Politik

Italienischer Ökonom Alvi "So böse sind die Deutschen gar nicht"

Am Tag der Republik, dem italienischen Nationalfeiertag am 2. Juni, fliegt ein Fallschirmjäger mit der Trikolore über Rom.

Am Tag der Republik, dem italienischen Nationalfeiertag am 2. Juni, fliegt ein Fallschirmjäger mit der Trikolore über Rom.

(Foto: imago/Pacific Press Agency)

Der italienische Ökonom Geminello Alvi, der als Finanzminister der Regierung aus Lega und Fünf Sternen im Gespräch war, kritisiert die Pläne der neuen Koalition. Statt die Deutschen als die Bösen darzustellen, sollte Italien mit ihnen zusammenarbeiten.

n-tv.de: Signor Alvi, Sie waren einst Mitglied des Weisenrats, kennen sich also im italienischen Finanz- und Wirtschaftswesen bestens aus. Was halten Sie von den großzügigen Versprechen dieser Regierung - einer Flat Tax und einem Bürgereinkommen?

Geminello Alvi: Naja, das Programm weist eindeutig Grenzen auf. Freilich, diese Einheitssteuer könnte auch positive Auswirkungen haben, vorausgesetzt man führt sie schrittweise ein, wie jetzt in Erwägung gezogen wird. Das heißt, 2019 für Unternehmen und erst ab 2020 für Familien. Allerdings hängt der Erfolg dieser Regierung von etwas ganz anderem ab. Ohne eine Wachstumsrate von 2,5 bis 3 Prozent geht es nirgendwo hin. Das ist die Grundlage. Um dieses Ziel zu erreichen, muss das Investitionsvolumen in die Infrastruktur wieder erhöht und auf den Stand vor 2009 gebracht werden.

In einem Beitrag für den "Corriere della Sera" haben Sie einen Garantiefonds vorgeschlagen. Wozu soll der dienen?

Der italienische Staat besitzt noch immer ein stattliches Vermögen an Immobilien und öffentlichen Beteiligungen. Mit diesen Aktivposten könnte man einen Fonds schnüren, der als Garantie für die Staatsschulden steht. Damit wäre auch den Banken gedient. Die halten italienische Staatsanleihen, die im Fall einer Finanzkrise an Wert verlieren könnten. Mit diesem Fonds wäre es möglich, zweierlei zu bewirken: die Schulden abzubauen und das Banksystem zu stärken.

Und was ist mit dem Bürgereinkommen, auf dem die Fünf-Sterne-Bewegung besteht?

Das ist so nicht zu machen. Man darf nicht vergessen, Italien setzt sich aus zwei radikal unterschiedlichen Teilen zusammen: aus dem Norden, der zu den reichsten und wirtschaftlich am höchsten entwickelten Regionen Europas zählt, und dem Süden, der eher dem Balkan gleicht. Der Ansatz muss also ein anderer sein. Neben kräftigen Investitionen brauchen wir daher ein breitgefächertes Ausbildungsprojekt in Branchen wie Tourismus und der Infrastruktur. Nehmen Sie Süditaliens Wasserversorgung: Das Netz muss dringend instandgesetzt werden. Dazu werden Fachkräfte benötigt. Außerdem könnte man gerade für die Entwicklung des Tourismus in Süditalien ausländische Investoren aus Ländern mit hohem Überschuss wie Deutschland gewinnen. Projektfinanzierungen in solchen Bereichen würden sichere Renditen abwerfen.

Apropos Deutschland: Die neue Regierung scheint auf heftige Konfrontationen mit Brüssel und Berlin aus zu sein. Der Ausstieg aus dem Euro ist zwar kein Thema mehr, aber die Sparpolitik schon.

Fangen wir beim Euro an. Der Einführung der Gemeinschaftswährung in Italien stand ich persönlich schon immer kritisch gegenüber. Die Gemeinschaftswährung hat Italien zu niedrige Zinsen beschert, die dann auch nicht zur Tilgung der Schulden verwendet wurden. Wir sind aber jetzt im Euroraum und auszusteigen wäre verrückt. Damit würden wir eine Eurokrise lostreten, an der wir am schlimmsten zu leiden hätten.

In Ihrem Beitrag im "Corriere della Sera" raten Sie, Deutschland nicht mehr als Problem, sondern als Chance zu sehen. Wie meinen Sie das?

Wir haben in den Franzosen immer die Guten und in den Deutschen stets die Bösen gesehen. Dabei haben wir aber übersehen, dass bei jeder Krise ein Stück unserer Finanzbranche nach Frankreich ausgewandert ist. Und jetzt scheint sich auch Unicredit auf den Weg machen zu wollen - jedenfalls, wenn man Stimmen glaubt, die von einem Zusammenschluss mit der Société Générale sprechen. Wären die Deutschen wirklich so böse, wie man sie darstellt, hätte uns die Finanzkrise noch viel härter getroffen. Wobei ich betonen möchte, dass die aggressive Berichterstattung nicht nur ein italienisches Phänomen ist.

Worauf sollte sich der neue Ansatz in den deutsch-italienischen Beziehungen stützen?

Zwar verfügt Italien heute über einen geringeren Kapitalstock als in der Vergangenheit. Das Privatvermögen der italienischen Familien, besonders der im Norden, ist aber noch immer beachtlich, weitaus höher als das der Deutschen. Diesen Reichtum heißt es jetzt für Investitionen zu aktivieren und gleichzeitig auch deutsche Unternehmen und den deutschen Finanzmarkt dafür zu gewinnen.

Wie viel Spielraum werden die zwei Vizepremiers, die ja ihre Wahlversprechen umgesetzt sehen wollen, dem neuen Finanzminister Giovanni Tria einräumen?

Gute Frage. Überall in der Welt gehören das Amt des Regierungschefs und das des Finanzministers zu den wichtigsten Posten in einer Regierung. In dieser soeben in Italien vereidigten Regierung sind es jedoch die schwächsten. Das ist wahrhaftig kein gutes Omen.

Mit Geminello Alvi sprach Andrea Affaticati

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen