"Belastung" durch NSA-Affäre US-Botschafter wird ins Kanzleramt zitiert
02.07.2015, 19:42 Uhr
Der US-Geheimdienst NSA soll nicht nur die Kanzlerin, sondern auch Minister und Spitzenbeamte belauscht haben. Das Kanzleramt spricht von einer "Belastung" und reagiert mit einem sehr deutlichen Signal.
Weitere Enthüllungen in der NSA-Spähaffäre haben erneut einen Schatten auf das deutsch-amerikanische Verhältnis geworfen. Als Reaktion auf Berichte über gezielte Spähattacken gegen mehrere Mitglieder der Bundesregierung "empfing" das Kanzleramt den US-Botschafter zum Gespräch. Inoffiziell verlautete, dies sei als Einbestellung zu verstehen. Eine Einbestellung gilt als scharfer Protest einer Regierung. Die Bundesregierung sprach offiziell von einer "Belastung" für die Zusammenarbeit der Nachrichtendienste.
Nachdem bereits Berichte über Wirtschaftsspionage und Spähaktionen gegen das Handy auf Bundeskanzlerin Angela Merkel für Empörung in Deutschland gesorgt hatten, platzte nun eine neue Bombe: Der Enthüllungsplattform Wikileaks zufolge soll der US-Geheimdienst NSA 69 Telefonnummern der Bundesregierung ausgespäht haben. Unter den Spionagezielen waren demnach die Bundesministerien für Wirtschaft, Finanzen und Landwirtschaft. Wikileaks stellte zudem eine NSA-Zusammenfassung von einem Telefonat Merkels über die Griechenland-Krise aus dem Jahr 2011 online.
Festgestellte Verstöße werden verfolgt

John B. Emerson musste sich eine Standpauke anhören, wohl auch, weil seine Regierung weiter wortkarg auf die Enthüllungen reagiert.
(Foto: dpa)
Als Reaktion auf die Enthüllungen wurde US-Botschafter John B. Emerson zu einer "Unterredung" mit Kanzleramtschef Peter Altmaier "empfangen", wie Regierungssprecher Steffen Seibert mitteilte. Altmaier habe "dabei deutlich gemacht, dass die Einhaltung deutschen Rechts unabdingbar ist und festgestellte Verstöße verfolgt werden". Seibert fügte in ungewöhnlicher Deutlichkeit hinzu, die "für die Sicherheit unserer Bürger unverzichtbare Zusammenarbeit" der Geheimdienste beider Länder werde "durch derartige wiederholte Vorgänge belastet".
Washington reagierte gewohnt wortkarg. Aus US-Regierungskreisen hieß es, dass "derartige Anschuldigungen" bereits in der Vergangenheit kommentiert worden seien und diese Erklärungen weiter Gültigkeit hätten. "Zugleich bekräftigen wir unsere starke bilaterale Beziehung mit Deutschland", sagte ein ranghoher Regierungsvertreter in Washington.
"Möglicherweise Maß und Mittel aus dem Blick verloren"
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble kritisierte das Vorgehen der US-Geheimdienste. Es dränge sich der Eindruck auf, "dass bei den amerikanischen Diensten der eine oder andere möglicherweise Maß und Mittel ein wenig aus dem Blick verloren hat", sagte der CDU-Politiker der "Bild"-Zeitung.
Die Bundesanwaltschaft prüft mögliche neue Ermittlungen wegen der NSA-Aktivitäten. Generalbundesanwalt Harald Range gehe den nun bekannt geworden Informationen "im Rahmen seiner Verfolgungszuständigkeit nach", teilte die Behörde mit. Ermittlungen zum mutmaßlichen Abhören von Merkels Handy waren wegen Mangels an Beweisen für eine Straftat zunächst eingestellt worden.
Untersuchungsausschuss appelliert an Merkel
Mitglieder des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag, der die Spähaffäre aufklären soll, riefen Merkel zum Handeln auf. "Es wird jetzt dringend nötig sein, dass sich die Bundeskanzlerin aus der Deckung begibt", sagte der SPD-Obmann im Ausschuss, Christian Flisek. Der Ausschussvorsitzende Patrick Sensburg (CDU) sah die Amerikaner "erheblich unter Erklärungsnot".
Der Ausschuss den Geheimdienstkoordinator im Kanzleramt, Günter Heiß, zu den Enthüllungen. Nach den Veröffentlichungen über Abhöraktionen gegen Merkels Handy im Jahr 2013 habe es den Verdacht auf US-Spionage gegen die Bundesregierung gegeben, sagte er. Konkrete Hinweise hätten ihm aber nicht vorgelegen.
Gegen die heftige Kritik der Opposition nominierten Union und SPD im NSA-Untersuchungsausschusses den 65-jährigen Juristen Kurt Graulich als sogenannte Vertrauensperson. Er soll Einblick in eine Liste mit US-Spionageziele nehmen und prüfen, ob bei den Spähaktionen gegen Absprachen verstoßen wurde. Die Oppositionsabgeordneten wollen die Akten jedoch selbst einsehen.
Quelle: ntv.de, ppo/AFP/dpa