TV-Streit um Nachfolge Truss und Sunak planen nicht mit Johnson in neuer Regierung
26.07.2022, 01:42 Uhr Artikel anhören
Ex-Finanzminister Sunak und Außenministerin Truss konnten sich gegen neun Konkurrentinnen und Konkurrenten durchsetzen.
(Foto: AP)
Wer folgt auf Boris Johnson in Großbritannien? Im innerparteilichen Machtkampf ringen Rishi Sunak und Liz Truss - nun erstmals in einem TV-Duell. Doch nicht alle Briten können mit entscheiden. Das weckt Unmut. Noch-Premier Johnson sorgt zudem für Schlagzeilen mit widersprüchlichen Angaben zu seinen Rücktrittsplänen.
Im Rennen um die Nachfolge des britischen Premierministers Boris Johnson haben sich Ex-Finanzminister Rishi Sunak und Außenministerin Liz Truss bei ihrer ersten TV-Debatte einen harten Schlagabtausch zu Themen wie Steuern und Haushaltsplänen sowie der Beziehung zu China geliefert. Einig waren sich die beiden nur in einer Sache: Einen Regierungsposten für Amtsinhaber Boris Johnson ist ausgeschlossen.
Der scheidende Premier benötige eine "wohl verdiente Pause", sagte Außenministerin Truss. "Er wird nicht Teil der Regierung sein." Zugleich kritisierte sie die Parteientscheidung, Johnson zum Rückzug zu zwingen. "Er hat Fehler gemacht, aber ich denke nicht, dass die Fehler ausreichend waren, dass die Konservative Partei ihn zurückweist", sagte Truss. Ex-Finanzminister Sunak sagte, Johnson werde einer Regierung unter seiner Führung nicht angehören. "Die Antwort ist einfach: Nein." Die Partei müsse nach vorne schauen.
Sunaks Fokussierung auf einen ausgeglichenen Haushalt würde die Wirtschaft in eine Rezession stürzen, sagte Truss zu Sunak. "Die Wirtschaft zusammenbrechen zu lassen, um Schulden schneller zurückzuzahlen, wäre ein großer Fehler." Sie wolle sofort handeln, weil die Menschen Mühen hätten, über die Runden zu kommen. Ihr Rivale im Rennen um die Tory-Parteiführung habe als Finanzminister die Steuern auf "den höchsten Satz seit 70 Jahren" angehoben. Sunak entgegnete, dass Truss' versprochene Steuersenkung nichts anderes als ein "Zuckerrausch" für die Wirtschaft seie, auf den unweigerlich der Absturz folgen würde. Sunak will zunächst einen Rückgang der auch in Großbritannien vergleichsweise hohen Inflation abwarten.
Truss kündigte an, im Falle eines Sieges gegen chinesische Technologiekonzerne wie TikTok vorgehen zu wollen. Sie warf Sunak vor, in der Vergangenheit einen zu weichen Kurs gegenüber China gefahren zu haben. So habe er sich noch vor einem Monat für "engere Handelsbeziehungen mit China" ausgesprochen. Dass sich Sunak nun am Wochenende für einen harten Kurs gegenüber Peking aussprach, kommentierte die 46-jährige Außenministerin mit den Worten: "Ich bin entzückt, dass du dich jetzt meiner Denkweise angeschlossen hast." Der 42-jährige Sunak entgegnete, Truss habe mit Blick auf China ebenfalls eine Wandlung vollzogen. Auch sie habe in der Vergangenheit engere Beziehungen zu Peking gewollt.
Opposition übt scharfe Kritik an Truss und Sunak

Johnson hatte sich trotz Skandalen ans Amt des Premierministers geklammert - schlussendlich erfolglos.
(Foto: Stefan Rousseau/PA Wire/dpa)
Zudem plädierte Truss für eine Fortsetzung von Johnsons ausgabenstarkem Regierungskurs. "Glaubt irgendjemand, dass es vernünftig ist, eine massive Kreditaufnahme in Höhe von zig Milliarden Pfund zu machen und die Inflation noch weiter anzuheizen?", fragte Sunak, der Truss in ihren Ausführungen während des TV-Duells wiederholt unterbrach. Er wolle zunächst einen Rückgang der auch in Großbritannien vergleichsweise hohen Inflation abwarten.
Die oppositionelle Labour-Partei erklärte, beide Kandidaten hätten in der Debatte die Regierungsbilanz der Konservativen schlecht geredet und keiner von ihnen habe einen Plan zur Bewältigung der sich verschärfenden Lebenshaltungskostenkrise vorgelegt. Die Inflation in Großbritannien ist auf dem besten Weg, jährlich elf Prozent zu erreichen, das Wachstum stagniert, die Zahl der Arbeitskämpfe nimmt zu und das Pfund ist gegenüber dem Dollar auf einem historischen Tiefstand.
Truss und Sunak hatten bei der letzten Abstimmung der konservativen Abgeordneten genügend Stimmen erhalten, um in die Endrunde einzuziehen. Ursprünglich hatten sich elf Kandidaten um die Johnson-Nachfolge beworben. Nun sollen die 200.000 Mitglieder der Partei per Briefwahl zwischen Sunak und Truss als zukünftigen Vorsitzenden oder Vorsitzende entscheiden. Das Ergebnis wird am 5. September bekanntgegeben.
Der Vorsitzende der Partei steht automatisch an der Spitze der Regierung, da die Tories die größte Partei im Unterhaus sind. Britische Medien wiesen vor der Debatte darauf hin, dass die Tory-Parteimitglieder nur ungenau die Gesamtbevölkerung abbilden. So sei mehr als die Hälfte älter als 50 Jahre, zitierte der Sender BBC eine Studie der Queen Mary University London. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Survation unter 1032 Wählerinnen und Wählern ergab, dass 39 Prozent der britischen Öffentlichkeit der Meinung waren, Sunak habe sich in der Debatte am besten geschlagen, gegenüber 38 Prozent, die Truss für besser hielten. Es war das erste von drei TV-Duellen.
Truss gilt als Liebling der Parteibasis
Der ehemalige Goldman-Sachs-Banker Sunak galt lange als Favorit für eine Nachfolge Johnsons. Er verdiente sich in der Corona-Pandemie Meriten mit einem Rettungsprogramm für die Wirtschaft. Viele Briten hielten die Unterstützung seines Ministeriums angesichts der explodierenden Lebenshaltungskosten jedoch für zu gering und die Steuern für zu hoch. Sunak wurde wie Johnson für Verstöße gegen Lockdown-Auflagen bestraft.
Truss gilt indes als Liebling der konservativen Parteibasis, die über die Nachfolge entscheidet. In Johnsons Regierung war sie zunächst zwei Jahre lang Außenhandelsministerin, bevor die überzeugte Brexit-Befürworterin zur Außenministerin berufen wurde. Seit vergangenem Jahr vertritt sie zudem als Chef-Unterhändlerin in Brüssel bei der EU britische Positionen. Eine vergangene Woche veröffentlichte YouGov-Umfrage unter den Mitgliedern der Konservativen Partei ergab, dass Truss im Rennen um den Parteivorsitz mit 24 Punkten vor Sunak liegt.
Johnson war auch nach mehreren Verfehlungen nicht zurückgetreten. Erst nach dem Abgang zahlreicher Mitarbeiter aus Protest kündigte er Anfang Juli sein Ausscheiden an. Er will aber im Amt bleiben, bis die Nachfolge geklärt ist. Kurz vor der Debatte berichtete die Zeitung "The Telegraph" unter Berufung auf den ehemaligen Finanzminister Peter Cruddas, Johnson habe bei einem gemeinsamen Essen am Freitag erklärt, er würde am liebsten nicht zurücktreten. Andere Medien zitierten jedoch unmittelbar darauf Regierungsvertreter, wonach Johnson an seinem geplanten Rücktritt festhalte.
Quelle: ntv.de, joh/rts/AFP