Politik

Offiziere a.D. über Putins Krieg "Überrascht, welchen Mangel an Organisation wir sehen"

Zerstörte russische Militärfahrzeuge im ukrainischen Charkiw.

Zerstörte russische Militärfahrzeuge im ukrainischen Charkiw.

(Foto: REUTERS)

Für die Sicherheit Europas muss dringend etwas geschehen und Deutschland ist der Schlüssel - da sind sich internationale Experten bei einer Podiumsdiskussion einig. Die 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr hätten Russlands Präsident Putin die Tür zugeschlagen.

Nein, dies hat nichts mit unerfahrenen Soldaten zu tun. "Wenn nach drei Tagen kein Sprit mehr da ist, ist das jedenfalls nicht der Fehler des Panzerfahrers", sagt Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière auf der Bühne der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin. Es geht um die russischen Probleme bei der Invasion der Ukraine, die offensichtlich länger dauert als vorgesehen. "Es scheint offensichtlich zu sein, dass es anders läuft, als es sich Putin vorgestellt hat", sagt de Maizière. Er ist nicht der einzige, der dies so sieht.

Zwei deutsche Generäle sitzen auf dem Podium, dazu der US-Generalleutnant a.D. Frederick Ben Hodges, und der ehemalige deutsche Minister ist da. Eigentlich sollte es um das Buch "Future War. Bedrohung und Verteidigung Europas" gehen, worin der zugeschaltete Professor Julian Lindley-French, Hodges und US-General a.D. John R. Allen beschreiben, dass Europa sich besser verteidigen muss gegen die vielfältigen Formen aktueller Kriegsführung, inklusive Fake News und Cyberwaffen. Russland wird darin als Gefahr für Europas Demokratien gesehen. Durch den Krieg wird diese Analyse erschreckend aktuell. Doch so richtig nervös zeigt sich hier niemand.

"Wir sind überrascht, welchen Mangel an Organisation wir sehen", sagt Heinrich Brauß, Bundeswehr-Generalleutnant a.D. über die Kriegslage. Offensichtlich sei das russische Militär nicht in der Lage zu großräumigen Operationen. Die größte Überraschung seien die logistischen Probleme - was Führungsversagen bedeute -, sowie dass die Russen sich auf einen Häuserkampf einließen, obwohl dort die Verteidiger immer im Vorteil seien und mechanisierte Truppen relativ wirkungslos. General a.D. Klaus Naumann pflichtet ihm bei. In zehn Tagen habe Russland womöglich militärische Verluste erlitten wie zuvor in zehn Jahren Afghanistan- oder die USA in acht Jahren Irakkrieg. "In einem demokratischen Land wäre dies das Ende der Regierung."

Für eine Invasion von NATO-Gebiet müsse sich Russland lange vorbereiten, meint Naumann. In dieser Zeit könnten andere Lösungen erreicht werden. "Ich bin sicher, wir können unser Bündnisgebiet schützen. So lange sich die russischen Streitkräfte aufführen wie in der Ukraine, bin ich da sehr entspannt." Zudem müsse Russlands Präsident Wladimir Putin die nukleare Sicherheitsgarantie der Vereinigten Staaten für die NATO-Länder beachten. Weniger entspannt ist der General außer Dienst, was Russlands taktische Atomwaffen betrifft. Deren Einsatz ist beim russischen Militär wohl nicht außer Frage, um die eigenen Ziele durchzusetzen. "Lasst die Finger vom NATO-Vertragsgebiet", warnt Naumann in Richtung Moskau: "Ihr könntet euch bitterlich verbrennen."

Aufstieg Chinas als Gefahr

Der federführende Autor des Buches, der Verteidigungsexperte Julian Lindley-French, sieht die Lage vor allem mittelfristig pessimistisch, sollte sich Europa nicht sicherheitspolitisch neu aufstellen. "Wir sind politisch zu schwach geworden, um mit Wandel umzugehen", poltert er. "Wir tun so, als würde es nicht geschehen." Die große Gefahr für Europa sei der Aufstieg Chinas zur militärischen Supermacht. Europa müsse viel mehr tun, Deutschland viel mehr in militärische Abschreckung investieren: "Deutschland ist der Schlüssel."

Das sieht auch US-Generalleutnant a.D. Hodges so. "Wenn wir in den USA auf Deutschland gucken, sehen wir die Europäische Union, wegen der wirtschaftlichen und diplomatischen Macht. Wo Deutschland hingeht, dahin bewegt sich die EU." Die Regierungserklärung zum Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Landesverteidigung sei deshalb unheimlich wichtig gewesen. "Als Bundeskanzler Olaf Scholz seine Rede hielt, hat er die Tür zugeschlagen für Putin und dessen Hoffnung, die NATO zu spalten." Naumann ist die Genugtuung anzusehen: "Das Zögern Deutschlands ist nun vorbei."

Laut Ex-Verteidigungsminister de Maizière geht es darum, dass Deutschland innerhalb des Bündnisses stärker werden muss. Bei Neuanschaffungen könnten europäisch einheitliche Zulassungen militärischen Geräts viele Jahre einsparen. Einig sind sich alle Anwesenden, dass die derzeitige Situation der NATO wieder neues Leben eingehaucht hat sowie die USA und die europäischen NATO-Staaten aufeinander angewiesen sind. Ohne die Vereinigten Staaten sind die europäischen Länder nicht zu verteidigen, diese sichern wiederum den Großmachtstatus der USA ab. "Ohne uns geht es nicht", zeigt sich Naumann überzeugt.

Quelle: ntv.de

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