
Immer noch Präsident, aber kein Präsidentschaftsbewerber mehr: Joe Biden.
(Foto: AP)
Den USA bleibt die Wahl zwischen einem vorbestraften Narzissten und einem sturen Tattergreis erspart. Trotzdem zeigt sich, was passiert, wenn die Regeln des politischen Anstands verloren gehen. Aber wie heißt es doch: Jedes Land bekommt die Regierung, die es verdient.
Nachdem Donald Trump neulich ein Attentat wegen einer Körperbewegung in der richtigen Sekunde knapp überlebt hatte, verkündete er: "Gott allein hat das Undenkbare verhindert." Wer denn sonst?! Nun könnte man meinen, dass es sich bei der Aussage über das mutmaßliche Wirken eines höheren Wesens um einen Satz handelt, den jeden Tag Millionen Gläubige überall auf der Welt so oder ähnlich von sich geben, wenn sie einem Unglück knapp entkommen sind oder eine schwere Krankheit überstanden haben. Doch bei Trump wissen wir aus Erfahrung, dass er damit mehr meint als einen in Demut geäußerten Verweis auf eine imaginäre Kraft. Er wähnt sich bekanntlich, der Messias zu sein, der die USA "great again" macht.
Kein Wunder also - und wenn doch, dann ein von Gott erzeugtes -, dass sich die republikanische Partei aus freien Stücken zu einer hörigen Sektenschar mit einem unantastbaren Guru an der Spitze gewandelt hat. Dieser schickt sich nun an, ein zweites Mal Präsident der Vereinigten Staaten zu werden und unserem geschundenen Planeten das Glück auf Erden bringen zu wollen. Sobald er sich - Prioritäten sind wichtig - selbst begnadigt hat. Denn der Umstand, dass der Schuss lediglich sein Ohr traf und das Hirn verfehlte, ist - so Trumps Hirngespinst - "eine Chance, das ganze Land, ja die ganze Welt zusammenzubringen". Friede, Freude, Pancakes.
"Ich bin Präsident Selenskyj dankbar dafür, dass er sich an mich gewandt hat, denn als Ihr nächster Präsident der Vereinigten Staaten werde ich der Welt Frieden bringen und den Krieg beenden, der so viele Menschenleben gekostet und unzählige unschuldige Familien zerstört hat", erklärte Trump. Dass er betont, dass es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj war, der ihn anrief und nicht etwa umgekehrt, ist nur konsequent. Schließlich ist er, Trump, der Friedensengel, der die Fähigkeit besitzt, den blutrünstigen Putin von Nächstenliebe zu überzeugen. Wie das gelingen soll, ist bisher nicht mal in Ansätzen bekannt.
Was die Menschheit allerdings schon weiß, ist, dass Trump einen Stromschlag einem Haibiss vorziehen würde. Als auf einer Wahlkampfveranstaltung in Las Vegas der Teleprompter ausfiel, machte sich der Republikaner, der erneuerbare Energien und E-Fahrzeuge überflüssig findet, Gedanken über Elektroboote: "Was würde passieren, wenn das Boot durch sein Gewicht sinkt, und Sie sind im Boot, und Sie haben diese unglaublich starke Batterie, und die Batterie ist jetzt unter Wasser. Und da ist ein Hai, der sich knapp 10 Meter entfernt befindet. Ich glaube, das Wasser hat eine Menge elektrischen Strom. Aber weißt du, was ich tun würde?" Er würde "jedes Mal den Stromschlag wählen. Ich werde mich dem Hai nicht nähern."
Gehässigkeiten in der politischen Debatte
Das klingt nicht nur plemplem, das ist es auch. Doch ein Arzt, der Trump einem Test unterzog, sieht es anders. "Kennen alle Ronny Johnson, Kongressabgeordneter aus Texas?", fragte der Republikaner seine Zuhörer. "Er sagte, ich sei seiner Meinung nach der gesündeste Präsident der Geschichte, also mochte ich ihn sehr." Das kennen wir zur Genüge: Wer sich bei Trump, diesem Narzissten, einschleimt, wird dafür mit Liebkosungen beglückt. Der Mediziner, der in die Politik ging, heißt übrigens Ronny Jackson und nicht Johnson.
Aber diesen Fauxpas ignorierten der Messias und seine Jünger, um sich weiter ungestört dem Bashing von Joe Biden widmen zu können. Trump ließ permanent Videos verschicken, in denen zu sehen ist, wie der scheidende US-Präsident stolpert, stottert, erschöpft, desorientiert, tattrig und sonst wie bekloppt rüberkommt. In Amerika ist all dieser Irrsinn die neue Normalität. Beleidigungen und Gehässigkeiten in der politischen Debatte haben ein für demokratische Staaten ungeahntes Ausmaß angenommen - auch dank Trump, dem Gottgesandten, dem nichts heilig ist.
Biden habe einen Intelligenzquotienten von etwa 70, behauptete Trump nur Stunden nach seiner Lüge, das Land nach dem Schuss auf sein rechtes Ohr versöhnen zu wollen. Mit einem IQ von 70 zählt ein Mensch zu den Lernbehinderten an der Grenze zur Debilität. Was Trump damit sagen wollte: Der Noch-Chef im Weißen Haus ist strunzdoof. Eigentlich ist Biden intelligent. Allerdings verhielt er sich zuletzt in der Tat gefährlich dumm. Seine Weigerung, trotz zunehmender körperlicher und geistiger Verfallserscheinungen nicht sofort auf die Präsidentschaftskandidatur zu verzichten und stattdessen Trump täglich neuen Stoff für Griffe unter die Gürtellinie zu liefern, legte offen, dass auch Biden alles andere als frei von Hybris und Machtversessenheit ist.
Der Rücktritt des Demokraten ist kein Bravourstück politischen Goodwills, sondern ein glatter Alleingang, verbunden mit der Rache eines verletzten Egos, der regelrecht zur Aufgabe gezwungen werden musste. Kurz schien es so, dass der scheidende US-Präsident in seiner Verzweiflung - wer gibt vor sich und der Öffentlichkeit schon gerne zu, ein dementer Greis zu werden - ausgerechnet auf ein Mittel Trumps setzen wollte, nämlich Quark zu erzählen. Biden verbreitete die Mär von fiesen Hintermännern im "deep state", die unter Trumps Gefolgschaft enorm populär ist. Biden glaubte, wie die "New York Times" berichtete, an ein Komplott führender Demokraten um Nancy Pelosi und Barack Obama, die ihn, den guten Joe, loswerden wollten. Was ja stimmte: Sie hatten erkannt, dass Biden chancenlos ist gegen Trump.
Kamala Harris ist nur zweite Wahl
Angesichts der TV-Bilder Bidens wirkte es lachhaft bis erschreckend, wenn das Weiße Haus nicht die neusten politischen Initiativen des Präsidenten verkündete, sondern Statements wie diese: "Sein Puls, sein Blutdruck, seine Atemfrequenz und seine Temperatur sind weiterhin absolut normal." Nicht vergessen: Es geht um die USA, das nach wie vor mächtigste Land der (westlichen) Welt, das sich gerade zerlegt und dabei offenbart, was passiert, wenn man auf tiefgreifende Reformen verzichtet, etwa sein Zwei-Parteien-Wahlsystem, das aus der Zeit der Kutschen und Planwagen stammt, nicht erneuert.
Auch wenn den US-Bürgern die Wahl zwischen einem vorbestraften Narzissten und einem sturen Tattergreis erspart bleibt, muss man sagen: armes Amerika. Denn bald wird sich zeigen, dass Kamala Harris nur zweite Wahl ist. Biden hatte wohl nie die Absicht, sie als seine Nachfolgerin vorzuschlagen, auch nicht 2028. Er hatte seine Vizepräsidentin damit beauftragt, die illegale Einwanderung aus mittelamerikanischen Ländern in die USA zu bekämpfen und das landesweite Wahlrecht zu reformieren - Aufgaben sehr nah an der Unmöglichkeit, zumal republikanisch geführte Bundesstaaten Harris auflaufen ließen. Die Zustimmungsraten für sie sind selbst unter Demokraten und Schwarzen gering.
Im Rennen um die Kandidatur für die Präsidentschaft 2020 gab Harris schon auf, bevor es begann. Sie wäre chancenlos gewesen. Niemand wusste, für was sie stand. Geändert hat sich das bis heute nur bruchstückhaft. Nur mit dem Thema Abtreibungen und Waffen und der Tatsache, dass sie die erste Frau im Amt wäre, wird sie es schwer haben gegen den aggressiven Trump. Zumal sie auch gegen ihr Image ankämpfen muss, selbst engste Mitarbeiter zu verprellen. Einer sagte anonym der "Washington Post": "Bei Kamala muss man ständig eine Menge seelenzerstörender Kritik und auch ihren eigenen Mangel an Selbstvertrauen ertragen." Damit ist sie das Gegenteil von Trump, der ein Egomane ist. Nun heißt es also: Trump oder Harris. Beides keine rosigen Aussichten. Aber schließlich gilt auch für die USA: Jedes Land bekommt die Regierung, die es verdient.
Quelle: ntv.de