"Rechter Fanatiker"Stabschefin Wiles zündelt im Weißen Haus, aber Trump juckt es nicht
Von Roland Peters, New York
In einer ganzen Serie von Gesprächen äußert sich Trumps Stabschefin Susie Wiles ungewöhnlich offen über die Vorgänge im Weißen Haus. Ob das für die "Eisjungfrau" zum Problem wird, liegt nun am US-Präsidenten. Doch der gibt sich erstmal gelassen.
Es gibt Stabschefs im Weißen Haus, die sehr präsent sind, auch in den Medien. Und es gibt Susie Wiles, die rechte Hand von US-Präsident Donald Trump. Nun hat "Vanity Fair" eine Zusammenfassung mehrerer Gespräche mit Wiles veröffentlicht, die sie im Verlauf des Jahres mit einem Reporter des US-Magazins geführt hat. Dabei äußert sie sich im Detail zu politischen Entscheidungen im Weißen Haus - und urteilt messerscharf über Trump und dessen direktes Umfeld.
Der Präsident selbst habe "eine Alkoholiker-Persönlichkeit", sagt sie etwa: "Ihre Persönlichkeiten sind übertrieben." Wiles Vater war Pat Summerall, ein bekannter American-Football-Spieler, Sportkommentator - und alkoholsüchtig. Über Vizepräsident JD Vance sagt sie, der sei "seit zehn Jahren" ein Verschwörungstheoretiker und habe sich aus politischen Gründen mit Trump verbündet. Russell Vought, einer der Autoren von Projekt 2025, die strategische Blaupause für Trumps Präsidentschaft und nun der Budgetplaner im Weißen Haus, nennt sie einen "absoluten rechten Fanatiker". Und die radikalen Äußerungen des Superreichen Elon Musk, monatelang ein enger Mitarbeiter Trumps, könnten an dessen Ketamin-Konsum liegen, vermutet sie.
Wiles ist nicht als Lautsprecher bekannt, im Gegenteil. Wenn die Kameras ins Oval Office kommen, sitzt die "Eisjungfrau", wie Trump sie auch nennt, meist im toten Winkel. Als wäre sie gar nicht da. "Sie bleibt lieber im Hintergrund", sagte der designierte Präsident in der Nacht seines Wahlsiegs 2024. An dessen Seite ist sie jedoch schon seit Jahren, und zwar täglich. Erst als Wahlkampfmanagerin, jetzt als Stabschefin. Die 68-Jährige fühlt Trumps Puls permanent. Sie arbeite "im Auge des Sturms", sei "die Trump-Flüsterin, die alles sieht", wird sie von "Vanity Fair" beschrieben.
Nun stellt sich die Frage: Hat sich die Loyalistin zu weit aus dem windstillen Auge hinausgewagt? Die Reaktionen auf die Veröffentlichung sind bislang einhellig: Minister um Ministerin äußert sich unterstützend und komplett des Lobes über die Stabschefin und kritisiert Medien pauschal. Und zwar auch jene Ressortchefs, über die Wiles sich in den Interviews negativ äußerte. Viele zitieren dabei einen Tweet von Wiles selbst, der den Ton gesetzt haben dürfte: Sie beschwert sich darin darüber, dass der Artikel eine "unehrliche Darstellung" sei, um ihr und "dem besten Präsidenten, Kabinett und der Weißes-Haus-Belegschaft in der Geschichte" zu schaden.
Stabschefin ohne Ego?
Wiles lernte Trump im Jahr 2015 kennen, sie organisierte seinen Präsidentschaftswahlkampf im Bundesstaat Florida, den der Republikaner 2016 gegen die Demokratin Hillary Clinton gewann. Bei ihrem ersten Treffen redeten die beiden laut Wiles über ihren Vater Pat Summerall, den Trump verehrte. "Ich beurteile Menschen nach ihren Genen", habe er ihr immer wieder gesagt.
Wiles Vize James Blair sagt über seine Vorgesetzte: "In erster Linie hat sie kein Ego". Und weiter: "Und das ist der Ausgangspunkt, aus dem immense Macht entspringt. Um sie herum gibt es so viel Ego und Testosteron, dass für ihres ohnehin kein Platz wäre."
Zu vielen einzelnen Themen äußert sich Wiles in den Gesprächen ungewöhnlich offen. Etwa über das monatelange Zollchaos, was Trump mit seinem "Tag der Befreiung" am 2. April auslöste. Es habe große Meinungsverschiedenheiten im Weißen Haus darüber gegeben, ob die Zölle eine gute Idee seien. Einige Berater hätten geglaubt, es sei ein Allheilmittel, andere eine Katastrophe vorausgesehen. Doch Trump sei vorgeprescht. "Ich würde es als lautes Nachdenken bezeichnen", beschwichtigt sie. "Es war schmerzhafter, als ich erwartet habe."
Die Importzölle haben die Dynamik verzögerter Verbrauchersteuern, da sie irgendwann beim Konsumenten ankommen. In Umfragen stellen Wähler dem US-Präsidenten ein desaströses Zwischenzeugnis über die Wirtschaft aus. Im November stieg die Erwerbslosigkeit - die in den USA in den Statistiken auftaucht, falls jemand aktiv einen Job sucht - auf 4,6 Prozent, der höchste Wert seit vier Jahren; er stieg das erste Mal seit 2009 viermal in Folge. "Wenn die Menschen ein schlechtes Gefühl über die Wirtschaft haben, sind wir im Arsch", wird Vize-Stabschef Blair in dem Artikel zitiert.
"Trump glaubt, er will das ganze Land haben"
Über eine mögliche dritte Amtszeit Trumps sagt Wiles, der Präsident sei sich völlig bewusst, dass dies außer Frage stehe. "Aber er hat auf jeden Fall Spaß daran." Er wisse, dass es "die Leute verrückt macht". Deshalb rede er auch darüber. Sie glaube, dass Trump sich am Ende an die Urteile des Supreme Court halten wird.
Bei Fragen zu Trumps Gründen für die militärische Präsenz in der Karibik und die Luftschläge gegen angebliche Schnellboote mit Drogen sagt Wiles im November: "Er möchte so lange Boote in die Luft jagen, bis (Venezuelas Präsident) Maduro kapituliert." Experten gingen davon aus, dass er dies auch tun werde. Verteidigungsminister Pete Hegseth ist wegen der Angriffe auf die Zivilisten, die im September begannen, unter Druck geraten. Die Vereinten Nationen nennen sie "außergerichtliche Tötungen".
Zum Ukraine-Krieg meint Wiles im August, Trump glaube nicht, dass Russlands Präsident Wladimir Putin wirklich Frieden wolle. "Donald Trump glaubt, dass er das ganze Land haben will." Der Eklat mit Ukraines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Februar habe sich angedeutet, so Wiles. Es sei demnach der Höhepunkt unhöflichen Verhaltens Selenskyjs und seiner Mitarbeiter hinter den Kulissen gewesen. Selenskyj habe unter anderem US-Finanzminister Scott Bessent sitzen lassen, als dieser in Kiew das Bodenschätze-Abkommen zum Abschluss bringen wollte. Wiles deutet an, dass die Eskalation durch Vance kalkuliert gewesen sein könnte. "Ich glaube, er hatte einfach genug."
Warum Wiles sich trotz ihrer üblichen Zurückhaltung und Medienscheu über ein Jahr lang so offen mit einem Reporter unterhielt und zustimmte, zitiert zu werden, ist unklar. Ihren Chef scheint das Ganze nicht zu stören. In einer ersten Reaktion auf den "Vanity Fair"-Artikel stellt sich Trump hinter die 68-Jährige. Er sprach ihr sein Vertrauen aus und nannte sie "fantastisch".
Er konsumiere zwar keinen Alkohol, sagte Trump der "New York Post". "Aber ich habe oft gesagt, dass ich, wenn ich trinken würde, eine sehr gute Chance hätte, Alkoholiker zu werden." Von Wiles' Worten habe er sich nicht angegriffen gefühlt. Er selbst habe den Artikel allerdings nicht gelesen. "Meiner Meinung nach waren die Fakten, so wie ich es gehört habe, falsch, und es handelte sich um einen sehr fehlgeleiteten Interviewer, absichtlich fehlgeleitet."