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Abgeriegelte Bergidylle So streng bewacht die Schweiz die Ukraine-Konferenz

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Im Bürgenstock-Resort in der Schweiz wird an diesem Wochenende eine Ukraine-Friedenskonferenz abgehalten.

Im Bürgenstock-Resort in der Schweiz wird an diesem Wochenende eine Ukraine-Friedenskonferenz abgehalten.

(Foto: picture alliance/KEYSTONE)

Im Schweizer Bergparadies findet an diesem Wochenende die Ukraine-Friedenskonferenz statt. Ohne Russland, dafür mit immensen Sicherheitsvorkehrungen. Die Schweizer Behörden haben sich auf alle Szenarien vorbereitet - Hackerangriffe, Sprengstoff-Drohnen und vergiftete Cremeschnitten.

Der Bürgenstock liegt malerisch in den Schweizer Alpen. Umgeben vom türkisblauen Wasser des Vierwaldstättersees, den hohen Gipfeln am Horizont und grünen Wiesen, so weit das Auge reicht. In dieser Woche ist es aber vorbei mit der schweizerischen Idylle. Denn auf dem Bürgenstock, dem 1100 Meter hohen Berg direkt am See, nur sieben Kilometer Luftlinie von Luzern entfernt, findet an diesem Wochenende die Ukraine-Friedenskonferenz statt - inklusive Hochsicherheitskonzept. Der Schweizer Tagesanzeiger schreibt: "Stacheldraht und bewaffnete Soldaten treffen auf Gülleschlauch und Hasenstall."

Delegationen aus 160 Ländern wurden von der Schweiz eingeladen, letztlich haben 90 Staaten die Reise ins Bergparadies angekündigt, darunter dutzende Staats- und Regierungschefs, die nach dem Willen der Gastgeber "einen Friedensprozess anstoßen" sollen. Bundeskanzler Olaf Scholz reist genauso in die Schweiz wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron oder natürlich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Es handelt sich ausdrücklich nicht um ein "Verhandlungsforum", sondern um ein "Treffen, das dazu dient, ein gemeinsam getragenes Fundament für zukünftige Verhandlungen zu schaffen", teilen die Schweizer mit.

Schauplatz der Friedenskonferenz ist das Bürgenstock-Resort. Der edelste Hotelkomplex der Schweiz besteht aus dreißig Gebäuden, darunter vier Hotels. Seit 2009 gehört das Resort einer Tochtergesellschaft des Staatsfonds von Katar.

Russland nicht eingeladen

Für die russische Delegation muss das Resort keine Zimmer und Betten freihalten, denn Russland ist nicht zur Friedenskonferenz eingeladen. "Seit Beginn habe ich immer betont, dass kein Friedensprozess ohne Russland möglich ist. Wir haben immer Offenheit gezeigt, eine Einladung an Russland auszusprechen. Russland hat allerdings mehrfach auch öffentlich gesagt, dass es kein Interesse an einer Teilnahme an dieser Konferenz hat", erklärt der Schweizer Innenminister Ignazio Cassis.

Dass Russland fehlt, gefällt selbst den Ukrainern nicht, wie Andrij Jermak betont. Um einen möglichen Frieden auf eine breite Basis zu stellen, "werden wir mit allen Ländern zusammenarbeiten, die daran interessiert sind, sich zu beteiligen", sagte der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes. Bei einer zweiten Friedenskonferenz soll Russland dabei sein. Präsident Selenskyj sagte bei seiner Rede im Deutschen Bundestag, die Ukraine wolle "der Diplomatie eine Chance geben, weil die Ukraine niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt habe".

Bundeskanzler Scholz ist sogar optimistisch, dass der Gipfel in der Schweiz auch ohne Russland Fortschritte bringen kann. "Vielleicht kann ein Weg aufgezeigt werden, wie ein Einstieg in einen Prozess gelingen könnte, bei dem eines Tages auch Russland mit am Tisch sitzt."

Gefahr durch Hacker

Sicher ist: Nicht nur politisch, sondern vor allem logistisch und sicherheitstechnisch wird das hochrangige Treffen eine riesengroße Herausforderung. Der Bürgenstock und die Region befinden sich im Ausnahmezustand. Das Bedrohungspotenzial ist groß, besonders russische Hackerangriffe werden gefürchtet. Diese seien "sehr realistisch", sagte Florian Schütz, Direktor des Schweizer Bundesamts für Cybersicherheit, bereits vor Wochen. Und er sollte recht behalten: Seine Behörde teilte in dieser Woche mit, es habe die erwarteten "Überlastungsangriffe" gegeben. Es bestehe aber aktuell "keine akute Gefährdung".

Das Bürgenstock-Resort liegt malerisch am Vierwaldstättersee.

Das Bürgenstock-Resort liegt malerisch am Vierwaldstättersee.

(Foto: picture alliance/dpa/KEYSTONE)

Sollten Hacker erfolgreich kritische Infrastrukturen angreifen, wird es jedoch heikel. Die "Neue Zürcher Zeitung" beschreibt folgendes Szenario: Kurz vor Beginn der Friedenskonferenz könnten Hacker das IT-System der Schweizer Flugsicherung angreifen und abstürzen lassen. In diesem Fall müsste der Luftraum über der Schweiz gesperrt werden, Landungen an den Flughäfen in Zürich oder Genf wären nicht möglich, geladene Staatsgäste müssten im Ausland landen oder direkt wieder nach Hause fliegen.

Unternehmen im Bereich der kritischen Infrastruktur haben wegen dieser Bedrohungslage eine Sperrphase für ihre IT auferlegt bekommen. Das heißt, es dürfen keine Updates oder sonstige Veränderungen an den IT-Systemen vorgenommen werden, um Hacker nicht zu einem Angriff einzuladen.

Zufahrtsstraßen leicht zu kontrollieren

Die Schweiz muss sich aber nicht nur für Cyber-Gefahren, sondern auch für andere mögliche Bedrohungen rüsten. Die Lage des Bürgenstocks kommt den Sicherheitsbehörden deutlich entgegen. Das Resort liegt direkt an einem Hang. 450 Meter geht es steil abwärts zum Vierwaldstättersee. Normalerweise können die Besucher am Ufer in eine Standseilbahn steigen, die sie nach oben transportiert. Während der Konferenz ist die Seilbahn aber natürlich nicht in Betrieb. Deshalb gibt es nur einen Zufahrtsweg zum Bürgenstock. "Das hat natürlich den Vorteil, dass die Zufahrtsstraßen einfach zu kontrollieren sind", erklärt Hoteldirektor Chris Franzen. "Wir haben hier relativ viele Zimmer auf dem ganzen Berg verteilt. Wir sind nur eine Stunde von Zürich entfernt", nennt Franzen im Schweizer Onlineportal "Blick" weitere Vorzüge des Bürgenstocks.

Dennoch bleiben in den Zentralschweizer Alpen Gefahren, zum Beispiel aus der Luft. Theoretisch können Minidrohnen mit Sprengstoff beladen und nachts zum Bürgenstock geflogen werden. Der Luftraum um den Vierwaldstättersee ist deshalb insgesamt fünf Tage lang in einem Radius von 46 Kilometern gesperrt, für Drohnen wurde eine Sperrzone von 27 Kilometern eingerichtet. Einzig ein lokaler Gleitschirmunternehmer hat eine Ausnahmeregelung bekommen. Kampfflugzeuge der Schweizer Armee patrouillieren dauerhaft über dem Gebiet.

Kontrolliert wird auch unter Wasser. Polizeitaucher bewachen die Pfeiler einer Brücke, die auf dem Weg zum Bürgenstock liegt. Denn die hochrangigen Gäste können im Normalfall per Helikopter zum Veranstaltungsort fliegen, aber wenn das Wetter zu schlecht ist, bleibt nur der Landweg und somit die Brücke.

Jede Cremeschnitte wird überprüft

Insgesamt sorgen 4000 Soldaten für die Sicherheit der Konferenzteilnehmer - für einige von ihnen habe der Einsatz schon vor über einer Woche begonnen, berichtet Daniel Keller von der Schweizer Armee. "Die 4000 Armeeangehörige sind hier gemäß Bundesratsbeschluss vom 5. bis 19. Juni im Einsatz. Meine Division ist für solche Einsätze ausgebildet, kennt die Region und die Leute."

Die Soldaten werden zur Überwachung, Objektsicherung, Logistikunterstützung oder als Scharfschützen eingesetzt. Wie viele Polizisten und weitere Security-Kräfte darüber hinaus im Einsatz sind, teilen die Schweizer nicht mit.

Klar ist aber, dass penibel darauf geachtet wird, dass sich keine zweifelhaften Personen in den Sperrkreis einschleusen. Über 80 Staatsgäste übernachten im Bürgenstock-Resort, hunderte Diplomaten begleiten die Teilnehmer. Für sie werden rund 700 Angestellte im Hotel- und Gastrobetrieb zuständig sein, darunter fast 100 Köche. Die Angestellten wurden im Vorfeld entsprechend durchleuchtet.

Und wenn die Staatsgäste beim Frühstück, Abendessen oder Kaffee sitzen, wird jedes einzelne Kuchenstück der Bäckereien überprüft: "Jede Cremeschnitte durchläuft verschiedene Stationen, bis sie auf dem Teller eines Gastes auf dem Bürgenstock landet", hat die Nidwaldner Regierungsrätin Karin Kayser-Frutschi der "Schweizer Illustrierten" erzählt.

Bauern dürfen auf ihre Felder und Wiesen

Und auch für die Anwohner direkt am Bürgenstock wird die Konferenz zu einer Geduldsprobe. Die Zufahrt in den Ort wird bereits streng überwacht. In die Sperrzone dürfen nur Menschen, die in der Hotelanlage arbeiten oder auf dem Bürgenstock wohnen. Frei bewegen dürfen sich die Anwohner aber keinesfalls: Die verantwortliche Kantonspolizei empfiehlt ihnen, möglichst zu Hause bleiben. "Es ist uns bewusst, dass aufgrund der Sicherheitsvorgaben die Bevölkerung und die Gewerbetreibenden von Einschränkungen in ihrem Alltagsleben betroffen sein werden. Diese Einschränkungen sind jedoch unumgänglich und verhältnismäßig", kommentiert Polizeikommandant Stephan Grieder.

Wer nicht zu Hause bleiben kann oder will, soll sich nur auf asphaltierten Straßen und Wegen fortbewegen. Die einzige Ausnahmeregelung gibt es für Bauern, die auch während der Friedenskonferenz auf ihre Felder und Wiesen dürfen. "Landwirtschaftliche Tätigkeit bleibt in dieser Zeit grundsätzlich möglich", teilt die Polizei mit. Freizeitaktivitäten dagegen nicht, ausdrücklich verboten sind beispielsweise "biken, joggen und wandern".

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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