Politik

Inflation, Republikaner, Ukraine Biden versucht, seine Präsidentschaft zu retten

Eine Inflation wie seit Jahrzehnten nicht, das Herzstück seiner Amtszeit auf dem Sterbebett und nun der Krieg in der Ukraine: Präsident Biden wollte die USA umbauen. In seiner Rede zu Lage der Nation bietet er nur Stückwerk an.

Ein US-Präsident muss mit plötzlichen Krisen genauso umgehen können wie mit geerbten Konflikten - und dabei seine eigene Agenda durchdrücken. Joe Biden hat es damit nicht einfach. Er erlebt in diesen Wochen ein regelrechtes Sperrfeuer gegen seine Anstrengungen, den Erwartungen an ihn gerecht zu werden. Nach mehr als einem Jahr im Amt steht der US-Demokrat am Dienstagabend vor dem Kongress, den obersten Richtern, den Generälen und schließt seine erste eigene Rede zur Lage der Nation trotzdem mit einem positiven Fazit: "Wir sind stärker als vor einem Jahr."

Es war ein ungewöhnliches Bild, was sich im Kongress bot. Menschen ohne Mund-Nasen-Schutz, Fähnchen und Farben der Ukraine. Ein Biden nach seiner über eine Stunde langen Rede in ausgiebigen Zwiegesprächen. Und mehrfach erhob sich der Saal gemeinsam zum Applaus, nicht nur der Teil, wo die Demokraten saßen. Biden präsentierte Erfolge und streckte dem politischen Gegner die Hand aus, um seine Agenda womöglich in irgendeiner Form doch noch retten zu können.

Biden beginnt kämpferisch, mit einem über zehn Minuten langen Redeblock über den Krieg in der Ukraine. Deren Botschafterin sitzt auf der Tribüne. "Wir haben uns hier mit standhafter Entschlossenheit versammelt, dass Freiheit immer über Tyrannei siegen wird". Der Tyrann, der ist Wladimir Putin wegen seiner Invasion des Nachbarlands. Dieser habe wohl gedacht, er könne einfach in die Ukraine einmarschieren und die Welt würde zur Seite treten, sagt Biden. "Stattdessen traf er auf eine Mauer der Stärke. Er traf auf das ukrainische Volk." Dieses würden die USA unterstützen, mit Militär-, Wirtschafts- und humanitärer Hilfe, denn Putin müsse gestoppt werden. Er werde einen hohen Preis bezahlen.

Mit EU-Ländern arbeiteten die USA daran, "ihre Jachten, ihre Luxuswohnungen, ihre Privatjets" zu finden und zu konfiszieren. "Wir holen uns euren zwielichtigen Reichtum." Biden spricht auch eine Warnung aus, sollten sich die russischen Truppen weiter nach Westen bewegen. Die USA und ihre Verbündeten seien entschlossen, "jeden Zoll des NATO-Bündnisgebiets mit unserer vollen Schlagkraft zu verteidigen". Es sei ein Kampf zwischen Demokratien und Autokratien, den Russland verlieren werde. Der Luftraum der USA werde für russische Flugzeuge gesperrt.

Buhrufe beim Nachtreten

Ob die USA tatsächlich stärker als vor einem Jahr sind, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. Sicher ist, dass die Wirtschaft die Pandemiefolgen überwunden hat. Biden redet nun über das, was die eigene Bevölkerung im Alltag spürt. Was deshalb für ihn und seine Partei wichtig ist. Er klopft sich etwa für sein Rettungspaket auf die Schulter, das vor allem den Arbeitern und der Mittelschicht zugutegekommen sei, nicht so wie bei der Vorgängerregierung nur den oberen 1 Prozent der Bevölkerung. Die Republikaner quittieren das verbale Nachtreten mit Buhrufen, während die Demokraten stolz applaudieren.

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Die ukrainische Botschafterin (links) wurde mit stehendem Applaus begrüßt.

(Foto: AP)

Die zusätzlichen finanziellen Hilfen haben Nebeneffekte. Seit 40 Jahren war die Inflation nicht so hoch, sie lag im Januar bei 7,5 Prozent im Jahresvergleich. Geldentwertung geschieht mit Verzögerung. Die Menschen hatten deshalb zunächst mehr in der Tasche - und jetzt weniger, da die Inflation die Einkommenserhöhungen aufgefressen und kräftig weiter genagt hat. Trickle-Down funktioniere nicht, sagt Biden, die Wirtschaft müsse in der Mitte und von unten nach oben gestärkt werden, argumentiert er gegen republikanische Überzeugungen an. Als wichtigen Baustein sieht er dafür das bereits verabschiedete Infrastrukturpaket, mit dessen Hilfe unter anderem 500.000 Elektroladestationen gebaut sowie Brücken und Straßen saniert werden sollen - bis zur letzten Leitplanke in den USA hergestellt, betont Biden.

Biden hat aber Probleme: In einer Yougov-Umfrage vor der Rede sagten 54 Prozent, sie glaubten nicht, dass der Präsident auch das tun werde, wofür er im Wahlkampf angetreten war. Insbesondere bei den Jüngeren ist die Enttäuschung groß. Zuletzt sagten 62 Prozent der US-Amerikaner bei einer Umfrage von CBS News, der Präsident bekomme die Wirtschaftsprobleme nicht in den Griff. Mehr als ein Drittel sind der Ansicht, vor allem müsse die Regierung etwas gegen die Inflation tun. "Senkt die Kosten, nicht die Gehälter", so will Biden das Geldentwertungsproblem lösen.

"Kapitalismus ohne Wettbewerb ist Ausbeutung"

An dieser Stelle vollführt der Präsident vor dem ganzen Land einen geschickten politischen Schachzug: Statt weiter das ohnehin tote "Build Back Better"-Paket zu bewerben, präsentiert er dessen Einzelteile unter anderem als Notfallprogramm gegen die Inflation. "Build Back Better" sollte die Einkommensungleichheit bekämpfen, die Klimaziele durch einen grünen Umbau der Wirtschaft erreichen helfen und mit der Besteuerung von Konzernen finanziert werden. Das ursprünglich 3,5 Billionen Dollar große Paket war Herzstück von Bidens Agenda, es sollte seine Amtszeit definieren, sein Vermächtnis. Vieles deutet darauf hin, dass es nicht dazu kommen wird.

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Ungewohntes Bild: Fast niemand der Anwesenden trug einen Mund-Nasen-Schutz. Ein Test war obligatorisch.

(Foto: AP)

"Build Back Better" kommt Biden bei dieser Rede nicht über die Lippen. Wohl aber dessen Inhalt. Es soll zudem das Wirtschaftswachstum antreiben, das Haushaltsdefizit verringern und die Lebenshaltungskosten von Familien noch dazu. Die Medikamentenkosten sollten reguliert werden, fleht er schon fast in Richtung Republikaner. Erneuerbare Energien würden Familien im Schnitt 500 Dollar an Energiekosten sparen, rechnet er vor. Kinderbetreuung sollte nur die Hälfte kosten, der landesweite Mindestlohn auf 15 Dollar steigen. Zur Finanzierung des umgewidmeten Programms müssten Reiche und Konzerne "ihren fairen Anteil" an Steuern zahlen, fordert Biden. Zudem mahnt der Präsident Oligopole an, die Kosten in die Höhe trieben, etwa im Transportsektor. "Ich bin ein Kapitalist, aber Kapitalismus ohne Wettbewerb ist Ausbeutung."

Bidens Problem bei all dem: Es ist höchst unwahrscheinlich, dass diese Vorhaben in den kommenden Jahren Realität werden. Gesetzesinitiativen benötigen im Senat eine 60-Prozent-Mehrheit. Bidens Partei hält nur die Hälfte der Sitze. Das ursprüngliche Gesamtpaket hätte sogar nur eine einfache Mehrheit gebraucht, war aber an mindestens einem Senator der Demokraten gescheitert. Nun beginnen die Vorwahlen für die Kongresswahlen im November. Die Demokraten müssen davon ausgehen, Sitze in beiden Kammern und damit ihre Mehrheiten zu verlieren.

Die Republikaner demonstrieren mehrmals mit stehendem Applaus, wenn sie etwas für wichtig halten: Etwa, als Biden die Überarbeitung der Einwanderungsgesetze und die Sicherheit der Grenzen betont. Als er klar sagt, er sei nicht für "Defund the Police", also der Polizei das Geld zu streichen, sondern im Gegenteil für höhere Ausgaben. Dass sich das Leben in den USA trotz Covid-19 wieder normalisieren müsse, die Kinder in der Schule bleiben, die Menschen in die Büros zurückkehren.

Wollen die Demokraten etwas in Gesetzesform gießen, brauchen sie in Zukunft wohl mehr denn je die Stimmen der Republikaner. Um sie geworben hat Biden bei dieser Rede zur Lage der Nation deutlich. Bis zur nächsten Rede dürfte es zwischen Kongress und dem Weißen Haus trotzdem ziemlich zäh zugehen. Und wer weiß, was danach von Bidens ursprünglichen Plänen noch übrig sein wird.

Quelle: ntv.de

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