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"Etwas völlig Neues" Ukrainische Offensive in Kursk überrascht Moskau

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Dieses Foto wurde vom russischen Gouverneur Smirnow veröffentlicht und soll Schäden nach einem ukrainischen Angriff auf die Stadt Sudscha zeigen.

Dieses Foto wurde vom russischen Gouverneur Smirnow veröffentlicht und soll Schäden nach einem ukrainischen Angriff auf die Stadt Sudscha zeigen.

(Foto: AP)

Ukrainische Offizielle halten sich mit Kommentaren zurück. Die Lage ist unübersichtlich. Doch eines steht fest: Mit Vormärschen in der russischen Region Kursk versetzt Kiew Moskau in Aufruhr. Beobachter zeigen sich derweil verblüfft.

Die Ukraine hat am Dienstag einen überraschenden Vorstoß in die nur schwach verteidigte russische Region Kursk unternommen, der unter der Zivilbevölkerung Panik auslöste und Moskau zur Entsendung zusätzlicher Truppen zwang. Russland evakuierte Dörfer in der Nähe der Grenze, als ukrainische Truppen in gepanzerten Fahrzeugen vorrückten, wie russische Regierungsvertreter berichteten.

Russland setzte Armeeeinheiten, Grenzschutz und Kampfflugzeuge ein, um den ukrainischen Einheiten entgegenzutreten, und erklärte, man habe die ukrainischen Kräfte aufgehalten. Russischen Kriegsbloggern zufolge, die dem russischen Militär nahe stehen, hat die Ukraine mehrere Dörfer eingenommen und ist mehrere Kilometer in zwei Richtungen vorgerückt.

Ukrainische Offizielle gaben keinen Kommentar ab, aber laut Beobachtern sieht der Vorstoß nach einem ernsthafteren Einfall aus als frühere grenzüberschreitende Angriffe in anderen Gebieten, die von leicht bewaffneten Kommandos durchgeführt wurden, die sich nach ein paar Tagen wieder zurückzogen. "Es ist klar, dass dies etwas völlig Neues ist", sagte Ruslan Puchow, Direktor der in Moskau ansässigen Denkfabrik für Verteidigung CAST.

Laut russischen Regierungsvertretern bestehen die ukrainischen Einheiten aus mehreren Hundert Soldaten, die gepanzerte Stryker-Kampffahrzeuge und Panzer aus westlicher Produktion einsetzten und von Drohnen, Luftabwehrsystemen und Geräten zur elektronischen Kriegsführung unterstützt werden. "Dies ist eine groß angelegte Armeeoperation", sagte Puchow.

Für Ukraine nicht möglich, "eine zweite Front zu eröffnen"

Das Ziel des Einmarsches ist unklar. Die ukrainischen Verteidigungslinien sind an einigen Stellen entlang einer knapp 1000 Kilometer langen Frontlinie gegen einen größeren und besser bewaffneten Feind brüchig. Russland rückt auf das ukrainische Pokrowsk vor und führt heftige Angriffe auf die nahe gelegene Stadt Tschasiw Jar durch, die auf strategisch wichtigen Anhöhen im östlichen Donbas-Gebiet liegt.

Russland, dessen Bevölkerung mehr als dreimal so groß ist wie die der Ukraine, eröffnete im Mai eine neue Front in der Nähe der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw und legte mehrere ukrainische Brigaden lahm. "Es ist für die Ukraine nicht möglich, eine zweite Front zu eröffnen", sagte Nick Reynolds, Forschungsbeauftragter für Landkriegsführung am Royal United Services Institute (RUSI) in London. "Sie müssen die Frontlinie im Donbas stabilisieren."

Die Geschwindigkeit und Plötzlichkeit der ukrainischen Operation scheint die russischen Streitkräfte überrascht zu haben. Möglicherweise hofft die Ukraine, dass Russland seine Truppen von der Front in der Ostukraine abzieht, um den Druck auf die Kiewer Truppen dort zu verringern. Der Vormarsch könnte es der ukrainischen Armee ermöglichen, die russischen Nachschublinien zu ihren Truppen bei Charkiw zu unterbrechen. Er zeige auch, dass die Ukraine mit grenzüberschreitenden Angriffen noch nicht am Ende ist, und dass Russland nicht einfach auf seinem eigenen Territorium sitzen bleiben sollte, sagte Reynolds weiter.

Putin fühlt sich provoziert

Auf einer Regierungssitzung am heutigen Mittwoch bezeichnete der russische Präsident Wladimir Putin den Überfall der Ukraine als "groß angelegte Provokation". Anschließend traf er sich mit seinen wichtigsten Verteidigungs- und Sicherheitsbeamten.

Der oberste russische Militärkommandant, General Waleri Gerassimow, berichtete per Videolink, dass 1000 ukrainische Soldaten in den frühen Morgenstunden des Dienstags die Grenze überschritten hätten. Er sagte, die russischen Streitkräfte hätten Luftangriffe, Raketen und Artillerie eingesetzt, um sie aufzuhalten. "Die Operation wird mit der Vernichtung des Feindes enden", so Gerassimow.

Während hochrangige russische Beamte das Ausmaß des ukrainischen Vormarsches herunterspielten, erklärten russische Kriegsblogger und dem Militär nahestehende Freiwillige, Kiews Streitkräfte seien in leicht bewachtes Gebiet vorgedrungen, das über unvorbereitete Verteidigungsanlagen und schwache Truppen verfüge.

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Sie widersprachen der offiziellen russischen Darstellung, der Vormarsch sei gestoppt worden, und erklärten, die Ukraine schicke Reserven, um ihren Angriff voranzutreiben, während Russland Mühe habe, zusätzliche Kräfte aus der Ferne heranzuziehen. Die russischen Behörden in der Region Kursk beeilten sich unterdessen, Tausende von Menschen zu unterstützen, die in Autos und Bussen aus der Grenzregion evakuiert wurden. Alexej Smirnow, der russische Gouverneur der Region, rief am Mittwochabend angesichts der ukrainischen Bodenoffensive den Notstand aus.

Die russische Nationalgarde verstärkte zugleich den Schutz des Atomkraftwerks Kursk. Außerdem seien zusätzliche Kräfte für die Bekämpfung von Sabotage- und Aufklärungstrupps in den Gebieten Kursk und Belgorod herangezogen worden, teilte die Behörde mit. Das geschehe in Kooperation mit den russischen Grenztruppen und der Armee. Das Atomkraftwerk mit vier Blöcken und einer Leistung von fast zwei Gigawatt befindet sich nur gut 60 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Unbestätigten Berichten zufolge drangen die ukrainischen Truppen seit Dienstag bis zu 15 Kilometer in Richtung des AKWs vor.

Quelle: ntv.de, fzö/DJ/rts/dpa

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