Räumung in Lützerath fortgesetzt Spezialkräfte sollen Aktivisten aus Tunnel holen
13.01.2023, 13:05 Uhr
Polizisten stehen vor dem Eingang eines Gebäudes, in dem Klimaaktivisten in einem Tunnel ausharren.
(Foto: dpa)
Klimaaktivisten verschanzen sich in einem unterirdischen Gang im besetzten Lützerath. Sie sollen sich in vier Metern Tiefe befinden. Sie herauszuholen, könnte gefährlich werden. Im Zuge der Räumung meldet die Polizei vor allem in ihren Reihen mehrere Verletzte. Klimaschutzminister Habeck zeigt wenig Verständnis für die Proteste.
Nach wie vor harren in Lützerath zwei Klimaaktivisten in einem Tunnel aus - um sie dort herauszuholen, sind nach Polizei-Angaben Spezialkräfte von Feuerwehr und THW nötig. "Ich finde es einfach schlimm, welche Gefahren diese Menschen auf sich nehmen, für sich", sagte der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach, nachdem er ein Stück weit in den Tunnelschacht hineingestiegen war. Die Konstruktion sei nicht sicher, die Sauerstoffversorgung sei auf Dauer nicht sichergestellt, sagte Weinspach. Er gehe allerdings davon aus, dass derzeit keine akute Gefahr für die beiden Personen bestehe. Ob sie festgekettet seien, wisse er nicht. "Kontaktbeamte versuchen gerade, Kontakt aufzunehmen und mit den Betreffenden zu sprechen", sagte er. Deren Kommunikation mit Telefon funktioniere nicht mehr, man versuche es jetzt mit Funkgeräten.
Eine Sprecherin der Initiative "Lützerath lebt" hatte am Morgen gesagt, die beiden Aktivisten im Tunnel, seien entschlossen, sich anzuketten, sobald versucht werde, sie herauszuholen. Demnach befinden sie sich in gut vier Metern Tiefe. Es gebe ein "Belüftungssystem". Das Technische Hilfswerk hatte in der Nacht versucht, die Aktivisten herauszuholen, den Einsatz aber später beendet. Wann ein neuer Versuch unternommen wird, ist unklar.
Derweil hat die Polizei mit der Räumung des letzten Gebäudes in Lützerath begonnen. In dem Ort halten sich nur noch wenige von den ursprünglich mehreren Hundert Klimaaktivisten auf, die sich der Räumung widersetzen. Lützerath soll abgerissen werden, damit der Energiekonzern RWE die darunter liegende Kohle abbaggern kann. Dies sei zur Aufrechterhaltung der Energiesicherheit dringend nötig, sagen RWE und die nordrhein-westfälische Landesregierung. Die Aktivsten bestreiten das unter Hinweis auf Studien. Demnach würde die Kohle aus dem derzeitigen Tagebau ausreichen.

Am Freitagmorgen steht das Baumhaus noch. Die Polizei versucht, die Räumung noch im Laufe des Tages abzuschließen.
(Foto: dpa)
Am Mittwoch hatte die Polizei mit der Räumung von Lützerath begonnen. Die Tunnel-Aktion ist eine von vielen Protestformen, mit denen Klimaaktivisten den Einsatz behindern wollen. Die Nacht in der besetzten Siedlung verlief nach Polizeiangaben ruhig. Die Klimaaktivisten hatten bei starkem Regen, kräftigem Wind und Temperaturen unter zehn Grad ausgeharrt. Am Morgen begannen Mitarbeiter einer Fremdfirma im Auftrag von RWE, Schutt wegzuräumen und Bäume zu fällen.
Anzeigen und Verletzte
Die Polizei machte keine Angaben dazu, wie viele Besetzer sich noch auf dem umzäunten Gelände aufhalten. Nach Schätzung einer dpa-Reporterin handelte es sich noch am Morgen um mehrere Dutzend. Am Donnerstag verließen mehr als 300 Menschen Lützerath. Von etwa 70 Personen wurde die Identität festgestellt. Gegen sechs Menschen wurden Strafanzeigen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Sachbeschädigung gestellt. Seit Einsatzbeginn hätten Richter drei Menschen in Langzeitgewahrsam geschickt, hieß es. Zwei von ihnen seien daraus wieder entlassen worden, nachdem sie ihre Personalien preisgegeben hätten.
Elf Einsatzkräfte verletzten sich den Angaben nach ohne Fremdeinwirkung, zwei Polizisten konnten ihren Dienst nicht fortsetzen. Fünf Polizisten seien durch Fremdeinwirkung verletzt worden, konnten aber weiter im Einsatz bleiben. Aufseiten der Besetzerszene sei eine Person leicht verletzt worden, sagte ein Polizeisprecher.
Aktivisten protestieren vor Essener RWE-Zentrale
Seit dem Morgen protestieren Aktivisten vor der RWE-Konzernzentrale in Essen. Nach deren Angaben ketteten sich mehrere von ihnen an das Eingangstor. Ein Polizeisprecher sagte, der RWE-Sicherheitsdienst habe ihnen einen entsprechenden Vorfall gemeldet. Die Polizei rückte mit mehreren Streifenwagen an, nachdem der RWE-Sicherheitsdienst den Vorfall gemeldet hatte.

Umweltschutzaktivisten verschiedener Initiativen blockieren den Eingang vor der RWE-Zentrale in Essen.
(Foto: dpa)
Derweil kritisiert Klimaschutzminister Robert Habeck die massiven Proteste gegen den Abriss von Lützerath für den Braunkohle-Abbau. "Es gibt viele gute Anlässe, für mehr Klimaschutz zu demonstrieren, meinetwegen auch gegen die Grünen. Aber Lützerath ist schlicht das falsche Symbol", sagte der Grünen-Politiker dem "Spiegel".
Habeck verteidigt Vereinbarung zu Lützerath
Das Dorf sei eben nicht das Symbol für ein Weiter-so beim Braunkohletagebau Garzweiler im Rheinland, sondern "es ist der Schlussstrich", sagte Habeck. Man ziehe den Kohleausstieg im dortigen Kohlerevier um acht Jahre auf 2030 vor, was immer auch Ziel der Klimabewegung gewesen sei. "Die Vereinbarung gibt uns Planungssicherheit. Ihretwegen werden jetzt Investitionen in eine klimaneutrale Energieversorgung, in Wasserstoffkraftwerke getätigt."

Ein Aktivist steht am Morgen des dritten Tages der Räumung des besetzten Braunkohleorts Lützerath auf einem gepannten Drahtseil.
(Foto: dpa)
Habeck verteidigte einen entsprechenden Vertrag zwischen dem Bund, dem Land Nordrhein-Westfalen und dem Energiekonzern RWE. Das bedeute: "Wir retten fünf Ortschaften und Höfe mit rund 450 Bewohnern. Der Hambacher Forst ist gesichert worden. Die genehmigte Abbaumenge für Kohle im Tagebau wurde durch die Vereinbarung halbiert."
Habeck äußerte auch seine Sorge über eine wachsende Zukunftsangst der Jugend. "Mich treibt um, dass ein Teil der jungen Generation droht Hoffnung zu verlieren", sagte er weiter. "20-Jährige überlegen heute, ob sie überhaupt Kinder kriegen wollen." Diese Debatte kenne er aus seiner Jugend, 30 Jahre lang sei sie verschwunden gewesen. "Jetzt ist sie wieder da. Verständlich, die Klimakrise ist Realität".
Für Nordrhein-Westfalens Justizminister Benjamin Limbach ist die Frage, ob Lützerath erhalten bleibt oder nicht, "schon längst geklärt". "Spätestens mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts vom März 2022 stand rechtskräftig endgültig fest, dass RWE das Recht hat, diese Ortschaft in Anspruch zu nehmen", sagte der Grünen-Politiker im Deutschlandfunk. Er könne die jungen Leute, die im Dorf Lützerath Widerstand leisten, jedoch alle gut verstehen, da der Weg in die Kohle ein "falscher Weg" gewesen sei. Dennoch sei die Rechtslage zu respektieren. Limbach verurteilte, dass Polizistinnen und Polizisten bei der Räumung mit Steinen oder mit Feuerwerkskörpern beworfen werden. Es sei seines Erachtens "eine komplett falsche Haltung". Es gebe viele legitime Formen, seine politische Meinung kundzutun. Gewalt gegen Vertreter des Staates gehöre jedoch nicht dazu.
Quelle: ntv.de, hul/dpa