für uns und unsere Freiheit kämpfen und dass sie hoffen, dass sie da unterstützt werden. Es ist eine geradezu zugewandte, freundliche, hoffnungsvolle Art, nach dem Motto "Ihr müsst uns doch helfen, wir kämpfen hier für euch. Wenn wir fallen, dann fällt Moldau, dann fällt das Baltikum." Ich bin fest davon überzeugt, dass sie richtig liegen.
Die Solidarität ist in der Ukraine auch wahrgenommen worden?
Ja, absolut. Sie fühlen sich regelrecht erleichtert durch den Bundestagsbeschluss. Sie sehen, dass die Parteien der Mitte dahinter stehen. Die Zuversicht dürfen wir nicht enttäuschen und müssen hochprofessionell und abgestimmt mit unseren Alliierten und Partnern vorgehen. Aber wir müssen jetzt auch schon an das Morgen denken, sprich an die Sicherheitsgarantien und an die EU-Mitgliedschaft, die man nicht umsonst bekommt, sondern sich erarbeiten muss. Das ist ihnen auch bewusst. Sie wissen, dass es Kriterien gibt, sie wollen keine EU-Mitgliedschaft geschenkt. Aber sie wollen das unverbrüchliche Wort, wenn ihr euch anstrengt, dann werdet ihr es. Und sie strengen sich an. Das hat mich tief beeindruckt.
Mit Roderich Kiesewetter sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de