"Steht viel auf dem Spiel" Valls will Aufnahmestopp für Flüchtlinge
25.11.2015, 03:01 Uhr
Zwei Kinder überqueren in strömendem Regen die serbisch-mazedonische Grenze.
(Foto: picture alliance / dpa)
Noch unter dem Eindruck der Pariser Terrorserie stehend stellt der französische Ministerpräsident eine Forderung, die der vertraglich festgelegten EU-Asylpolitik fundamental zuwider läuft - und begründet seinen Vorstoß mit der Angst vor einem Zerfall der Union.
Nach den Anschlägen von Paris hat Frankreichs Premierminister Manuel Valls an Europa appelliert, umgehend den Andrang von Flüchtlingen aus dem Nahen Osten zu stoppen. "Wir können nicht noch mehr Flüchtlinge in Europa aufnehmen – das ist nicht möglich," warnte der sozialistische Politiker. Die Kontrolle von Europas Grenzen entscheide über das Schicksal der Europäischen Union: "Wenn wir das nicht tun, dann werden die Völker sagen: Schluss mit Europa!"
Statt weiterhin Tausende von Migranten unkontrolliert nach Europa zu lassen, müsse Europa mit Syriens Nachbarstaaten Türkei, Libanon und Jordanien Lösungen finden, dort mehr Flüchtlinge aufzunehmen und zu erfassen: "Sonst stellt Europa seine Fähigkeit in Frage, seine Grenzen wirksam zu kontrollieren." Im Gespräch mit einem Dutzend ausländischer Zeitungen forderte der Premier zudem, Europa müsse endlich lang diskutierte Regelungen zum Austausch von Passagierdaten (PNR) und zur schärferen Kontrolle des Waffenhandels verabschieden. Dies war bisher auch am Widerstand aus Deutschland gescheitert.
Valls war bemüht, direkte Kritik an Deutschland und an Angela Merkel zu vermeiden. Die Kanzlerin wird am Mittwochabend zu einem Krisentreffen mit François Hollande in Paris erwartet. Valls äußerte Respekt vor der Berliner Entscheidung, die EU-Asylregeln auszusetzen: "Deutschland hat da eine ehrenwerte Wahl getroffen." Allerdings ließ er durchblicken, dass die französische Regierung vom deutschen Kurs überrascht worden sei: "Es war nicht Frankreich, das gesagt hat: Kommt!" Das habe er auch seinem sozialdemokratischen Freund, dem deutschen Vizekanzler Sigmar Gabriel gesagt.
Die Kritik, dass Berlin mit seiner Grenzöffnung noch mehr Flüchtlinge nach Europa gelockt habe, wird in Frankreich von fast allen Parteien geäußert. Valls warnte, die Lage könne sich mit dem Einbruch des Winters humanitär schnell zuspitzen: "Vor allem auf dem Balkan steht da viel auf dem Spiel, das wird dramatisch – und zwar nicht irgendwann, sondern sehr, sehr bald."
Valls: Auch Deutschland durch IS bedroht
An die Deutschen gewandt warnte der Premier, die IS-Terrormilizen könnten auch in der Bundesrepublik zuschlagen. "Auch Deutschland und Italien sind bedroht", sagte Valls. "Da muss man nur das Kommuniqué nach dem Anschlag lesen."
Vorsichtig äußerte sich der Regierungschef auf die Frage, welchen militärischen Beitrag er im internationalen Anti-Terror-Krieg von der Bundesregierung erwarte. Er verwies auf die von Bundespräsident Joachim Gauck und Außenminister Frank-Walter Steinmeier angestoßene Debatte um mehr internationale Verantwortung. Lächelnd fügte er hinzu: "Die Deutschen sind sehr pragmatische Menschen, eines Tages werden sie von der Theorie zur Praxis übergehen."
Valls hatte bereits vor der Pariser Terrorserie eine europaweite Strategie für den Umgang mit Migration und Flüchtlingen angemahnt. Bei den Anschlägen in der französischen Hauptstadt wurden am 13. November mindestens 130 Menschen getötet.
Quelle: ntv.de, jve/dpa