Lafontaine bei Maischberger "Wäre besser, billige Energie direkt aus Russland zu beziehen"
29.11.2023, 04:54 Uhr Artikel anhören
Lafontaine war zum Einzelgespräch bei Maischberger.
(Foto: WDR/Melanie Grande)
Eine Industrienation braucht billige Energie, sagt Oskar Lafontaine bei Maischberger und plädiert dafür, sich wieder von Russland beliefern zu lassen. Ex-Bundespräsident Gauck nennt die Forderung "grotesk".
Dienstagabend in der ARD. Sandra Maischberger hat zwei ehemalige Politiker zu Gast, die in der Sendung nicht miteinander sprechen. Das ist schade, denn sie hätten sich wahrscheinlich viel zu sagen: der ehemalige Ministerpräsident des Saarlandes und Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine und Ex-Bundespräsident Joachim Gauck. Lafontaine, Ex-Mitglied der SPD sowie Mitgründer und früherer Vorsitzender der Linken ist vor gut zwei Monaten achtzig Jahre alt geworden. Gauck, kurze Zeit Mitglied der DDR-Bürgerrechtspartei Neues Forum und evangelischer Pastor, ist drei Jahre älter. Gauck kann mit der Linken nicht viel anfangen, das liegt an seiner Geschichte. Lafontaine hat die Linke vor anderthalb Jahren verlassen. Heute unterstützt er seine Frau Sahra Wagenknecht bei der Gründung einer neuen Partei.
Lafontaine trat seinerzeit im Streit von seinem Posten als Finanzminister unter Bundeskanzler Gerhard Schröder zurück und verließ wenige Jahre später die SPD. Mittlerweile hat er mit Schröder seinen Frieden geschlossen und hält ihn für den besseren Kanzler, verglichen mit Olaf Scholz. "Er hat zum Beispiel erkannt, dass eine Industrienation billige Energie braucht. Scholz scheint das nicht zu begreifen", begründet Lafontaine seine Ansicht.
Keine Waffen an die Ukraine
Er kritisiert, dass Deutschland noch immer über Umwege Energie aus Russland beziehe. Dabei bezieht er sich auf Daten des Statistischen Bundesamtes aus dem September dieses Jahres. Danach haben sich die Öllieferungen aus Indien im Vergleich zu 2022 verzwölffacht. Laut einem UN-Bericht bezieht Indien große Mengen Rohöl aus Russland. Experten halten es für "plausibel", dass Deutschland und andere europäische Länder russisches Öl aus Indien zu sehr hohen Preisen kaufen. "Es wäre besser, billige Energie direkt aus Russland zu beziehen", findet Lafontaine.
Joachim Gauck sieht das völlig anders. Es sei nicht nur ein Gebot der Moral, sondern auch der politischen Vernunft, mit keiner Macht Geschäfte zu machen oder auch nur zu reden, die sich durch einen unprovozierten Angriff auf ein anderes Land zum Feind gemacht habe. "Das zu übersehen und zu sagen, wir könnten auch von einem solchen Kriegsverbrecher billiges Öl haben, das ist ja wohl grotesk."
Um der aktuellen Haushaltskrise Herr zu werden, schlägt Lafontaine Einsparungen vor, besonders im militärischen Bereich. "Wenn ich sehe, dass gesagt wird, wir verdoppeln unsere Zuwendungen an die Ukraine, dann frage ich mich: Können die überhaupt nicht Schlüsse aus der Realität ziehen?" In fast zwei Jahren habe der Westen durch die Waffenlieferungen an das von Russland angegriffene Land nichts erreicht. Viele Menschen seien gestorben, die Ukraine sei völlig zerstört. Lafontaine: "Wenn man einen Weg beschritten hat, der sich als falsch erweist, muss man ihn korrigieren." Milliarden an die Ukraine zu vergeben, sei nicht zu verantworten.
"Richtig wäre es, die Ukraine zu fragen: 'Wie lange habt ihr Kraft zu kämpfen für ein Ziel, das ihr möglicherweise nicht erreicht?'", entgegnet Gauck später. In dem Krieg sei die vom Westen unterstützte Ukraine das Opfer, Russland sei der Aggressor. "Wenn das Friedenswille wäre, dass man sagt: 'Du bist so stark, da verteidigen wir uns gar nicht erst', dann ist die Freiheit am Ende."
Kritik an Schuldenbremse
Ein Fehler der aktuellen Politik sei die Einführung der Schuldenbremse gewesen, kritisiert Lafontaine. Die müsse entweder abgeschafft oder reformiert werden. "Ich weiß gar kein anderes Land, das diesen Unsinn hat", sagt der Politiker. Die Schuldenbremse habe sich als Investitionshemmnis erwiesen. Würde man sie abschaffen, bedeute das nicht, dass man automatisch mehr Schulden machen müsse. Gleichzeitig fordert Lafontaine Steuersenkungen für den Mittelstand, sie müssten jedoch bei den "sehr, sehr Reichen" erhöht werden.
In einem sind sich die Politiker und auch die Journalisten einig, die an diesem Abend im Panel sitzen: An Neuwahlen, wie sie der bayerische Ministerpräsident Söder vorgeschlagen hat, glauben sie nicht. "Wenn sich alle am Tisch rational verhalten, kommt es dazu nicht, weil keine der im Moment die Regierung tragenden Parteien ein Interesse daran haben kann, in Wahlen zu gehen", hatte schon zu Beginn der Sendung RTL- und ntv-Politikchef Nikolaus Blome analysiert. Allerdings schränkt er ein: "Wenn einer anfängt durchzudrehen, weil er gar nicht mehr weiter kann und weiter weiß, dann steht er auf und geht. Und dann gibt es Neuwahlen."
"Da stimme ich Blome zu", sagt Lafontaine. Zudem glaubt der Politiker nicht, dass das Interesse an Neuwahlen allzu groß sei, auch in der Union nicht. "Es gibt sicher einige in der CDU, die hinter vorgehaltener Hand sagen: Wenn wir drankommen, geht es ja genauso schlecht. Und dann müssen sie vielleicht sagen: Wir müssen die Schuldenbremse doch verändern."
Quelle: ntv.de