Politik

Rüstungsexperte im Interview "Waffentransporte sind klare Angriffsziele"

Experten schätzen, dass es noch einige Wochen dauern würde, bis Panzer des Typs "Gepard" an die Ukraine geliefert werden können.

Experten schätzen, dass es noch einige Wochen dauern würde, bis Panzer des Typs "Gepard" an die Ukraine geliefert werden können.

(Foto: picture alliance / photothek)

Plötzlich will die Bundesregierung doch Panzer an die Ukraine liefern, aber ist der "Gepard" eine gute Wahl? Was brauchen die Soldaten, wenn sie dem russischen Angriff nun in der Fläche begegnen? Warum es schwierig ist, schwere Waffen in den Donbass zu bringen, erklärt Rüstungsexperte Michael Brzoska im Gespräch mit ntv.de. Brzoska war zehn Jahre lang Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

ntv.de: Aller Voraussicht nach wird der Bundestag noch in dieser Woche beschließen, der Ukraine schwere Waffen zu liefern. Eine gute Entscheidung?

Michael Brzoska: Gegen eine russische Offensive im Donbass sind schwere Waffen zunächst mal sehr sinnvoll. Wir müssen folgendes sehen: Bisher hat die Ukraine ihre militärischen Erfolge vor den Städten erzielt. Die Soldaten haben die auf Kiew anrollenden russischen Streitkräfte lahmgelegt durch panzerbrechende Waffen, mit Artillerie und auch mit Raketenwerfern - also mit Waffen, die dazu geeignet sind, anmarschierende Truppen aufzuhalten.

Der Donbass hat viel freies Gelände, da muss der Gegner nicht im Konvoi fahren.

Das ist das Problem dort. Angriffe kommen nicht aus einer klar identifizierbaren Stoßrichtung, sondern auf breiter Front, von überallher. Das macht der Ukraine die Verteidigung schwierig, weil sie ihre Abwehrwaffen, die nicht so weit reichen, gut verteilen und immer wieder bewegen muss. Eine Feldhaubitze, das ist ein Artilleriegeschoss, lässt sich aber zum Beispiel nur auf geeignetem Gelände ziehen, die kommt halt auf Rädern und nicht auf Ketten. Da haben dann Panzer schon Sinn, um Soldaten an die Front zu bringen und immer wieder schnell zu verteilen.

Die Bundesregierung will nun erlauben, dass KMW der Ukraine den "Gepard" liefert, einen Panzer mit Flugabwehrkanonen. Sofort kommt Kritik: Der "Gepard" erfordere die längste Ausbildungszeit und die komplizierteste Versorgungskette. Er werde niemals rechtzeitig genutzt werden können. Ist die Kritik berechtigt?

Prinzipiell sind die "Geparden" für die ukrainische Luftabwehr nützlich, allerdings hat die russische Luftwaffe bisher nicht sehr stark mit Bombenflugzeugen in die Kämpfe eingegriffen. Die Kritik ist insoweit berechtigt, als sie sich auf die aktuelle Situation bezieht. Sollte der Krieg länger dauern, hätten die ukrainischen Streitkräfte die notwendige Zeit für Training und Logistik.

Kurzfristig werden auch andere deutsche Panzer wohl nicht in der Ukraine ankommen.

Definitiv nicht, das ist technisch nicht machbar. Geht es zum Beispiel um Panzer und Artillerie - und da hat die Ukraine richtig große Artillerie mit 152-Millimeter-Kaliber -, dann nutzt sie selbst im Wesentlichen noch die alten sowjetischen Systeme. Schicken wir nun deutsche Schützenpanzer "Marder" oder "Luchs", braucht ein dortiger Kommandant zumindest mehrere Wochen Ausbildung. Es geht nicht nur um die richtigen Schalter, damit das Ding vorwärts fährt. Entscheidend ist, wie man es einsetzt im Verbund mit den anderen Waffensystemen.

Also ist Kommunikation wichtig?

Die verschiedenen Waffensysteme müssen miteinander funktionieren und kommunizieren, denn sie agieren gemeinsam. Welche Art Funksysteme stehen zur Verfügung? Funktioniert die Kommunikation zwischen den alten und den neueren Systemen? Das sind sehr relevante Fragen. Für Funk und Radar braucht man moderne Technik. Da nützt es nichts, jetzt schnell ein paar alte Panzer in die Ukraine zu fahren.

Kann man sich nicht darauf verlassen, was die ukrainische Regierung selbst an Waffen anfordert?

Diese offiziellen Listen von der ukrainischen Seite sind sehr lang und helfen dadurch leider nur beschränkt. Da steht einfach alles drauf, was die Ukraine gebrauchen könnte, bis hin zu Kriegsschiffen etwa, die man der ukrainischen Armee auf keinen Fall innerhalb von ein paar Wochen überlassen kann. Ein Kriegsschiff zu fahren, erfordert eine sehr lange Ausbildung. Es fehlt auf den öffentlich gemachten Listen an Gewichtung, an Priorisierung. Das kann ich gut verstehen, die Ukraine befindet sich im Krieg und sagt, "wir brauchen alles, denn niemand weiß, wie lange der Kampf dauert". Bloß Deutschland hilft das in seiner Diskussion, wie man jetzt schnell helfen kann, leider nicht weiter.

Es wird doch aber hoffentlich Kanäle geben, wo Militärs untereinander in Kontakt sind und diese Dinge besprechen?

Davon würde ich ausgehen, und diese Vorgehensweise, der Öffentlichkeit nicht alles mitzuteilen, was wirklich passiert, wäre absolut richtig. In den vergangenen Tagen mehrten sich ja Berichte über russische Angriffe auf Eisenbahnlinien. Das soll die Unterstützung durch Waffen aus dem Ausland unterbinden und ist natürlich auch Folge der öffentlichen Diskussionen hier.

Wie wichtig ist die Möglichkeit, Waffen auf der Schiene zu transportieren?

Wenn wir mal den "Leopard" nehmen, den kann man gut auf Waggons verladen. Es gibt aber auch spezielle Lastwagen für den Transport, die die Bundeswehr zur Verfügung hat. Aber die deutsche Armee würde die Panzertransporter nur bis zur Grenze fahren, da müssten sie dann von der Ukraine übernommen werden.

Kann ein Panzer zur Not auch selbst ins Kriegsgebiet fahren?

Theoretisch ja, etwa 500 Kilometer kann ein Panzer maximal zurücklegen. Allerdings müssen zum einen die Straßen dafür ausgelegt sein, zum anderen muss man mitbedenken, dass die Russen auch Aufklärung haben. Die würden solche Panzerverbände vermutlich entdecken und beschießen.

Gibt es dann überhaupt die Chance, schwere Waffen unterm Radar der Russen in den Donbass zu bringen?

Ein paar Vorkehrungen lassen sich schon treffen: Man müsste nachts fahren, dann wären die Panzer für die Sensoren von Spähflugzeugen nicht sichtbar. Transport auf der Schiene ist besonders günstig, weil die Wärmeentwicklung dabei sich nicht von einem normalen Güterzug unterscheidet. Man kann die Transporte von außen wie zivile Ladung aussehen lassen. Dennoch bleiben Waffentransporte klare Angriffsziele, gerade für die weitreichenden Raketen der Russen. Denen reicht der Verdacht, dass über irgendeine Autobahn ein Waffentransport rollt. Sie müssen das nicht mal sicher wissen.

Ab welcher Zahl wird eine Panzerlieferung interessant?

Schauen Sie sich die Bilanzen beider Armeen an. Die Ukrainer behaupten, sie hätten schon jetzt über 700 russische Panzer zerstört. Die Russen geben zwischen 400 und 500 zerstörte ukrainische Panzer an. Wer mit seiner Unterstützung etwas bewirken will, muss mindestens in der Größenordnung von mehreren Dutzend reden, eigentlich Hunderten.

Mit Michael Brzoska sprach Frauke Niemeyer

Quelle: ntv.de

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