Politik

Personalnot in Krankenhäusern Sollen Infizierte weiter in Kliniken arbeiten?

Gesundheitsminister Spahn schlägt vor, dass Ärzte und Pfleger, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, weiterarbeiten - jedenfalls dann, wenn sie symptomfrei sind. Unterstützung kommt vom SPD-Experten Lauterbach.

Mit seiner Äußerung, notfalls müssten auch positiv auf das Coronavirus getestet Mitarbeiter von Kliniken und Pflegeheimen arbeiten, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am Donnerstag eine heikle Diskussion angestoßen.

Auch heute blieb der Minister dabei: In der ersten Corona Welle seien so viele positiv getestete Pfleger ausgefallen, dass die Versorgung damals nicht mehr gesichert gewesen sei. Deshalb stehe er zu seiner Ansage, auch positiv Getestete unter ganz besonderen Schutzvorkehrungen arbeiten zu lassen - mit täglichen Tests und FFP2-Masken. Spahn betont zugleich: "Das ist die Ausnahme. Das letzte, was es ist, ist die Aufforderung des Ministers an positiv Getestete, arbeiten zu gehen."

In Bremen und Bayern arbeiten wegen des Personalmangels schon jetzt Pfleger, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben, weiter auf Station und versorgen dort infizierte Patienten und Bewohner, berichtet die Pflegekammer. Dies könne auch an anderen Orten bald Alltag werden. Nicht nur in Italien war der Einsatz infizierter Schwestern und Pfleger während der ersten Corona-Welle gängige Praxis. Aktuell wird das in Belgien so gehandhabt - hier waren die Infektionszahlen zuletzt dramatisch hoch.

Ein Verstoß gegen die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (RKI) wäre ein solches Vorgehen nicht: "In absoluten Ausnahmefällen ist die Versorgung nur von Covid-19-Patientinnen und -Patienten denkbar", so das RKI. Bisher empfahlen die Experten für Krankheitsüberwachung, die "umgehende Freistellung von der Tätigkeit" und sich selbst zu isolieren, sobald eine Pflegekraft Krankheitssymptome zeige. Nun aber heißt es: Wenn es einen deutlich spürbaren Personalmangel gebe, könnten positiv getestete Pfleger und Schwestern ebenfalls erkrankte Patienten versorgen, solange sie selbst dazu nicht zu krank seien. Und genau diesen Personalmangel gibt es.

Noch steigt die Zahl der Covid-19-Patienten, die auf Intensivstationen behandelt werden müssen, offenbar nicht so schnell wie befürchtet. Laut Intensivregister der deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) zufolge waren es am Mittwoch 3127 Menschen, 68 mehr als am Tag zuvor. Trotzdem kommen viele Kliniken an ihre Grenzen - es fehlt an Personal. Und: Schutzmaterial wird offenbar knapper. Pfleger berichten, manche Schutzmaske werde nach einer Schicht nicht entsorgt, sondern mit Dampf wiederaufbereitet. Die Gefahr wächst, dass sich das Pflegepersonal ansteckt.

Eugen Brysch, Vorstand der Stiftung Patientenschutz, ist erbost über Spahns Vorschlag. Er fordert stattdessen, die aktuellen Test- und Quarantäne-Regeln zu ändern. Bei allen Mitarbeitern in Heimen und Krankenhäusern solle täglich ein Schnelltest gemacht werden, dann liege nach 20 Minuten ein Ergebnis vor. Ein echter PCR-Test müsse natürlich folgen. Allerdings: Abgesehen davon, dass Schnelltests noch nicht überall verfügbar sind, fehlt oft geschultes Personal für die praktische Anwendung.

Dagegen nennt der Epidemiologe Timo Ullrichs Spahns Vorschlag einen gangbaren Weg "in einer Notsituation, denn wenn infiziertes Personal in Quarantäne ginge samt aller Kontaktpersonen aus dem Arbeitsumfeld, dann hätte man bald gar keine Personaldecke mehr", wie er im Corona-Talk bei ntv sagt. Unterstützung kommt vom SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Er fürchtet, dass eine Situation entstehen könne, in der es zwei Alternativen gibt: Entweder werden Menschen, die beatmet werden müssen, von Klinken abgewiesen, weil nicht genügend Personal da ist. "Dann sterben diese Menschen." Oder die Krankenhäuser setzen Personal ein, das trotz Infektion arbeitet. "In einer solchen Situation hat Spahn natürlich recht, dann würde man die Menschen nicht sterben lassen können", sagt Lauterbach im RTL-Interview.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte die von Spahn vorgeschlagene Option während der ersten Corona-Welle offenbar schon einmal mit den Ministerpräsidenten durchgespielt. Damals war Merkel noch dagegen. Unklar ist, ob sie ihre Meinung mittlerweile geändert hat. Ihren Gesundheitsminister zurückgepfiffen, hat sie jedenfalls noch nicht.

Quelle: ntv.de

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